Читать книгу Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1 - Martina Meier - Страница 42

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Die knallrote Sonnenbrille

Es ist der 23. Dezember. In unserem kleinen Dorf ist die Vorfreude auf das Weihnachtsfest riesengroß. Denn das Christkind persönlich macht sich Jahr für Jahr auf, selbst unseren unscheinbaren Ort zu besuchen. Also bemühe ich mich um besondere Artigkeit und lobenswerten Fleiß, helfe beim Kochen, Spülen, Putzen und all den anderen Dingen, mit denen man als Fünfjährige der Mutter eine Freude bereiten kann.

„Du musst noch einen Wunschzettel fürs Christkind malen“, sagt Mutter beschwichtigend zu mir, als sie mich abends fürs Bett fertigmacht. Fast hätte ich das vergessen! Wie soll das Christkind auch sonst wissen, was ich mir wünsche? Ich nehme das leuchtendste Rot, das ich unter den Wachsmalstiften in der Blechdose finden kann, und bringe meinen sehnlichsten Wunsch aufs Papier: eine rote, aber wirklich knallrote Sonnenbrille!

Mittlerweile ist es draußen fast dunkel. Aber an dem breiten, rosa leuchtenden Streifen am Horizont kann man erkennen, dass die Engel jetzt noch fleißig fürs Weihnachtsfest backen. So haben es mir meine Eltern einmal erklärt. Schweigend nimmt Mutter meine Hand, führt mich vor die geöffnete Haustüre und schiebt meinen fest zusammengefalteten Wunschzettel auf die Küchenfensterbank unter einen schweren Stein. „Damit der Zettel nicht vom Wind davon getragen wird“, flüstert Mutter.

„Und ... und wozu legst du meinen Zettel auf die Fensterbank?“, stottere ich verdutzt, obwohl ich die Antwort eigentlich schon weiß.

„Na“, meine Mutter beginnt zu lächeln, „damit das Christkind oder seine Engel den Wunschzettel heute Nacht abholen können.“ Mit offenem Mund stehe ich da und spüre, wie mein kleines Herz rast. Erst als Mutter mich liebevoll am Arm zerrt, löst sich meine Erstarrung. „Ab ins Bett!“

Nicht gerade bereitwillig taumele ich die Stufen hoch durch unser kaltes Treppenhaus in mein Zimmer. Wärmflasche aus dem Bett, Kind in das Bett. Abendgebet. Licht aus. „Gute Nacht“, haucht Mutter, aber ich bin mit meinen Gedanken woanders: beim Christkind und seinen Engeln.

„Mama, kommt das Christkind den Wunschzettel wirklich diese Nacht abholen? Mamaaaa!“, rufe ich meiner Mutter, so laut ich nur kann, hinterher, aber ich erhalte keine Antwort mehr. In meinem Bauch flattert es, meine Fußsohlen sind warm und verschwitzt, weil ich sie vor lauter Aufregung aneinander reibe. Dennoch übermannt mich nur kurze Zeit später die Müdigkeit.

Mitten in der Nacht – oder ist es schon früher Morgen? – werde ich durch ein Geräusch geweckt. Es hört sich an wie das Niederdrücken unserer Haustürklinke. Oder ist es Vater, der in unserer Küche ein neues Feuer im Ofen macht? Er steht nämlich immer sehr früh auf und sorgt dafür, dass bereits wohlige Wärme herrscht, wenn der Rest der Familie dann aufsteht. Das Geräusch könnte aber auch etwas anderes sein ... Es könnte ... o, nein ... o, doch ...! Kreidebleich und starr wie ein Brett liege ich im Bett, als mir der Gedanke durch den Kopf schießt, dass dieses Geräusch nur das Wegschieben des Steins auf meinem Wunschzettel gewesen sein kann. Ich rolle mich zusammen wie eine Schnecke, ziehe die Decke bis an mein Kinn, sodass ich mit einem Ohr noch lauschen kann. Zu meinem Leidwesen verspüre ich plötzlich einen ungeheuren Druck auf meiner Blase. Aber ich kann doch jetzt nicht Pipi machen gehen! Oder doch ... es hilft ja nichts. Vorsichtig taste ich mich erst mit einem Bein, dann auch mit dem zweiten aus dem Bett. Und gerade, als ich mit meinem Po die hohe Bettkante hinunter rutschen will, höre ich Stimmen tuscheln. Mit einem Schwung springe ich wieder unter die Decke und ziehe sie fest über mein Gesicht.

Das Christkind und seine Engel, geht mir durch den Kopf, das Christkind ... Ich muss Pipi ... Ich muss ... Einige Sekunden später muss ich nicht mehr. Ich bin eingehüllt in ein warm-feuchtes Bettlaken und schlafe trotz alledem vor lauter Müdigkeit wieder ein.

