Читать книгу Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler - Страница 26
ОглавлениеEs ist nicht leicht, sich allseitig in die Lage zu versetzen, in der sich Peter Lebegern befand, als er erwachte.
Äusserlich lag er auf einem Moosbett, das herzhaft mürfelte, hatte seine grün-weisse Hose zu zwei harmonikaähnlichen Beinschläuchen verlegen und das neue dunkelblaue Sacko zu einem unwürdigen Knitterding. „Ich hätte den Rock auch ausziehen können!“ dachte er. Da stand er schon draussen im hohen Lichte des Tages. Er hatte einen traumlosen Schlummer gehabt von einwandfreier Köstlichkeit — sehr krank musste der Mensch sein, der über solch einem Schlafe nicht genesen wäre.
So war denn auch Peter Lebegern wohlauf. Es wäre also an der Zeit gewesen, einen Vorsatz zu fassen, der ihn mit stolzem Schwunge hinabwarf ins Land der Vernunft. Etwa so: ‚Nun, Peter Lebegern, du hast gestern eine sehr abenteuerliche Bergfahrt unternommen und dankst es einem gütigen Schicksal, dass du noch am Leben bist. Augenblicklich hast du peinliche Ähnlichkeit mit einem Pennbruder. Betrachte dir also noch drei Stunden lang die machtvoll getürmte Herrlichkeit dieses Hochgebirges. Dann steige hinab ins Land, da die Menschen wohnen, und schlüpfe hinter dem gütigen Vorhange der Nacht in dein Zimmer und in die Kultur!‘
Äusserlich hatte er sich in den letzten vierundzwanzig Stunden also sehr zu seinem Nachteile verändert. Von der inneren Verfassung lässt sich ein zutreffendes Abbild viel schwerer entwerfen. Peter Lebegern dachte nämlich gar nicht daran, gegen Mittag wieder zutal zu fahren. Sondern: über Nacht schien der wahnwitzige Vorsatz von gestern erst recht unumstösslich in ihm geworden zu sein. Es war keine Stimme da, die ihm ängstlich warnend zurief: „Mensch, erkennst du denn nicht, dass du dich an dieser Stätte langsam in den Tod hungerst? Du hast die Brieftasche voll Geld. In schmucken Gasthäusern warten fürstliche Mahlzeiten auf dich!“ … Die innere Stimme hätte nach dem Muster des Pius Heidvogel vier Spalten der schönsten Lockmittel aufzählen können. Aber — die innere Stimme war nicht da.
So war er entweder von allen guten Geistern verlassen, oder: hatte sich sein Auge über der Hochlandfahrt dermassen geschärft, dass er sein Dasein während der zwei letztvergangenen Jahre als Ungeheuerlichkeit erkannte? Hatte er von dieser Gipfelhöhe aus ermessen gelernt, wie weltenweit er abgeirrt war von den Wegen, auf denen er dereinst gewandert: ein Sonnenpilger, ein Königsträumer, ein Dichter, ein Liebling Gottes?
Aber: weder das Verlassensein von allen guten Geistern schuf ihm Beschwernis, noch waren seine Augen in der klingenden Bergluft übersichtig geworden. Sondern: er war sich der Ausgelassenheit seines Vorhabens gänzlich unbewusst. Er dachte nicht an einen Zweck und er dachte nicht an die Gefahren seiner Bergsiedelei. Es war das beseligende Gesühl der Erlösung, dem er sich ohne Sinnen und Sorgen hingab. Es war das Glück, an dem andren Ufer der blauen Wässer zu sitzen, über die ihn seine Sehnsucht durch Jahre getragen. Es war die köstliche Erfüllung in ihm, nach der er lange, lange suchen gegangen war mit der Seele.