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1. Relevantes Handeln und Unterlassen der öffentlichen Gewalt

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Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist es in umfangreichen Strafverfahren oft nicht leicht, aber praktisch besonders wichtig, den Verfahrensgegenstand oder die Verfahrensgegenstände exakt herauszuarbeiten. An dieser zentralen Vorfrage hängen viele Folgefragen, etwa, welche Entscheidungen den Mandanten tatsächlich noch (oder schon) beschweren, welche Fristen (noch) offen sind und welche Rechtsbehelfe noch (oder leider nicht mehr) auszuschöpfen sind. Denkbar sind unter anderem folgende Konstellationen: Angriffsobjekt sind ein oder mehrere Urteile oder Gerichtsbeschlüsse (Urteilsverfassungsbeschwerde), eine gesetzliche Vorschrift (zumeist mittelbar im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde, sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde), oder die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen Akt der Exekutive. Ein kombinierter Angriff kann sich z. B. als Folge einer fachgerichtlich bestätigten Entscheidung der Exekutive ergeben, welche auf einem auf verfassungswidrigem Gesetz beruht. Andere Rechtsschutzziele, wie die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die Stellung von Strafanträgen und Ähnliches können im Wege der Verfassungsbeschwerde nicht verfolgt werden.

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Angriffsgegenstand im Verfassungsbeschwerdeverfahren sind nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 Abs. 1 BVerfGG alle Handlungen und Unterlassungen der öffentlichen Gewalt. Als Folge der umfassenden Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) ist der Begriff anders als im Rahmen der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG hier weit zu verstehen. Ihm unterfallen in st. Rspr.[1] nicht nur Maßnahmen der Exekutive, sondern auch Akte der Rechtsprechung – was bei Art. 19 Abs. 4 in jüngerer Zeit zu Recht bestritten wird („Rechtsschutz durch den Richter gegen den Richter“[2]) – und der Legislative.[3] Das Gericht kann die Verfassungswidrigkeit des Aktes feststellen, ein Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige Entscheidung aufheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückverweisen (§ 95 BVerfGG).

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Ein Unterlassen der Exekutive und der Rechtsprechung ist nur dann verfassungswidrig und mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar, wenn ein unmittelbarer grundgesetzlicher Entscheidungszwang i.S.e. einer determinierten Handlungspflicht etwa aus staatlicher Schutzpflicht besteht. Erfasst sind nur Konstellationen sog. „echten Unterlassens“, wenn die öffentliche Gewalt also gänzlich untätig bleibt und sich der Beschwerdeführer auf einen konkreten verfassungsrechtlichen Handlungsauftrag berufen kann. Das ist selten. Dieser ist für die Rechtsprechung in Art. 19 Abs. 4 GG eigens angeordnet, wenn das Gericht in angemessener Frist vollständig untätig bleibt.[4] Für die Exekutive wird ein solches Gebot aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet. Fälle gesetzgeberischen Unterlassens werden hingegen kontrovers diskutiert.

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Sollte ausnahmsweise eine Verfassungsbeschwerde gegen Unterlassungen in Betracht kommen, ist diese zeitlich zulässig, solange die Unterlassung fortdauert.[5]

Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen

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