Als mich Mutter morgens weckt, ist es draußen schon ganz hell. „Und? Hast du es gesehen, das Christkind? Sag mal!“, rufe ich aufgeregt. An der Mimik meiner Mutter erkenne ich, dass sie nicht gerade begeistert ist über die Mehrarbeit, die ich ihr durch das Pinkeln ins Bett verursacht habe. „Ach, Kleine, wie konnte das bloß passieren?“, sagt sie bestürzt. „Nun ja, was soll`s ... Nein, nein, natürlich habe ich das Christkind nicht gesehen, schließlich habe ich doch selbst geschlafen. Du weißt doch, es kommt mitten in der Nacht. Und nun zieh den nassen Schlafanzug aus!“

In Schlaghose und einen viel zu engen Pulli aus Glitzerwolle gezwängt hüpfe ich die Treppenstufen hinunter, durch den eiskalten Flur bis an die Haustüre. Gerade als ich öffnen will, schließt Vater von außen die Haustüre auf. Zu seinen Füßen liegt ein großer dunkelgrüner Tannenbaum. „Hilfst du mir ihn zu schmücken?“, fragt er.

„Ja, Papa, ich muss nur erst mal nachsehen, ob mein ...“ Ich drängele mich an der Tanne vorbei nach draußen, hüpfe mehrmals mit großem Schwung nach oben, um auf die Fensterbank sehen zu können, „... ob mein Wunschzettel ... wirklich ... weg ... ist ...“ „Er ist weg! Er ist weg!“, schreie ich. Soll ich vor Freude noch höher springen oder vor Ehrfurcht erstarren? Ich weiß es nicht, also renne ich ins Haus. Es ist eh Zeit für ein Frühstücksbrot und eine Tasse warmer Milch. Nach dem Frühstück lasse ich es mir nicht nehmen, mit Vater zusammen den Baum zu schmücken. Während der ganzen Zeit herrscht geheimnisvolles Schweigen.

Nur ab und zu wird die Stille unterbrochen: „Die Kugel muss etwas höher, Papa, die Kerze klemmt zu weit unten, Papa ...“ Als wir fertig sind, steht in unserem Wohnzimmer ein wunderschöner Christbaum. Ich bin sicher, das Christkind wird sich an ihm erfreuen!

„Ich will nicht, ich will nicht!“, schreie ich unter Tränen, während Mutter am Nachmittag Wasser in die Wanne einlaufen lässt.

Aber Mutter klemmt mich unter ihren starken Arm und befördert mich in das kleine Badezimmer. Hier gibt es kein Entrinnen. „Das Christkind sieht, wenn deine Ohren und dein Hals nicht sauber sind!“

„Ich zieh einen Rollkragenpulli an!“, schreie ich weiter, immer noch unter Tränen. Eigentlich hasse ich Rollkragenpullis.

„Nur liebe Kinder ...“, beginnt Mutter streng, unterbricht sich jedoch selbst. Dann fährt sie besänftigend fort: „… und weil du eben ein liebes Mädchen bist, hat das Christkind ja auch letzte Nacht deinen Wunschzettel mitgenommen.“ Langsam versiegen meine Tränen. Nun, das stimmt. „Gut, Ma ... ma, dann ...“, meine Stimme wird immer noch vom Schluchzen unterbrochen, „... dann muss ... der Alwin auch in die ... Wanne.“

„Na gut“, gibt Mutter nach und bringt meine Lieblingspuppe zu mir ins Bad.

Alwin glänzt und lacht zufrieden, als er vor mir auf dem Küchentisch sitzt, während ich einen Engel male. Es soll ein Geschenk werden – fürs Christkind persönlich. Ich gebe mir besonders viel Mühe und trage die Wachsmalkreiden extra dick auf. Schnell lege ich mein Gemälde unter den Christbaum, bevor Vater die Wohnzimmertüre zuschließt – klick-klack – und auch das Schlüsselloch ist nun zugeklebt. Wieso, kann ich mir zwar nicht erklären, aber es hat jedenfalls etwas sehr Geheimnisvolles. Mutter sagt, es habe damit zu tun, dass das Christkind, wenn es denn kommt, im Wohnzimmer allein und ungestört sein möchte. „Mama, läutet das Christkind denn an der Türe, wenn es kommt?“

„Aber nein, nein! Es kommt einfach so in unser Haus hinein.“

„Aber, was heißt denn einfach so? Wie kommt es denn hinein?“

„Nun, ... man muss ihm eben nicht die Türen öffnen, sondern nur sein Herz.“

„Aber wie kann man denn sein Herz ...?“

„Jetzt ist es genug!“, unterbricht Mutter müde und mit strengem Ton. Da stehe ich nun mit all meinen unbeantworteten Fragen!

Schal um, Mütze auf, Jacke an, Handschuhe an. Kindermessbuch in die Jackentasche und ab zur Christmette. Anderthalb Stunden lang sitze, knie und stehe ich zwischen Mutter und Vater in der Kirchenbank. Der Chor singt „Gloria In Excelsis Deo“ und hört und hört nicht mehr auf. Gewöhnlich schaffe ich es, während eines einzigen Gottesdienstes mein Kindermessbuch ganz durchzusehen. Aber heute Abend gehen mir zu viele Gedanken durch den Kopf: Wie mag das Christkind wohl aussehen? Ist es blond? Hat es lange braune Haare? Hat es Flügel? Na klar, wie soll es denn sonst vom Himmel herunter kommen. Hat es Schuhe an? Trägt es ein Kleid oder eine Hose mit Glitter darauf? Fragen über Fragen.

