Читать книгу Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler - Страница 42

Оглавление

An einem Novembertage stieg er in Thüringen, unfern den Ufern der Saale, auf eine Höhe. Es lugten von da oben gespensterhaft die Schattenrisse einer alten Burg durch die Nebel. Ruinenhaft. Ja. Aber der sehr schöne Klang einer Glocke, die da oben geläutet wurde — wie kam der in diesen Traum der Vergangenheit? Es waren die letzten Tage der ziehenden Vögel. In der versponnenen Welt roch es nach Spätherbstlaub. Die kahlen Zweige trugen Perlen aus Glas.

Auf einmal stand Peter Lebegern in dem Burghof. Die Glocke schwieg nun längst wieder. Und er erkannte fast zu seinem Erstaunen: da war nicht eine Ruine, in der er heimlich dem Flüstern vergangener Zeiten zuhören konnte, solange es ihm gefiel! Es ging nämlich eine kleine rundliche Frau mit einem Melkeimer über den Hof, die sah ihn zu Tod erschrocken an und gehörte keineswegs in die Vergangenheit.

Während Peter mit ihr redete und sich bemühte, im dichten Nebel den Zusammenhang des alten Bauwerks mit der Gegenwart zu ergründen, trat aus den Schleiern des Tages eine schöne schlanke Frau. Sie trug einen dunklen Kleidrock und ein über der Brust mit Goldfäden geschnürtes Ärmelmieder aus braunem Sammet. Es war die Burgfrau selber; sie sah aus wie ein lebendig gewordenes Ahnenbild. Sie gab der kleinen Rundlichen einen Befehl und blickte den Gast fragweis an, als sie mit ihm allein war. Sie kamen gleich in ein fesselndes Gespräch; denn die rundliche Frau mit dem Melkeimer hatte im Stall das Gespenst gesehen mit den feurigen Zähnen …

„Nun,“ sagte die Burgfrau, „es geistert in solch einem Bergnest in allen Ecken. Und wenn sich die Nebel tagelang um das Gemäuer wälzen, gehören in der Tat klare Augen dazu, die simple Wirklichkeit nicht in eine Welt von Geistern zu verdichten.“

Es war zu ebener Erde ein Gelass in einem Rundturm. Dort brannte Feuer im Kamin. Sein Schein lachte zu der offen gebliebenen Tür heraus. Ein Tisch und Stühle mit geschnitzten Lehnen standen darin. Decke und Wände waren wuchtig mit dunkelbraunem Eichenholz getäfelt. Geschlechter hatten sich durch dies Gemach gelebt. Man trat aus dem Burghof hinein.

„Sie suchen Gestorbene,“ begann die schöne Frau, „Ihr Weg hat Sie nicht falsch geführt. Sie suchen eine Ruine. Nun, diese Burg ist zur Hälfte Verfall, zur anderen von Toten bewohnt: man ist hier langsam dem Leben aus den Händen gefallen. Ein Stamm, der an seinem Alter stirbt.“

Schmerzvolles Lächeln machte ihren Mund für einen Augenblick noch trauriger. Unsagbar traurig. „Ich habe einen Sohn, der die Volksschule des Städtchens besucht. Sein Vater ist unter die Goldgräber gegangen — in Kalifornien. Zuvor hat er die Spielhöllen bereist. Nun hausen wir hier oben — der Knabe, ich und die Magd Kathinka. Aussenseiter des Lebens, haben wir keinen Wunsch nach Menschen und ihrer Gesellschaft …“

Damit war Frau von Landroff an die Stelle auf dem Wege gekommen, an der sie einander begegneten. Peter Lebegern erkannte: es war in diesem Haus auf dem Berge das Schicksal zu seiner ganzen brutalen Macht gelangt. So beschloss er, zu bleiben.

„Gnädige Frau,“ sagte er, „gestatten Sie mir, dass ich Ihren Sohn eine Zeitlang als Lehrer und Erzieher in meine Obhut nehme. Lassen Sie mich dafür an Ihrer Tafel speisen und unter Ihrem Dache wohnen.“

Die Burgfrau horchte auf. Der Gedanke, dass ein Mensch ihre Ruinenverlorenheit teilen wolle, befremdete sie. Einen Augenblick schloss sie die Lider. Dann erklärte sie ihr Einverständnis mit dem Gleichmut der Fatalistin.

Peter Lebegerns große Reise

Подняться наверх