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Unter falscher Flagge 1 Vor den Karren gespannt: Bruce Springsteen, Born in the U.S.A.

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In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts brachte Amerika einen seiner größten Rockstars hervor: Bruce Springsteen aus Freehold, New Jersey. Inspiriert von Bob Dylan, den Beatles und den Rolling Stones, begann der charismatische Sänger, Gitarrist und Songwriter mit bilderreichen Songs über das Erwachsenwerden und die Sorgen einfacher Arbeiter. Nach weltweiten Hits wie Born to Run und Hungry Heart schrieb Springsteen zunehmend düstere, skeptische Lyrics über Außenseiter und Verlierer des Systems USA. Auch weil er die Anti-Atomkraft-Bewegung unterstützte, zum Beispiel durch die Mitwirkung beim „No Nukes“-Festival 1979, galt er nicht wirklich als Stimme des konservativen Amerika. Umso spektakulärer geriet die respektlose Vereinnahmung seines 1984 erschienenen Hits Born in the U.S.A. – Es ist eines der schlimmsten Songmissverständnisse aller Zeiten, weil hier höchste politische Stellen involviert waren und eine amerikakritische Antihymne zur patriotischen Hymne umfunktionierten. Vor allem der feierlich-bombastische Charakter der Musik, die einen sarkastischen Kontrapunkt zum deprimierenden Textinhalt setzt, erwies sich dabei für den Künstler als Bumerang. Aber der Reihe nach …

Das Stück erzählt von einem jungen Mann, der sich ohne Perspektiven in einer „Stadt der Toten“, einer wirtschaftlich schwachen Region der USA, durchs Leben schlägt – und statt „durchs Leben schlägt“ könnte man auch sagen: „durchs Leben geschlagen wird“. Die Tritte und Hiebe, die er erleiden muss, sind sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn zu verstehen, und wie ein geprügelter Hund versucht er irgendwann nur noch, sich durchzumogeln: „Born down in a dead man’s town/The first kick I took was when I hit the ground/You end up like a dog that’s been beat too much/Till you spend half your life just covering up.“

Als er einmal ganz tief in der Klemme sitzt, wahrscheinlich wegen eines kleinen Vergehens, ist die Armee der einzige Ausweg: „Got in a little hometown jam/So they put a rifle in my hand/Sent me off to a foreign land/To go and kill the yellow man.“ Der Song erzählt also alles andere als eine Heldengeschichte, sondern rollt vielmehr ein trauriges Schicksal auf. Es geht um Männer ohne Zukunft, die der Armee als menschliches Material dienen. Nachdem der junge Mann, den schon die ersten Verse als Antihelden zeichneten, in Vietnam nichts anderes gemacht hat, als zu töten, kehrt er in seine Heimat zurück. Dort aber bleibt ihm die Chance versagt, ein neues, normales Leben als Arbeiter in der örtlichen Raffinerie zu beginnen. Auch der Kriegsveteranenbetreuer vom Department of Veterans Affairs kann ihm nicht helfen: „Come back home to the refinery/Hiring man says ‚Son if it was up to me.‘/Went down to see my V. A. man/He said ‚Son don’t you understand now.‘“

So bleibt der Protagonist allein mit seinen widersprüchlichen Kriegserinnerungen – an sinnlose Schlachten wie die in Khe Sanh und an die letztlich nicht zu verwirklichende Illusion von einem anderen Leben, zum Beispiel mit einer vietnamesischen Frau. Ein Kamerad – ein Waffenbruder, ein Bruder im Geiste – hatte sich im Krieg verliebt und war gefallen, der Vietkong wurde nicht besiegt. Ein Foto mit der Geliebten ist das Einzige, was an den toten Freund erinnert: „Had a brother at Khe Sanh/Fighting off the Viet Cong/They’re still there he’s all gone/He had a woman he loved in Saigon/I got a picture of him in her arms now.“ Am Ende findet sich der Protagonist im Schatten der Strafanstalt, vor den Toren der Raffinerie wieder, offenbar obdachlos. Seit zehn Jahren schon streift er ziellos umher, ohne ein Zuhause – und ohne eine Zukunft: „Down in the shadow of the penitentiary/Out by the gas fires of the refinery/I’m ten years burning down the road/Nowhere to run, ain’t got nowhere to go.“

Im Refrain des Songs heißt es nüchtern: „Born in the U.S.A./I was born in the U.S.A.“ Doch indem dieser Refrain – wie die Strophen – atemlos herausgebrüllt wird, erweist er sich, erst recht vor dem Hintergrund des geschilderten Schicksals, als bittere Anklage. Der Ton ist ein völlig anderer als jener der amerikanischen Nationalhymne, die stolz das Sternenbanner feiert, als Symbol für das Land der Freien, die Heimat der Tapferen: „’Tis the star-spangled banner! Oh long may it wave/O’er the land of the free and the home of the brave!“ Nein, von jener unabhängigen, kühnen Nation, in der es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann und von der jeder notfalls auch aufgefangen wird, ist in Springsteens Song nicht viel zu spüren. Besungen wird vielmehr ein Land, das sozial Schwache und andere Außenseiter einerseits zum Töten in die Fremde schickt, andererseits als Kanonenfutter verheizt und die überlebenden Kriegsveteranen gnadenlos im Stich lässt. Bevor sich der Song ins Finale schleppt, ist er unter einem Schlagzeuggewitter, das wie eine Mischung aus Prügel und Schüssen klingt, kurzzeitig buchstäblich kollabiert.

Es war der konservative Journalist George Will, der sich nach dem Besuch eines Springsteen-Konzerts in einer seiner einflussreichen Kolumnen begeistert darüber äußerte, dass das Publikum enthusiastisch Flaggen schwenkte, während der Künstler über Fabrikschließungen und andere soziale Probleme sang. „Springsteen, a product of industrial New Jersey, is called the ‚blue-collar troubadour‘“, hieß es in der Kolumne zusammenfassend. „But if this is the class struggle, its anthem – its ‚Internationale‘ – is the song that provides the title for his 18-month, worldwide tour: ‚Born in the U.S.A.‘“ Will hatte Verbindungen zum Wahlkampfteam von US-Präsident Ronald Reagan, der sich 1984 gerade zur Wiederwahl stellte, und schlug vor, den häufig im Radio gespielten Song strategisch einzusetzen. Also baten Reagans Berater das Management des Künstlers um Erlaubnis. Und wie zu erwarten, ließen Springsteens Vertreter die Präsidentenberater höflich abblitzen. Trotzdem lobte Reagan bei einem seiner darauffolgenden Wahlkampfauftritte die „Botschaft der Hoffnung“ in Songs von Künstlern wie Bruce Springsteen. Tatsächlich sähe er, Reagan, es als seine Aufgabe, die Wähler bei der Verwirklichung dieser Träume zu unterstützen. Nur wenige Tage später verbat sich der Künstler während eines Konzerts vor großem Publikum die Vereinnahmung seiner Songs. Die allerdings kann man nicht nur Ronald Reagan vorwerfen: Born in the U.S.A. wird auch heute noch immer wieder gern als ungebrochen patriotische Hymne gespielt und mitgesungen.

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