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10 Geht’s uns nicht allen so? The Boomtown Rats, I Don’t Like Mondays

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Am Beispiel der rheingold-Studie und ihres Umgangs mit dem Peter-Fox-Song Haus am See war besonders gut zu sehen, was selektive Wahrnehmung bedeutet: Man löst ein paar wenige Passagen aus dem Gesamtkontext heraus und lässt sie ganz für sich sprechen – ohne Rücksicht auf den inhaltlichen roten Faden. Ähnliches muss man für die Rezeption von I Don’t Like Mondays festhalten, den wohl größten Hit der irischen Band The Boomtown Rats. Die wahren Hintergründe dieses 1979 von Bob Geldof geschriebenen Songs werden zwar bis heute von Redakteuren und Autoren in Büchern, Essays oder Radiosendungen regelmäßig neu beschworen, doch mindestens ebenso regelmäßig wird der Song bis heute weltweit als Aufmunterungsstück zum Wochenanfang durch den Äther gejagt: für Montagsmuffel, die sich nach einem entspannten Wochenende schlecht gelaunt zur Arbeit quälen.

Verantwortlich für diesen oberflächlichen Umgang mit dem Song sind wahrscheinlich die simplen, Aufmerksamkeit heischenden Refrainzeilen „Tell me why? I don’t like mondays/Tell me why? I don’t like mondays (…) I want to shoot the whole day down“ – und mangelnde Lust im Publikum, genauer hinzuhören. Wer nur den Refrain wahrnimmt und die zentralen Phrasen als „Tell me why I don’t like mondays“, also als „Sag mir, warum ich keine Montage mag“ und damit als Einheit versteht, darf sich durchaus in seinem harmlosen Montagmorgenunbehagen bestätigt fühlen, à la: Ich weiß ja auch nicht, warum ich keine Montage mag, am liebsten würde ich sie abschaffen. Wer aber unterscheidet, dass das „Tell me why“ von einem Chor und das „I don’t like mondays“ von einer Solostimme gesungen wird, kann die Verse als Frage und Antwort verstehen: „Sag mir warum?“, fragt der Chor, worauf die Solostimme antwortet: „Na ja, weil ich keine Montage mag.“ Und wer dann noch etwas genauer in die Strophen hineinhört, merkt sehr bald, dass diese den Auslöser für die Frage „Warum?“ beleuchten – und dass es dabei um weitaus mehr als eine kleine Aufmunterung zum Arbeitsbeginn geht.

„The silicon chip inside her head/Gets switched to overload“, heißt es in den ersten Versen, „And nobody’s gonna go to school today/She’s going to make them stay at home.“ Bei der Protagonistin – einer 16-Jährigen („Sweet 16“), wie sich im weiteren Songverlauf herausstellt – brennen die Sicherungen durch. Und so sorgt sie schließlich dafür, dass die Schulkinder einen Grund haben, zu Hause zu bleiben. Was genau sie anrichtet, wird nicht beschrieben. Aber dass es eine furchtbare Tat ist, daran lassen die folgenden Verse keinen Zweifel: „And school’s out early and soon we’ll be learning/And the lesson today is how to die.“ Auf dem Lehrplan stand nichts weniger als der Tod, so heißt es verpackt in ein zynisches Bild. Nach der tödlichen Unterrichtsstunde, für die die 16-Jährige gesorgt hat, ertönen blechern Megaphone, und Offizielle beleuchten erschüttert, mit belegter Stimme das Wie und Warum. Hilflos versuchen sie, Erklärungen für die schrecklichen Ereignisse abzugeben. Doch für das Unerklärliche gibt es keine Erklärungen: Denn welchen Grund sollte es dafür geben, dass Menschen einfach so sterben? „And then the bullhorn crackles/And the captain crackles/With the problems and the how’s and why’s/And he can see no reasons/’Cause there are no reasons/What reason do you need to die?“

