Читать книгу Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1 - Martina Meier - Страница 25
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Miris Weihnachten
Entgeistert starrte sie auf das Gerippe. Nackt und braun stand es vor ihr auf der Terrasse. Nicht eine einzige Nadel haftete noch an den Zweigen. In einer dicken Schicht lagen sie zu ihren Füßen und zeigten den Weg, den sie mit dem vertrockneten Weihnachtsbaum gegangen war. Unvermittelt prustete sie los. So schlimm hatte sie es sich nicht vorgestellt. Wenn Mama das sehen würde! Aber Mama sah es nicht. Das war ja der Punkt. Mama war im Krankenhaus. Seit Wochen schon.
Als Miri begriffen hatte, dass in diesem Jahr alles anders sein würde, dass sich nichts von der überschäumenden Weihnachtsfreude einstellen, dass kein Plätzchenduft durch die Wohnung ziehen und dass niemand die Musikkapelle der Holzengel aufbauen würde, war sie sehr niedergeschlagen gewesen. Weihnachten ohne Mama, das war unvorstellbar. Papa gab sich alle Mühe, aber auch er vermisste Mama schrecklich. Manchmal seufzte er, blickte Miri bekümmert an und strich ihr übers Haar. Es war tröstend gemeint, aber es machte alles nur schlimmer.
Irgendwann war es mit Mama bergauf gegangen. Sie würde wieder ganz gesund werden. Miri dachte, dass das als Weihnachtsfreude genügen müsste, aber sie schaffte es nicht wirklich, ihre Enttäuschung zu verdrängen.
„Hast du die Krippe schon aufgebaut?“, fragte Mama eines Nachmittags. Bestürzt schüttelte Miri den Kopf. Sollte sie Vorbereitungen für Weihnachten treffen? Gab es keine geheimnisvollen Überraschungen? Am liebsten hätte sie gerufen: „Aber das machst du doch immer!“
Sie biss sich auf die Lippe. Sie wusste ja, dass das nicht möglich war, und sie wollte nicht zugeben, dass es ihr etwas ausmachte. Also gut, wenn es Mama wichtig war, würde sie sich darum kümmern.
Lustlos machte sie sich an die Arbeit. Den größten Teil der Kartons mit dem Weihnachtsschmuck ließ sie im Keller. Sie hatte nicht die Absicht alle zu öffnen. Ächzend schleppte sie die Krippe die Kellertreppe hinauf. Die Hütte hatte Papa vor ein paar Jahren aus Birkenzweigen selbst gebaut. Damit es neben der strohgedeckten Hütte genug Platz für die Hirten, Schafe, Hunde, Könige, Kamele und Engel gab, hatte Papa alles auf einer großen Holzplatte befestigt und einen Zaun aus abgesägten, runden Zweigen auf den Rand geklebt. Das hatte Miri immer besonders gut gefallen, aber dadurch war das Ding ziemlich schwer.
Ein wenig außer Atem begann sie mit dem Herrichten der Krippe. Zuerst steckte sie frisches Stroh in den Futtertrog, platzierte den Ochsen direkt daneben und versammelte alle Schafe und Hirten mit ihren Hunden am Zaun. Dann zogen Maria, Josef und das Jesuskind ein. Die Könige und ihre Kamele postierte sie vor dem Eingang zur Hütte. Die knienden Engel gab sie dem Jesuskind an die Seite.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Nun mochte sie gar nicht mehr aufhören, das Haus weihnachtlich zu schmücken und bald glänzten in den Fenstern Sterne aus buntem Transparentpapier. Auf dem Esstisch standen sich zwei Keramikengel gegenüber. Zu ihren Füßen glitzerten die vielen kleinen Sterne aus Goldpapier, die Miri dort verstreut hatte. Weihnachtswichtel mit roten Mützchen und Bäuchen aus Tannenzapfen zierten die Fensterbank und sogar die Engelchenkapelle stimmte ihre stille Musik auf der Kommode an. Beim nächsten Besuch im Krankenhaus beschrieb sie Mama alles haarklein. Dabei funkelte es in ihren Augen. Mama lächelte und sagte, dass sie nun auch etwas von Weihnachten fühlen könne.
Die größte Herausforderung war der Weihnachtsbaum. Papa brachte ihn zwei Tage vor Weihnachten vom Einkaufen mit und stellte ihn im Wohnzimmer auf. Miri machte sich gleich daran, ihn mit silbernen Kugeln, handgeschnitzten Engeln, Strohsternen und Kerzen zu schmücken – fast genauso, wie Mama es immer machte.
Heiligabend besuchten sie Mama im Krankenhaus und mussten ihr beim Abschied versprechen, zu Hause gleich die Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden. Wer weiß, sonst hätten sie es vielleicht doch nicht gemacht. Aber versprochen ist versprochen und so erstrahlte der Baum und es wurde tatsächlich ein bisschen Weihnachten. Von diesem Moment an liebte Miri „ihren“ Weihnachtsbaum. Auch als die Weihnachtstage längst vorüber waren, wollte sie sich nicht von ihm trennen. Zum ersten Mal in ihrem Leben durfte sie bestimmen, wann es Zeit zum Abschmücken war. Dieses Gefühl wollte sie genießen.
Tage verstrichen. Wochen schließlich. Immer noch hatte Miri Freude am Anblick des geschmückten Baumes. Mitte Januar fragte Papa vorsichtig, wann er den Baum wegräumen solle. Miri protestierte: „In diesem Jahr bin ich zuständig und ich finde, er kann noch stehen bleiben!“
Papa ließ sie gewähren.
Erst als im Garten die ersten Krokusse zielstrebig ihre Köpfe der Sonne entgegenstreckten, kamen Miri Bedenken. Sie würde ihren Weihnachtsbaum nicht für immer behalten können. Plötzlich war ihr das sonnenklar.
Sofort machte sie sich an die Arbeit. Behutsam zog sie die Kugeln von den Zweigen. Es gab ein leises, knisterndes Geräusch, als die Nadeln dabei zu Boden rieselten. Miri ging so vorsichtig wie möglich zu Werke. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass sich unter dem Baum ein dichter Teppich aus Tannennadeln bildete. Beim Hinaustragen verlor der Baum den letzten Rest seiner grünen Nadeln. Wieder stieg ein Glucksen in Miris Kehle hoch. Sie lachte über sich selbst. Was hatte sie da angerichtet! Der Staubsauger, dessen Bauch prall gefüllt war mit all den eingesaugten Tannennadeln, verbreitete noch tagelang ihren Duft. Papa entsorgte schmunzelnd das Gerippe und Mama lachte sich schief, als Miri ihr davon erzählte. Vielleicht war das das Beste an der ganzen Geschichte.
Christiane Amendt, Jahrgang 1955, ist freiberuflich tätige Lehrerin und LRS-Beraterin sowie Referentin für Fragestellungen zum Thema „Schule und Legasthenie“. Mit ihrer Familie lebt die fünffache Mutter in Minden in Westfalen. Ihre Hobbys: Gesang und Lesen, die Hunde Lolle und Leopold sowie deren Ausbildung und Training.