Читать книгу Musikwissenschaftliches Arbeiten - Matthew Gardner - Страница 7
Musikwissenschaft: Gegenstand und Arbeitsweise
ОглавлениеWomit ein Pianist seine Zeit verbringt (mit Üben, Konzertieren, Unterrichten), dürfte jedem klar sein, doch was macht ein Musikwissenschaftler? Wofür interessiert er sich, und wie arbeitet er? Nicole Schwindt hat in der Vorgängerversion dieses Buches den Gegenstand und die Arbeitsweise der Musikwissenschaft folgendermaßen definiert: Die Musikwissenschaft habe das »Ziel, musikalische Erscheinungsformen sowie die Zusammenhänge, in denen sie stehen, zu erkennen und den gegenüber bereits bestehender Erkenntnis gewonnenen Erkenntnisfortschritt in sprachlicher Form zu äußern«.1 Diese allgemein gehaltene und dennoch präzise Definition lässt zum einen Raum für die vielen heterogenen Phänomene, die Musik hervorbringen, sowie die vielfältigen Kontexte, in denen sie verortet sein kann. Zum anderen stellt sie die |15| Musikwissenschaft mit ihrer Arbeitsweise in einen größeren, für alle Geisteswissenschaften verbindlichen Erkenntnisprozess.
Zum Gegenstand des Faches zählen danach so unterschiedliche Erscheinungsformen wie eine Beethoven-Sinfonie, ein Rap-Song, ein Fangesang im Fußballstadion oder eine rituelle Begräbnismusik aus Papua-Neuguinea. Fließend kann sich dabei der Übergang von der Musik zum Geräusch gestalten, das in seiner reinen Form eher zum Forschungsgebiet der in den Medienwissenschaften angesiedelten Sound Studies gehört. Ebenso vielfältig wie die Erscheinungsformen von Musik sind die »Zusammenhänge, in denen sie stehen« können. Zusammenhänge im engeren Sinne sind die Voraussetzungen, unter denen Musik oder eine bestimmte musikalische Erscheinung entstehen, und die Wirkungen, die von ihr ausgehen. Zu den Voraussetzungen zählen dabei z.B. besondere historische, philologische, soziale oder biografische Konstellationen, die sich in der konkreten Ausgestaltung einer musikalischen Ausdrucksform niederschlagen. Wirken kann Musik auf vielen unterschiedlichen Ebenen: physikalisch, physiologisch oder psychologisch, aber auch historisch, sozial oder politisch. Schon an diesen Begriffen zeigen sich zahlreiche Querverbindungen und Schnittstellen zu anderen Fachwissenschaften wie Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaften, Natur- und Sozialwissenschaften, Philosophie oder Theologie, ohne die musikalische Erscheinungsformen und ihre Kontexte häufig nur unzureichend zu beschreiben und zu interpretieren wären.
Guido Adlers Aufsatz »Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft« (1885)
Guido Adler (1855–1941) war einer der einflussreichsten Musikwissenschaftler um die Wende zum 20. Jahrhundert und ab 1898 Professor an der Universität Wien. Gemeinsam mit Philipp Spitta und Friedrich Chrysander begründete er 1885 die Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft. Eröffnet wird sie von seinem Aufsatz »Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft«, mit der er gleichsam eine Gründungserklärung der Musikwissenschaft als universitärer Disziplin vorlegte. Adler verfolgte hier erstmals eine methodische Trennung der Musikwissenschaft in zwei Teildisziplinen: die Historische und die Systematische Musikwissenschaft. Die Ethnomusikologie, damals noch Musikologie oder vergleichende Musikwissenschaft genannt, bezeichnete Adler noch als Nebengebiet der Systematischen Musikwissenschaft, bevor sie sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer eigenen Disziplin herausbilden konnte.
|16| Es liegt auf der Hand, dass die große Bandbreite unterschiedlichster Gegenstände und Zusammenhänge im Bereich der musikwissenschaftlichen Forschung auch eine hohe Zahl unterschiedlicher Methoden und Arbeitsweisen erfordert. Diese Gegenstands- und Methodenvielfalt hat vor allem im deutschsprachigen Raum zu einer historisch gewachsenen Untergliederung der Musikwissenschaft in drei große Arbeitsbereiche geführt, die so auch in der universitären Landschaft, sei es bei der Bezeichnung von Lehrstühlen oder in den Arbeitsgruppen der Gesellschaft für Musikforschung (http://www.musikforschung.de), präsent sind:
Historische Musikwissenschaft
Systematische Musikwissenschaft
Ethnomusikologie
Alle drei lassen sich als getrennte Forschungsgebiete beschreiben, die sich in ihren Gegenständen und Methoden aber auch immer wieder überschneiden und ergänzen.