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3. Unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln
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Die oft fehlende Begriffsschärfe der Gesetze wird als Manko beklagt, bietet jedoch bei näherem Hinsehen einen wichtigen Vorteil. Der Gesetzgeber hat bei seiner Regelung bestimmte mögliche Konflikte im Auge, für die er gerechte Lösungen finden will. Der menschliche Geist ist aber weder in der Lage, die Wirklichkeit vollständig zu erfassen, noch die in der Zukunft liegenden Veränderungen sicher vorauszusehen. Mit der Fehleinschätzung und Veränderung der vorgestellten Realität verlieren aber die im Gesetz niedergelegten Wertungen an Überzeugungskraft. Infolgedessen ist der Gesetzgeber entweder zu ständigen, rasch aufeinander folgenden Gesetzesänderungen gezwungen, oder aber er vertraut darauf, dass die Gerichte das gesetzgeberische Erkenntnisdefizit ausgleichen. Die Gerichte haben vor dem Gesetzgeber den Vorzug, dass ihnen die wirklichen Konflikte begegnen. Das Gesetz bleibt als menschliches Konstrukt gegenüber der Vielfalt des Lebens notwendig zurück; es ist nach einem gängigen Wort im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens schon veraltet. Es ist dann die richterliche Handhabung, die das Gesetz trotzdem brauchbar und lebensfähig erhält.
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Ein kluger Gesetzgeber wird der Rechtsprechung die Teilnahme an der Rechtsnormenbildung mit Bedacht erleichtern. Es geschieht dies durch die Verwendung relativ weiter, ausfüllungsbedürftiger Begriffe wie „Billigkeit“ (§ 829), „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ (§ 276 II), „wichtiger Grund“ (§ 314 I 1) oder „zumutbar“ (vgl § 313 I). Mit solchen unbestimmten Rechtsbegriffen ermächtigt das Gesetz die Rechtsanwender, den Begriffsgehalt näher zu konkretisieren.
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Als besonders wichtige Ermächtigungsnormen für richterliche Rechtsbildung erweisen sich die Generalklauseln. Darunter versteht man ganz allgemein formulierte Aussagen, die als Grundprinzipien in der gesamten Zivilrechtsordnung gelten. Dazu gehören vor allem der Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§§ 157, 242) und die allgemeine Beachtlichkeit der „guten Sitten“ (§§ 138, 826). Bei den Generalklauseln ist aus dem Wortsinn verhältnismäßig wenig zu erschließen; ihr Inhalt wird durch Rechtsprechung und Wissenschaft aufgefüllt (zu § 138 Rn 670 ff; zu § 242 Rn 247).