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1. Das Problem

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Zur Frage, wie sich das Zivilrecht zum jeweils herrschenden politischen System verhält, gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Auf der einen Seite herrschte lange die Vorstellung, die aus dem antik-römischen Recht entwickelte Privatrechtsordnung sei unpolitisch: Wie Verträge geschlossen und aufgelöst werden, oder wie die Bürger vor Übergriffen anderer zu schützen sind, berühre nicht die jeweiligen politischen Zustände, sondern werde durch Regeln gelöst, welche die Rechtswissenschaft über die Zeiten hinweg entwickelt habe. „Politik vergeht, Zivilrecht besteht“, könnte die (etwas übertriebene) Formel für diesen Standpunkt lauten. Auf der anderen Seite ist ganz offenbar, dass auch die Regelungen des Privatrechts von Grundentscheidungen des politischen Systems abhängen. In einem Staat, in dem die Rechtsgleichheit aller herrscht, gibt es keine Sklaven und folglich keine Regeln über den Sklavenkauf. Die Frage, welche Verträge geschlossen werden können und welchen Inhalt sie haben dürfen, hängt davon ab, ob das Privatrecht auf dem Grundprinzip der Vertragsfreiheit aufbaut oder nicht. Totalitäre Staaten versuchen sogar, das Privatrecht insgesamt in den Dienst der Politik zu stellen. In diesem Sinne betrieb zB der Nationalsozialismus die Politisierung des Zivilrechts. Aber auch in Demokratien kann das Zivilrecht nicht losgelöst von den politischen Grundentscheidungen betrachtet werden.

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Um das heutige Zivilrecht zu verstehen, muss man die beschriebenen Sichtweisen zusammenführen. Das Recht des BGB beruht auf einer wissenschaftlichen Rechtstradition, die unter recht unterschiedlichen politischen Systemen entstanden ist und sich laufend fortentwickelt. Insoweit machen die Rechtsregeln einen politisch „neutralen“ Eindruck: Das in einer absoluten Monarchie geltende Kaufrecht kann dem in einer Demokratie ganz ähnlich sein. Auf der anderen Seite wirken die Verfassungsstrukturen auf das Zivilrecht ein: Sie bestimmen die Grenzen privatrechtlichen Handelns, sie wirken auch auf die Anforderungen ein, die an das Zivilrecht gestellt werden. Ein freiheitliches politisches System gibt dem Zivilrecht zwar bestimmte Grundbedingungen vor, belässt ihm aber auf dieser Basis einen weiten Gestaltungsraum, der es erlaubt, den überkommenen Rechtsstoff fortzuentwickeln und den jeweiligen Anforderungen der Zeit anzupassen. Gerade in unseren Tagen muss sich das Zivilrecht unter rasanten gesellschaftlichen wie technischen Änderungen bewähren, man denke an die Entwicklung von Mobilitäts- und Kommunikationstechniken, der modernen Fortpflanzungsmedizin, des Internet und der wirtschaftlichen „Globalisierung“. So setzt sich das Zivilrecht als Normkomplex aus langfristig wirkenden Strukturen und zeitbedingten Elementen zusammen. Daraus ergibt sich eine Mischung aus traditionellem und neuem Recht, die einer stetigen Veränderung ausgesetzt ist.

Einführung in das Zivilrecht

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