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Eccles’ Konzeption des Liaison-Gehirns und Descartes’ Konzeption der Zirbeldrüse im Vergleich

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Descartes dachte, dass Geist und Gehirn in der Zirbeldrüse und ausschließlich in ihr in Kontakt miteinander kommen und dass der Geist erfasst, was uns vor Augen steht, kraft der von beiden Augen kommenden Bilder, die in der Zirbeldrüse vereinigt werden. Eccles dachte, dass sich der Kontakt mit dem Geist im Liaison-Gehirn herstellt, wo die von den Sinnesorganen stammenden Nervenimpulse dem Geist gewissermaßen zugänglich gemacht werden. Zwischen beiden Positionen gibt es allerdings einen gravierenden Unterschied. Descartes ging davon aus, dass die Zirbeldrüse selbst – das heißt ein Teil des Gehirns – die Aufgabe des aristotelischen und scholastischen Sensus communis erfüllt, nämlich, die Daten der einzelnen Sinne zu synthetisieren und zu vereinigen. In dieser Hinsicht war sein Denken moderner als das von Eccles, da die Neurowissenschaftler in diesen Tagen ebenfalls davon ausgehen, dass das ‚Bindungsproblem‘ vom Gehirn gelöst wird (und nicht vom Geist).102 Denn Singers Entdeckungen103 der miteinander verknüpften oszillierenden ‚Feuersalven‘ in verschiedenen Teilen des Gehirns, mit denen eine Wahrnehmungserfahrung einhergeht, legen nahe, dass die Gleichzeitigkeit dieser vielfältigen neuronalen Aktivitäten und ihre Verbindungen zu anderen Arealen des Kortex notwendige Bedingungen dafür sind, dass ein Wahrnehmender die Art einheitlicher Wahrnehmungserfahrung haben kann, die Menschen eignet. Im Gegensatz dazu verteidigte Eccles die, wie er sagt, „strenge dualistische Hypothese“, dass

der selbstbewusste Geist […] lebhaft damit beschäftigt ist, aus der Vielzahl der aktiven Module auf den höchsten Gehirnebenen abzulesen, nämlich in den Liaison-Bereichen, die sich weitgehend in der dominanten Gehirnhälfte befinden. Der selbstbewusste Geist wählt je nach Aufmerksamkeit aus diesen Modulen aus und integriert das, was er ausgewählt hat, in jedem Augenblick, um selbst der flüchtigsten Erfahrung Einheitlichkeit zu verleihen. Darüber hinaus wirkt der selbstbewusste Geist auf diese Module ein und ändert damit die dynamischen raum-zeitlichen Muster der neuronalen Geschehnisse. Auf diese Weise übt er eine höhere interpretierende und regulierende Funktion hinsichtlich der neuronalen Geschehnisse aus, und zwar sowohl innerhalb der Module als auch zwischen ihnen.

Ein Kerngedanke der Hypothese besagt, dass die Einheit der bewussten Erfahrung vom selbstbewussten Geist hervorgebracht wird und nicht von der Neuronenmaschinerie der Liaison-Bereiche des zerebralen Kortex. Bisher war es nicht möglich, irgendeine neurophysiologische Theorie zu entwickeln, die erklärt, wie die vielgestaltigen Geschehnisse im Gehirn schließlich derart zusammengefasst werden, dass eine einheitliche bewusste Erfahrung entsteht. […] Meine Haupthypothese betrachtet die Neuronenmaschinerie als eine Mehrfachverschaltung aussendender und empfangender Strukturen (Module). Die erfahrene Einheit rührt nicht von einer neurophysiologischen Synthese her, sondern kommt aufgrund des postulierten Integrationsvermögens des selbstbewussten Geistes zustande. Ich vermute, die Raison d’être des selbstbewussten Geistes besteht in erster Linie darin, diese Einheit des Selbst in allen seinen bewussten Erfahrungen und Aktionen zu bewirken. (HM 227f., dt. 222f.)

Wie nimmt der Geist diese synthetisierende Aktivität (oder ‚Bindungsaktivität‘) auf? Eccles legte nahe, dass der Geist

das gesamte Liaison-Gehirn auf eine selektive und vereinheitlichende Art und Weise ‚durchspielt‘. Als Analogie bietet sich ein Scheinwerfer an. Eine besserer Vergleich wäre vielleicht ein gewisser multipel abtastender und sondierender Apparat, der von den unermesslichen und verschiedenartigen Aktivitätsmustern im zerebralen Kortex abliest und aus ihnen auswählt, diese ausgewählten Komponenten integriert und sie auf diese Weise so anordnet, dass sich die Einheit der bewussten Erfahrung herstellt. […] So vermute ich, dass der selbstbewusste Geist die Modulaktivitäten in den Liaisonzonen des zerebralen Kortex abtastet. […] In jedem einzelnen Augenblick wählt er Module entsprechend seinen Interessen (den Aufmerksamkeitsphänomenen) aus und integriert aus all dieser Vielfalt die einheitliche bewusste Erfahrung selbst. (HM 229, dt. 224)

Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften

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