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1. Die Unterscheidung
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Über den Unterschied zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht gibt es zahlreiche Theorien. Die Schwierigkeiten liegen hauptsächlich darin begründet, dass der Staat nicht nur hoheitlich tätig wird, sondern bei bestimmten Geschäften, etwa dem Einkauf von Büromöbeln, wie eine Privatperson auftritt und dann nach den Regeln des bürgerlichen Rechts behandelt zu werden pflegt. Da der Staat folglich zum Teil öffentlich-rechtlich, zum Teil zivilrechtlich agiert, entsteht das schwierige Problem, die Vielzahl der Staatstätigkeiten der einen oder der anderen Kategorie zuzuteilen. Die Unterscheidung ist gleichwohl notwendig. Für Rechtsstreitigkeiten stehen nämlich verschiedene Gerichtsorganisationen („Rechtswege“) zur Verfügung: Verfassungsgerichte (für verfassungsrechtliche Angelegenheiten), Verwaltungsgerichte (für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art, § 40 I VwGO), ordentliche Gerichte (für Zivilsachen und Strafsachen, § 13 GVG) und schließlich Gerichte für besondere Gebiete (zB Sozialgerichte, Finanzgerichte). Welcher Rechtsweg einschlägig ist, hängt von der Natur des Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand des Verfahrens bildet. Diese Rechtsnatur ergibt sich wiederum daraus, welcher Art die Normen sind, die es gestalten. Wir wollen die Frage für den Unterschied zwischen Zivilrecht und öffentlichem Verwaltungsrecht näher erörtern.
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Der Unterschied zwischen den Normen des Zivilrechts und des öffentlichen Verwaltungsrechts liegt darin, für wen und gegenüber wem sie Rechtswirkungen anordnen (Adressaten der Rechtsfolgen). Man vergleiche folgende Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vom 19. Dezember 1952:
§ 3 I 1: Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen.
§ 2 I 1: Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde).
§ 7 I: Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Diese Vorschriften ordnen Rechtsfolgen an, die sich aus bestimmten Tatbeständen ergeben. Die Vorschriften unterscheiden sich jedoch in der Frage, wen die Rechtsfolgen treffen und im Verhältnis zu wem sie eintreten:
§ 3 I 1 ordnet eine Rechtsfolge (Pflicht) für eine Verwaltungsbehörde gegenüber einer beliebigen Person an: Sie hat ihr den Führerschein zu entziehen, wenn sie sich als ungeeignet erweist.
§ 2 I 1 ordnet eine Rechtsfolge für eine beliebige Person an, nämlich das Verbot, ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen ohne behördliche Erlaubnis zu führen. Es handelt sich um eine Rechtsfolge, die im Verhältnis zu den staatlichen Behörden eintritt, welche die Einhaltung des Verbots zu überwachen haben.
§ 7 I ordnet eine Schadenersatzpflicht im Verhältnis beliebiger Personen untereinander an.
Die Folgerung liegt nahe: § 7 I StVG bildet einen Rechtssatz des Zivilrechts; die §§ 3 I 1 und 2 I 1 StVG sind Rechtssätze des öffentlichen Rechts. Wir könnten demnach versuchen, die Regel wie folgt zu formulieren: Öffentlich-rechtlich sind solche Rechtssätze, die entweder Rechtsfolgen für eine Körperschaft/Anstalt des öffentlichen Rechts oder für eine beliebige Person gegenüber einer solchen Körperschaft/Anstalt anordnen.
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Die Sache kompliziert sich durch den erwähnten Umstand, dass die Personen des öffentlichen Rechts auch wie Privatpersonen im Geschäftsverkehr auftreten und dann nach Zivilrecht behandelt werden. Die Rechtsfolgen, die durch die öffentlich-rechtlichen Normen ausgesprochen werden, betreffen folglich die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten nur, soweit sie als Hoheitsträger agieren. Es kommt hinzu, dass der Staat in einigen Bereichen auch privatrechtlich organisierten Unternehmen hoheitliche Funktionen zur Ausübung überträgt („beliehene Unternehmen“). Folglich ist die Regel derart zu verallgemeinern, dass man für „Körperschaft und Anstalt des öffentlichen Rechts“ den Begriff „Hoheitsträger“ setzt. Die Definition lautet dann: Die Normen des öffentlichen Rechts ordnen Rechtsfolgen für Hoheitsträger oder für beliebige Personen im Verhältnis zu Hoheitsträgern an. Unter Hoheitsträgern verstehen wir dabei (1) Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, außer wenn sie „als Privatleute“ auftreten; (2) sonstige Personen, soweit ihnen ausnahmsweise Hoheitsbefugnisse eingeräumt sind.
Zur Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht ist aus dem römischen Recht folgender Satz überliefert: publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem pertinet (Ulpian, Digesten 1, 1, 1, 2). Diese Aussage ist heute nicht mehr brauchbar. Denn auch das Privatrecht dient nach unserem Verständnis nicht nur dem Einzelinteresse, sondern auch dem Funktionieren des Ganzen, das öffentliche Recht umgekehrt will nach sozialstaatlichem Verständnis auch dem Einzelnen ein menschenwürdiges Leben sichern.