Читать книгу Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften - Maxwell Bennett - Страница 46
1.4 Der Reflexbegriff: Bell, Magendie und Marshall Hall Das Rückenmark kann unabhängig vom Enkephalon operieren
ОглавлениеSeit uralten Zeiten weiß man, dass eine Schlange sich noch Tage nach Abtrennung ihres Kopfes auf eine Berührung hin bewegt. Eine gründliche Studie der Fähigkeit des Rückenmarks, Muskelkontraktion und Bewegung ohne die Teilhabe des Gehirns anzustoßen, wurde bis zu den Untersuchungen Alexander Stuarts (1637–1742) allerdings nicht vorgelegt. In seiner Croonian Lecture für die Royal Society London von 1739 beschrieb Stuart Experimente, in denen er einem Frosch zuerst den Kopf abtrennte und dann mit einem stumpfen Instrument Druck auf das Rückenmark ausübte, was dazu führte, dass die Glieder sich bewegten. Aus diesen Experimenten folgerte er, dass der Druck die Lebensgeister aus dem Rückenmark in die zu den Muskeln führenden Nerven hineingezwungen habe.57 Stuart glaubte, auf diese Weise den Fluss der Lebensgeister vom Rückenmark zu den Muskeln experimentell nachgewiesen und sie als die für die Muskelkontraktion verantwortlichen Akteure ausgewiesen zu haben.
Die Frage, wie Tiere ohne das Mitwirken des Enkephalons auf einer bestimmten Ebene weiter funktionieren können, wurde dann wieder von Robert Whytt (1714–1766) aufgegriffen, in seinen um das Jahr 1751 herum in Edinburgh verfassten Arbeiten Essays on the Vital and Involuntary Motions of Animals und Observations on the Sensibility and Irritability of the Parts of Man and Other Animals.58 Whytt konnte den von Descartes und Willis vorgebrachten mechanischen Leitgedanken nicht akzeptieren, dass nämlich der Reflex ohne die Intervention einer ihn anstoßenden Seele zustande kommt. Er schrieb: „Die infolge einer Reizung von uns vollzogenen Bewegungen verdanken sich der ursprünglichen Konstitution unseres Körpers, auf deren Grundlage die Seele oder das Empfindungsprinzip unmittelbar und ohne vorherige Reflexion danach strebt, in jedem Fall und auf die wirksamste Weise jede unliebsame Empfindung zu vermeiden oder abzuschütteln, die sich ihr durch das, was immer dem Körper Schmerzen verursacht oder ihn quält, vermittelt.“ Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Konzeption eher cartesianisch denn aristotelisch inspiriert ist. Denn sie postuliert ein Empfindungsprinzip (und mithin eines des Bewusstseins). Whytt nahm Sherrington hinsichtlich des Stretch-Reflexes vorweg: „Was immer die Fasern egal welchen Muskels derart dehnt, dass sie sich über ihren gewöhnlichen Umfang hinaus erweitern, regt sie zur Kontraktion an, etwa so, als wären sie durch irgendein scharfes Instrument oder eine beißende Flüssigkeit gereizt worden.“59