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Bindungsforschung

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Die Bindungsforschung wurde in den 1940er und 1950er Jahren von John Bowlby55 initiiert. Wegen ihrer Hinwendung zur realen Erfahrung als Gegenpol zur Phantasiewelt blieb sie lange von der vorherrschenden Psychoanalyse isoliert. Heute gehört sie zu den maßgeblichen Basiswissenschaften, auf die sich auch die Psychoanalyse stützt.

Im Zentrum der Bindungstheorie steht die Annahme, dass der Mensch mit einem angeborenen Grundbedürfnis zur Welt kommt, die Nähe anderer zu suchen und Bindungen zu anderen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Es ist mit dem Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit verbunden und dient dem Überleben. Danach ist das Bindungssystem ein eigenständiges Motivationssystem neben anderen wie Aggression oder Sexualität. Es wird in Gefahrsituationen aktiviert und ruft spezielle, konstitutionell mitgebrachte Verhaltensweisen hervor, das sogenannte Bindungsverhalten. Es umfasst instinkthaft vorgegebene Kommunikationsmuster wie Blickkontakt, Mimik, Zappeln oder Schreien, mit denen Aufmerksamkeit, Zuwendung und Nähe zu anderen hergestellt wird und ein Gefühl der Sicherheit erzeugt werden soll. Je nach den Erfahrungen, die der Säugling dabei mit seinen Bezugspersonen macht, entstehen spezifische Bindungsstile ( Kap. 2.2.2). Diese bilden intersubjektive emotionale Organisationsprinzipien in der Entwicklung des Selbst.

Neben der Funktion der Bezugspersonen als sichere Basis ist ihre Feinfühligkeit maßgeblich für die Entwicklung des Bindungsverhaltens.56 Entscheidend ist, dass die Person, zu der Nähe gesucht wird, sich rasch in das Kind hineinversetzen und seine Lage erfassen kann, zügig und zutreffend reagiert und das rechte Maß zwischen Versagung und Überversorgung findet. Daneben dürften aber auch konstitutionelle Faktoren auf Seiten der Kinder, z. B. ihre psychische Dünnhäutigkeit, eine Rolle spielen.

Bindung lässt sich als Reaktion darauf verstehen, wie die Bezugspersonen auf das kindliche Bindungsbedürfnis antworten. Damit untermauert die Bindungsforschung die Erkenntnis, dass das Selbsterleben zwischen zwei Menschen intersubjektiv ausgehandelt wird. Es ist als ein Produkt ihrer wechselseitigen Bezogenheit zu verstehen. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit den Befunden der Säuglingsforschung und betont die große Bedeutung der realen Beziehung für die Entwicklung des Selbst.

Psychotherapie und Psychosomatik

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