Es ist bereits stockdunkel, als wir nach Hause gehen. Und je mehr wir uns unserem Haus nähern, desto langsamer wird mein Schritttempo.

„Was hast du, jetzt komm endlich!“, drängen Vater und Mutter wie aus einem Munde. Nun spüre ich wieder dieses Flattern in der Bauchgegend. „Aber, ... aber, was ist, wenn das Christkind jetzt da ist? Und wenn es uns dann über den Weg läuft ...?“

Meine Eltern sehen sich an, lächeln einander zu, und ... geben keine Antwort! Nein, sie antworten einfach nicht! Sie zerren mich am Arm Richtung Haustüre. Ich schließe die Augen, dann wird mir schon nichts passieren. Im Hausflur zieht mir Mutter die winterliche Kleidung aus – meine Augen sind immer noch fest verschlossen. Vor lauter Spannung würde ich mich am liebsten ins Nichts auflösen.

„Ich muss noch mal eben einkaufen“, ruft Mutter. Erst jetzt öffne ich die Augen. Sie schnappt sich ihre große braune Einkaufstasche – und ist weg. Wie kann uns Mutter jetzt allein lassen, denke ich, jetzt, wo doch jeden Augenblick das Christkind ...

Ich schleiche mich zu Vater in die Küche. „Na, Mutter wird schon rechtzeitig wieder da sein“, sagt er beruhigend. Er stellt den Plattenspieler an: „O, du fröhliche ...“ schallt es, und die Plattennadel kratzt lautstark über die schwarze Scheibe.

Da! Bimmelimmelimm, Bimmelimmelimm, ertönt es aus dem Wohnzimmer. Mein Herz rast. Ist das etwa das Glöckchen vom ...?

„Das Christkind ist da!“, ruft Vater freudig. Ich erzittere am ganzen Körper, meine Knie werden weich wie Mutters Puddingspeisen. Ich halte mich an Vaters Bein fest. „Jetzt ist die Mama gar nicht da“, hauche ich kaum hörbar, zur Wohnzimmertüre hin starrend. Just in dem Moment dreht sich ein Schlüssel im Haustürschloss. Noch fester klammere ich mich an Vater. Die Haustüre geht auf und ... Mutter kommt herein.

„Mama, Mama, das Christkind hat schon geklingelt!“

„Na, dann bin ich ja gerade pünktlich zurück!“ In Mutters Stimme liegt etwas Merkwürdiges … Ich starre sie fragend an, dann schweift mein Blick langsam durch den langen Hausflur bis zur hölzernen Hintertüre, sie steht einen kleinen Spalt offen, und wandert von hier aus zur Wohnzimmertüre, dann zurück zur Hintertüre und wieder zu Mutter. „Na, dann lasst uns mal zusammen ins Wohnzimmer gehen“, lächelt Mutter und hält mir ihre Hand hin.

Ich weiß nicht genau, wie ich ins Wohnzimmer gekommen bin, aber plötzlich stehe ich mitten drin. Mitten drin in einer überwältigenden Pracht! Der Weihnachtsbaum erstrahlt in einem Glanz, wie ich es nie zu träumen gewagt habe! Alle Kerzen brennen, die goldenen Kugeln leuchten in deren Schein. Beim Anblick dieses Zaubers fällt die ganze Anspannung, die mir eben noch innewohnte, ab wie eine leere Körperhülle, und mir wird angenehm warm.

Mutter stimmt das Lied „O Tannenbaum“ an. Erleichtert singe ich so laut ich nur kann. Und dann, dann gibt es die Geschenke. Wunderschön verpackt hat das Christkind sie zusammen mit seinen Engeln unter den Baum gelegt.

„Das war doch das Christkind, oder?“ Mein Blick wandert fragend zwischen Mutter und Vater hin und her.

„Aber natürlich, Kleine. Sieh doch, sogar dein gemaltes Bild hat das Christkind mitgenommen!“

O ja! Mein Bild ist weg! Und das erfüllt mich mit noch größerem Glück als das Weihnachtsgeschenk, welches das Christkind für mich da gelassen hat: eine rote, eine knallrote Sonnenbrille!

Maggie Jung wurde 1968 in Bitburg geboren. Sie ist Staatlich anerkannte Erzieherin und war in diversen Institutionen für Vor- und Grundschulkinder und für Jugendliche beschäftigt. Die Autorin hat über zehn Jahre mit körperlich und geistig behinderten Kindern gearbeitet sowie mit jungen Erwachsenen aus familiär sehr schwierigen Verhältnissen. Maggie Jung war als Lehrerin für musikalische Früherziehung tätig und hat neben einer musikalischen und tanztherapeutischen Ausbildung Theologie und Religionspädagogik studiert. Seit einiger Zeit arbeitet sie als freie Autorin und Illustratorin.

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