Während sich die Strophen der Erwachsenenwelt zuordnen lassen – neben den Offiziellen sind das die Eltern der Protagonistin – und eine furchtbare Tat andeuten, markiert der Refrain ein kurzes Zwiegespräch zwischen der 16-Jährigen und den Menschen in ihrer Umgebung. „Sag mir warum?“ fragt der Chor, der die Eltern, die Lehrer, die gesamte Öffentlichkeit repräsentiert, und das Mädchen antwortet: „Ich mag keine Montage. Und wisst ihr was? Ich möchte diesen ganzen verdammten Tag einfach abknallen.“ Das reicht aus, um eine düster-bedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören, die eigentlich nicht recht zum Programm eines Gute-Laune-Morgenradios passen will. „SPIEGEL Online“ fasst noch einmal das zusammen, was im Song nur angedeutet bleibt, aber eindeutig die Idee für den Text geliefert hat: „Der Hit der Boomtown Rats handelt von dem grausamen Schulmassaker an der Grover Cleveland Grundschule in San Diego, Kalifornien, das am 29. Januar 1979 die ganze Welt erschütterte. An diesem Montagmorgen um 8.30 Uhr hatte die gerade 16-jährige Brenda Ann Spencer von ihrem Schlafzimmerfenster aus auf eine Gruppe Grundschüler angelegt. Das halbautomatische Gewehr hatte sie kurz zuvor von ihrem Vater zu Weihnachten bekommen. Spencer verletzte acht Schulkinder und einen Polizisten. Den Schulleiter und den Hausmeister traf sie tödlich.“

Bob Geldof selbst hatte am Morgen der Tat ein Interview in der Universität von Atlanta gegeben. Zur Interviewsituation schreibt er in seiner Autobiografie So war’s:

Ich hatte auf Autopilot geschaltet und spulte mechanisch meine Antworten ab. Aber während der Sender die Platte laufen ließ, begann das Telex neben mir zu klackern. Ich spinxte rüber, um die News aufzuschnappen, die es ausspuckte. Während ich dort saß, lehnte ein junges Mädchen namens Brenda Spencer mit einer Pistole aus ihrem Schlafzimmerfenster und schoss auf Leute in ihrer Schule auf der anderen Straßenseite. Was dann passierte, erschien mir als einzigartig amerikanisch. Ein Journalist rief sie an. Sie nahm den Hörer ab, an und für sich schon eine bizarre Unterbrechung, wenn man dabei ist, wildfremde Menschen umzubringen. Er fragte sie, warum sie das tut. Sie überlegte kurz und sagte dann: ‚Nichts los. Ich mag keine Montage.‘ Ich starrte auf den Apparat. Vielleicht hatte sie schon den Hörer aufgelegt und schoss weiter. Schulkinder starben, während ich die nächste Blödsinnsfrage beantwortete. Popmusik ist so verdammt unerheblich …

… und trotzdem ein gern genutztes Medium, um soeben gewonnene Eindrücke zu kanalisieren:

Auf dem Rückweg ins Hotel hatte ich angefangen, den Song zu schreiben. Ich hatte eine Gitarre auf dem Zimmer, also setzte ich mich einfach hin und fing an. In gewissem Sinne schien mir all das so eigentümlich kalifornisch, die Unsinnigkeit, der Mangel an Vernunft und Logik. Ich schrieb: „What reason do you need to die?“ Die Schießerei ging weiter, während ich mit dem Schreiben fortfuhr. Ich versuchte, mir das Mädchen vorzustellen. Ich versuchte, mir die Szenerie vor Augen zu führen: die Polizeibeamten, die Lautsprecher, der Schulhof, die Eltern. Das Mädchen muss irgendwie ferngesteuert sein. Und ich schrieb: The silicon chip inside her head gets switched to overload. Und natürlich, warum tat sie es? Tell me why? Vielleicht hat sie recht. Vielleicht gibt es keine Vernunft. Es schien mir, als sei in kalifornischer Ethik einfach kein Platz für Logik oder Gründe, etwas zu tun. Sie taten es einfach.

I Don’t Like Mondays ist ein gutes Beispiel für die häufiger zu machende Beobachtung, dass die Stärke eines Songs auch seine Schwäche ist. Denn einerseits können Songs mit eingängigen Melodien, griffigen Refrainzeilen und einer Fülle an sprachlichen Details durchaus dafür sorgen, dass ernstere Themen und Inhalte ein größeres Publikum erreichen. Andererseits laufen sie Gefahr, auf ihre griffigen Refrainzeilen reduziert und/oder überhaupt nicht verstanden zu werden: weil Teile des Publikums nur das hören, was sie hören wollen, und einfach keine Lust haben, sich den Spaß an ihrer Wunschdeutung verderben zu lassen.

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