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4 Weinenden Auges zur Kanzlerin: The Rolling Stones, Angie

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Traurig, aber wahr: Songs droht manchmal Arges, wenn sie nicht bei drei auf den Bäumen sind. Und im schlimmsten Fall landen sie dort, wo sie überhaupt nicht hingehören – in den Fängen der politischen Werbung. Angie? Ist das nicht ein cooler Rufname für unsere Kanzlerkandidatin? Bingo! So dachten sich wohl im Jahr 2005 die Marketingstrategen der deutschen CDU und sorgten dafür, dass Angie regelmäßig im Anschluss an die Wahlkampfauftritte von Angela Merkel gespielt wurde. Und das tat dem bereits 1973 veröffentlichten Song gleich in zweierlei Hinsicht unrecht: Zum einen hatte es die Partei versäumt, seine Urheber, die Rolling Stones, um Erlaubnis für die Nutzung zu fragen, weshalb sie von den Künstlern wenn auch nicht mit einer Klage, so doch mit einem deutlich missbilligenden öffentlichen Statement bedacht wurde. Zum anderen, und das verursachte den weitaus größeren Wirbel, gab es außer dem Titel „Angie“ nichts, was man positiv mit einer Kanzlerkandidatin hätte verbinden können. Im Gegenteil: Das herzzerreißende Stück handelt von einer gescheiterten Beziehung, von Ziellosigkeit, enttäuschten Träumen. „Angie, Angie“, heißt es gleich zu Beginn, „when will those clouds all disappear?“ Was sich bei Mick Jagger etwa folgendermaßen steinerweichend anhört: „Äjndschäh, Äj-hiiiiihhhnn-dschäh, when will those clouds all disäppiie-hie-hie-hie-ähhh?“ Und weiter: „Angie, Angie, where will it lead us from hiie-hie-hiee-ähhh?“

Nun könnte man annehmen, dass wenigstens die Musik für eine optimistische Stimmung sorgt – dass die Leute nicht immer auf den Text hören, ist ja gerade in Marketing- und PR-Kreisen bekannt. Aber weit gefehlt. Langsam, getragen zieht sich das Stück in Mollakkorden dahin. Ein wehmütiges Klavier lässt an perlende Tränen denken, die gesamte Songbewegung ist ein ständiges leises Aufbäumen und In-sich-Zusammenfallen. Ganz sicher nicht der passende Soundtrack für eine dynamische Kandidatin, die kompetent und optimistisch an die Macht strebt. Wohin die Reise der beiden Protagonisten im Stones-Song geht? Man weiß es nicht. Nur eins ist sicher: dass sie ohne Liebe und ohne Geld alles andere als zufrieden sein können: „With no loving in our souls/And no money in our coats/You can’t say we’re satisfied/But Angie, Angie/You can’t say we never tried.“ Und: „Angie, you’re beautiful, yeah/But ain’t it time we said goodbye.“ Tja. Auch wenn Angie wunderschön ist, es scheint Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen. Das hat wohl ebenso wenig das Zeug zu einer Wahlempfehlung wie die Erinnerung an in Rauch aufgehende Träume und eine verzweifelt weinende Protagonistin: „All the dreams we held so close/Seemed to all go up in smoke/(…)/Oh, Angie, don’t you weep/All your kisses still taste sweet/I hate that sadness in your eyes.“

Immerhin: Die Aktion, die einen der vorderen Plätze in den Top-Ten der dämlichsten PR-Strategien der Welt verdient hätte, konnte Angela Merkel am Ende nicht schaden – weil der bisherige Kanzler Gerhard Schröder nicht mehr zog, aber auch weil niemand wirklich hingehört hatte. Und wie nicht anders zu erwarten, zeigte sich die clevere Machtstrategin auch in Sachen Eigenmarketing später durchaus lernfähig. Zum Beispiel im April 2008. Damals, zur Erinnerung, erschien sie als Kanzlerin in Oslo zur Einweihung der neuen Nationaloper Norwegens mit überraschend wagemutigem Dekolleté und zog die Aufmerksamkeit sämtlicher anwesenden Fotografen auf sich. Während am nächsten Tag Medien in aller Welt, darunter die türkische Boulevardzeitung „Sabah“, Merkels dennoch elegant staatstragendes Gesamtoutfit lobten und ihren neuen Sex-Appeal feierten, tat die deutsche Regierungschefin einfach nur ein bisschen erstaunt. „Wenn die Welt nichts Wichtigeres hat, als über Abendkleider zu reden“, ließ sie laut dpa ihren Vize-Regierungssprecher Thomas Steg süffisant verkünden, „dann kann man wahrscheinlich auch nicht helfen.“ Und: Durch Merkels Auftritt „sollte in keiner Weise der Prozess der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beeinflusst werden“. Das war Glamour, das war Pop, das hatte fast schon Hitpotenzial. Stilvoller, cleverer und pointierter hätte sich die Kanzlerin auch mit einer exzellent ausgetüftelten Anderthalbstundenrede nicht in Szene setzen können.

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