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Entwicklung der Mentalisierung

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Unter Mentalisierung versteht man die Fähigkeit, über sich und andere nachzusinnen und sich ein Bild über innere Prozesse und Motivationen zu machen. Dabei werden Erfahrungen aus Beziehungen so organisiert, dass man sich in sich selbst und den anderen hineinversetzen kann, sich ein Bild von den inneren Erlebnisweisen machen, sich Befindlichkeit erklären und Verhalten voraussehen kann. Voraussetzung ist, dass die Erfahrungen mit den Bindungspersonen eine sichere Bindung ermöglicht haben.

Das relativ neue Konzept der Mentalisierung ist eng mit dem der Symbolisierung verwand, das in der traditionellen Psychoanalyse im Zusammenhang mit der Begriffs- und Sprachentwicklung entstand. Symbolisierung beschreibt eine Ichfunktion aus intrapsychischer Sicht, während Mentalisierung einen intersubjektiven Prozess beschreibt, der zur Etablierung von Vorstellungen und Repräsentanzen führt. Man kann die Umwandlung früher archaischer Körpererfahrungen in Begrifflichkeit und selbstreflektives Erleben im Rahmen beider Konzepte beschreiben: als Symbolisierung von Affekten oder als Mentalisierung innerer Zustände.

Die Mentalisierung spielt bei der Entstehung von Repräsentanzen eine bedeutende Rolle. Im Alltag ist sie unentbehrlich. Unter Belastungen ist sie beeinträchtigt. Für das Verständnis und die Behandlung psychischer Störungen bietet sie ein hilfreiches Konzept: Heute werden schwere Persönlichkeitsstörungen als Folge von Mentalisierungsdefiziten verstanden und behandelt ( Kap. 17.2.3.5).

Ursprünglich stammt das Konzept aus der französischen Psychosomatik73. Dort wurde das konkretistische »operative« Denken schwer gestörter psychosomatischer Patienten von Pierre Marty als Mentalisierungsdefizit gedeutet ( Kap. 12.2.3). Man sprach von Alexithymie. In der aktuellen Form wurde es von der englischen Forschergruppe um Peter Fonagy eingeführt und überraschend rasch rezipiert. Mentalisierungsfähigkeit ist eng mit sicherer Bindung verknüpft, die wiederum von der Fähigkeit der Bezugspersonen, zu mentalisieren und sich einzufühlen, abhängig ist.

Der zentrale Prozess dieser Entwicklung ist der transformierende Austausch von Affekten zwischen dem Kind und der Bezugsperson, was der oben beschriebenen Alphafunktion bei der Entwicklung des Denkens entspricht. Dabei nimmt die Pflegeperson die Affekte des Kindes zunächst auf und »markiert« sie: Sie verknüpft die Affekte des Kindes spontan mit eigenen. So kann z. B. Wut des Kindes mit beruhigenden Gefühlsanteilen der Mutter verknüpft werden, was sich im Sprachklang niederschlagen kann. Man kann sagen, die Mutter gibt dem Kind seinen Affekt verändert zurück. Das Kind macht die Erfahrung, dass zwischen ihm und seiner Mutter Unterschiede bestehen. Es lernt, dass das Selbst und die Andere verschiedene Personen sind und dass es selbst in ihr etwas bewirken kann. In diesem Prozess bildet sich nach und nach im Kind die Vorstellung von der psychischen Innenwelt. Vergangene, gegenwärtige und zu erwartende Erfahrungen werden als Theory of Mind74 verinnerlicht.

Psychotherapie und Psychosomatik

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