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3 Mensch (Bieder-)Meier! Peter Fox, Haus am See

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Was Politiker können, können Forscher schon lange. Und so kommt es heute durchaus öfter vor, dass auch hochtrabende wissenschaftliche Untersuchungen ihre Thesen zu einem gesellschaftlichen Thema mit Hitsongs untermauern – obwohl diese Songs ganz offensichtlich etwas völlig anderes zum Ausdruck bringen. „Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier“ ist der Titel einer Jugendstudie, die das Kölner rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen 2010 durchgeführt hat. In der Pressemitteilung zu den Ergebnissen heißt es:

Die Jugend 2010 gibt ein verblüffendes Bild ab. Sie präsentiert sich sehr erwachsen, kontrolliert und vernünftig. Zielstrebig will sie ihren eigenen Weg finden. Dabei stehen Bildung, Karriere und ein hoffentlich gutes Einkommen hoch im Kurs. Eine große Anpassungs-Bereitschaft, persönliche Beweglichkeit und Pflichtbewusstsein werden ebenso als Garanten eines erfolgreichen bzw. abgesicherten Lebens angesehen, wie ein breites Kompetenz-Spektrum. Die Lebensentwürfe der jungen Menschen sind von klaren und vor allem erreichbaren Zielen bestimmt. Dabei scheint in diesen Entwürfen immer eine Biedermeierwelt durch, in der das zentrale Lebensziel darin besteht, ein kleines Haus mit Garten oder eine Eigentumswohnung zu besitzen. Bewohnt mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund.

So weit, so aha! Aber dann kommt ein Satz, der Musikfreunde aufhorchen lässt:

Das Lied von Peter Fox über das „Haus am See“ ist daher eine Hymne an ein beschauliches Leben, in dem man endgültig angekommen ist, sich niedergelassen hat und sich im Kreise der Familie wohlfühlt.

Doch dieser Satz macht einen ziemlich stutzig: Peter Fox, das Sprachrohr eines neuen jugendlichen Biedermeiertums? Haus am See, die Hymne auf ein beschauliches Leben im Kreise der Familie? Das muss man erst einmal verdauen. Immerhin ist Fox Mitglied der weitgereisten Berliner Reggae- und Dancehall-Band Seeed, die die deutschsprachige Musikszene zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit heißen karibischen Rhythmen und originell-provokanten, teils anzüglichen Texten aufmischte. Und Haus am See, diesen wunderbar dahinfließenden Song mit seinen originellen Sound-Akzenten und dem ironischen Frauenchor, hatte mancher doch ganz anders verstanden …

Okay, in zwei Versen des Refrains klingt so etwas wie ein beschauliches Leben an: „Und am Ende der Straße steht ein Haus am See (…) Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehn.“ Aber der Rest der Lyrics ist doch alles andere als das Zelebrieren einer engstirnigen deutschen Biedermeierwelt. Schon die beiden übrigen Refrainverse, die eben unter den Tisch fielen, deuten in eine ganz andere Richtung: „Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg/Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön.“ Wenn ich mich nicht irre, wachsen Orangenbäume kaum in Deutschland, sondern in südlichen Ländern wie Portugal, Spanien und Italien oder noch viel weiter weg, auf anderen Kontinenten; und die 20 Kinder aus dem Songtext stehen doch wohl in sehr deutlichem Kontrast zu der Idylle „mit der eigenen Familie, den (beiden) Kindern und dem Hund“, die die rheingold-Studie so betont. 20 Kinder, das klingt eher nach einem kleinen zufriedenen Karibik-Macho, einem echten „Sugardaddy“. Der lässt sich irgendwo am Strand faul die Sonne auf den Pelz scheinen und beglückt endlos seine Frau, die ihm im Gegenzug zig Kinder schenkt und den Haushalt schmeißt.

Schon der Kontext ist ein ganz anderer als der in der rheingold-Studie angesprochene. Aber es kommt noch dicker: Denn wer genauer hinhört, entdeckt in Haus am See nicht etwa einen selbstzufriedenen Strand-Macho, sondern lediglich ein Loser-Ich, das sich aus einer beengten, traurigen, ausweglosen Situation heraus- und ganz weit weg fantasiert. „Hier bin ich gebor’n und laufe durch die Straßen“, so skizzieren die ersten Verse seinen Alltag, „Kenn’ die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden./Ich muss mal weg, kenn jede Taube hier beim Namen/Daumen raus, ich warte auf ’ne schicke Frau mit schnellem Wagen.“ Das klingt nach vielem, nur nicht nach Kontrolliertheit und Vernunft, nach Zielstrebigkeit, Anpassungsbereitschaft, Pflichtbewusstsein und was die rheingold-Studie der Jugend 2010 sonst noch bescheinigt. Das Ich träumt von „Rückenwind“, einem „Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt“, von „Schätzen in Schnee und Sand“ und „beiden Taschen voll Gold.“ Es pfeift also auf eine mögliche Karriere und tut dabei genau das Gegenteil von dem, was die rheingold-Studie konstatiert: „Die Lebensentwürfe der jungen Menschen sind von klaren und vor allem erreichbaren Zielen bestimmt.“ Diese Antihaltung bestimmt auch die Fantasien des Song-Ichs von seiner ruhmreichen Heimkehr: Statt eines gemütlichen Kaffeekränzchens wird gegrillt, „die Mamas kochen, und wir saufen Schnaps/Und feiern eine Woche jede Nacht.“

Am Ende des Songs offenbart sich die ganze Tragik des Sprechers, der seinen Traum wahrscheinlich nie verwirklichen wird: „Hier bin ich gebor’n, hier werd ich begraben/Hab taube Ohr’n, ’nen weißen Bart und sitz im Garten/Meine 100 Enkel spielen Cricket auf’m Rasen/Wenn ich so daran denke, kann ich’s eigentlich kaum erwarten.“ Angesichts der unglaublichen Abenteuer, die vorher ausgemalt wurden, klingt das reichlich bitter. Haus am See ist eine Aussteigerfantasie. Aber nicht die eines ausgebrannten Karrieristen, sondern die eines armen Schluckers, der überhaupt keine Perspektiven hat. Ein Eindruck, den das Video zum Song unterstreicht: Dort sitzt der Protagonist am Ende tatsächlich an einem See und angelt. Doch er trägt abgerissene Klamotten, ist unrasiert. Und: Er angelt ganz allein. Das vielbeschworene Haus am See, das im Hintergrund zu sehen ist, erweist sich als ein armseliger Holzverschlag. Wenn das Biedermeier ist, liebes rheingold-Insitut, müssten etliche Lexikoneinträge umgeschrieben werden.

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