Читать книгу Psychotherapie und Psychosomatik - Michael Ermann - Страница 70
2.2.1 Entwicklung und Reifung Neurobiologische Grundlagen46
ОглавлениеPsychische und mentale Prozesse gründen auf biologisch-neuronalen Vorgängen. So beruht die neurophysiologische Basis der psychischen Entwicklung darauf, dass sich im Gehirn Strukturen entwickeln, welche psychische Aktivitäten und die Umsetzung und Verarbeitung von physiologischen Funktionen und Umwelterfahrungen ermöglichen. Diese Strukturen bestehen aus Netzen von Nervenzellen, deren Verästelungen an peripheren Schaltstellen, den Synapsen, miteinander in Kontakt treten. Dabei werden durch elektrisch aktive Botenstoffe, die Neurotransmitter, dynamische Verbindungen hergestellt. Sie bilden Funktionseinheiten, wobei verschiedene Hirnareale unterschiedliche Funktionen haben. So werden im Hirnstamm, der sich zuerst entwickelt, vitale Grundfunktionen geregelt, z. B. der Schlaf-Wach-Rhythmus, während im limbischen System die Affektwahrnehmung und bestimmte Gedächtnisleistungen lokalisiert sind. Wahrnehmungs- und Handlungsfunktionen sind dagegen in der Hirnrinde lokalisiert, deren Funktion im dritten und vierten Lebensjahr beginnt und im frühen Erwachsenenalter abgeschlossen ist.
Psychische Aktivitäten haben ihr neurophysiologisches Korrelat in neuronalen Aktivitäten. Man kann sie als elektrophysiologische Leistung der Botenstoffe in den Synapsen eines neuronalen Netzes beschreiben. Diese Aktivitäten können durch bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden, sodass es möglich ist, psychische Funktionen, z. B. die Traumtätigkeit, zu lokalisieren.
Der Zuwachs an Hirnfunktionen beruht auf genetisch festgelegten Plänen. Er ist aber nicht autonom, sondern wird durch die Verarbeitung von Reizen und Informationen gebahnt, die aus der Umwelt stammen. So beeinflussen z. B. Trennungserfahrungen die neurophysiologische Aktivität bestimmter Hirnareale. Ebenso kann man Lernprozesse als Veränderungen des Hirnstoffwechsels und der neuronalen Kapazität beschreiben. Ein synaptisches Potenzial, das in einer bestimmten Entwicklungsperiode nicht genutzt wird, geht für die weitere Entwicklung verloren.
Für das psychodynamische Verständnis der Entwicklung ist das Zusammenpassen von biologischer Reifung und modulierenden Erfahrungen besonders wichtig. Dadurch erhalten die Erfahrung und die Beziehung zu den Pflegepersonen eine zentrale Bedeutung für den Entwicklungsprozess. Man kann die Umsetzung der Erfahrung in neuronale Struktur und Funktion auch unter dem Aspekt des Gedächtnisses betrachten: Was der Mensch erinnert, war einmal Erfahrung, welche in neuronale Aktivität umgesetzt worden ist.