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7. Beleidigung (§§ 185, 193 StGB)
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Zu den Grundpflichten des Rechtsanwalts gehört es, dass er sich sachlich verhält. Nach § 43a Abs. 3 BRAO verlässt der Rechtsanwalt den Boden der Sachlichkeit dann, wenn er ein Verhalten zeigt, bei dem es ihm um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solchen herabsetzenden Äußerungen geht, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Ein derartiges Verhalten kann sich für den Verteidiger zudem als strafbare, nicht mehr von der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckte Beleidigung darstellen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss sich das in § 43a Abs. 2 BRAO normierte Sachlichkeitsgebot im Rahmen der vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gezogenen Grenzen halten und unterliegt insoweit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.[290]
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Dabei sei davon auszugehen, dass die anwaltliche Berufsausübung grundsätzlich der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen unterliegt. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege und als der berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden habe der Verteidiger „die Aufgabe, zum Finden einer sachgerechten Entscheidung beizutragen, das Gericht – und ebenso Staatsanwaltschaft oder Behörden – vor Fehlentscheidungen zu Lasten seines Mandanten zu bewahren und diesen vor verfassungswidriger Beeinträchtigung oder staatlicher Machtüberschreitung zu sichern; insbesondere soll er die rechtsunkundige Partei vor der Gefahr des Rechtsverlustes schützen“.[291] Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erlaube es dem Verteidiger „ebenso wie dem Richter“ nicht, „immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen“. Der Verteidiger dürfe „im Kampf um das Recht auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen“. Nicht entscheidend sei es, ob er seine Kritik anders hätte formulieren können. Die Grenze einer zumutbaren Beschränkung der Berufsausübung und der Meinungsfreiheit sei „insbesondere überschritten, wenn Kammervorstände oder Ehrengerichte das Verhalten eines Anwalts als standeswidrig mit der Begründung beanstanden, es würde von anderen Verfahrensbeteiligten als stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden oder es sei dem Ansehen des Anwaltsstandes abträglich“.[292]
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Bei der Beurteilung, ob ein Verteidiger sich im Rahmen seiner Tätigkeiten durch seine Äußerungen strafbar gemacht hat, gelte nichts anderes.[293] Soweit der im Rahmen seiner Berufsausübung auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, dürfe er hierbei auch „ad personam“ argumentieren, ohne sich deshalb strafbar zu machen.[294] Nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen unterliegen dem Schutzbereich des Art. 5 GG. Dies gelte nur dann nicht, wenn sie zur Meinungsbildung nichts beitragen können, was erst dann der Fall sei, wenn eine bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung in Frage stehe.[295]
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Ehrverletzende Äußerungen eines Verteidigers, die dieser ersichtlich (zumindest auch)[296] im Interesse einer ungehinderten und effektiven Verteidigung seines Mandanten anbringt, sind damit jedenfalls dann von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt und hierdurch gerechtfertigt, wenn und soweit sie sich nicht als dem Anlass völlig unangemessen oder gänzlich neben der Sache liegend darstellen.[297] Der Schutz der Ehre tritt in diesen Fällen gegenüber dem rechtsstaatlichen Gebot zurück, eine ungehinderte und damit wirksame Strafverteidigung zu ermöglichen.[298] Das Mandatsverhältnis führt jedoch nicht zu einem rechtsfreien Raum. Soweit der Verteidiger gegenüber dem Mandanten ehrverletzende Äußerungen in Bezug auf die Justiz abgibt, dienen diese offensichtlich nicht der Verteidigung selbst und bleiben damit strafbar.[299]
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So erfüllt die Bezeichnung einer richterlichen Entscheidung in einem Strafverfahren durch den Verteidiger als (objektiv) willkürlich bereits nicht den Tatbestand des § 185 StGB, wenn und soweit sie sich bei verständiger Würdigung ihres Verteidigungsziels nicht gegen die Ehre des Richters richtet, sondern mit der Äußerung ersichtlich die vom Gericht getroffene Entscheidung angegriffen werden soll und sie im Rahmen einer sachgerechten Verteidigung erhoben wird.[300] Die Bezeichnung einer richterlichen Entscheidung als (objektiv) „willkürlich“ kann für den Verteidiger im Sinne einer sachgerechten Verteidigung sogar notwendig werden, so um einem hierauf gestützten Befangenheitsgesuch zum Erfolg zu verhelfen[301] oder damit die Verfassungswidrigkeit einer gerichtlichen Entscheidung zu begründen.[302]
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Auch bei dem gegen einen Richter – ausdrücklich oder implizit – erhobenen Vorwurf der „Rechtsbeugung“ wird der Meinungsfreiheit jedenfalls dann der Vorzug gegeben, wenn „der Vorwurf nicht selbstständig im Raum steht, sondern Teil einer (komplexen) Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient und jedenfalls aus der Sicht des Äußernden auch nicht völlig aus der Luft gegriffen ist und daher nicht die Qualität eines Wertungsexzesses erreicht oder sonst missbräuchlich erscheint“, auch wenn er „für jeden Richter eine schwere, nicht akzeptable Kränkung bedeutet“.[303]
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Hält der Verteidiger die aufgezeigten, von der Rechtsprechung aufgestellten Grenzen im Rahmen seiner Meinungsäußerung ein, so darf und muss er ggf. sogar zur Wahrnehmung der Rechte seines Mandanten in dieser Weise Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen, ohne sogleich befürchten zu müssen, einer Strafverfolgung ausgesetzt zu sein. Sein Verhalten wird sich innerhalb der aufgezeigten Grenzen i.d.R. jedenfalls als „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ i.S.d. § 193 StGB darstellen.[304]
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Der (weitere) Rechtfertigungsgrund der Meinungsäußerung zum Zwecke der „Ausführung und Verteidigung von Rechten“ i.S.d. § 193 StGB hingegen soll für den Verteidiger nur insoweit gelten, als es sich um eigene Rechte des Verteidigers und nicht die Vertretung von Rechten oder Interessen des Mandanten handelt.[305]
Kapitel 1 Die Übernahme des strafrechtlichen Mandats › A. Allgemeines › V. Beratung des Mandanten über außerstrafrechtliche Folgen der Straftat