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ОглавлениеSommersonnenwende
Kurz vor dem Fest der Sommersonnenwende traf ein Mann bei ihnen ein, der sich mit einigen Gesippten auf den langen Weg gemacht hatte, um sich mit Rolant zu messen. Thorgrim war sein Name und er war in vielen Gauen bekannt. Wo er stand, überragte er alle anderen, und seine Stimme tönte wie aus einem Fass. Ein blonder Hüne mit geflochtenem Bart, dessen eisblauen Augen jeden herausfordernd anblickten. Er kam aus dem hohen Norden, dort wo das Meer an das Land stieß, welches ihre Vorfahren in die neue Heimat geführt hatte, und gehörte zum Volk der Friesen. Er führte einen mannshohen Speer mit einem Schaft aus Eichenholz bei sich, der so schwer war, dass ein geringerer Mann die Waffe kaum zu heben vermochte.
»Sie essen und trinken, wie es sich für Männer geziemt«, sagte Rolant über dem Lärm in der Halle hinweg. »Aber Thorgrim isst und trinkt mehr, als seine ganze Sippe zusammen.«
Arbogast beobachtete die Sippe Thorgrims, die an einem Tisch an der Wand schräg gegenüber saß. Allesamt hochgewachsene blonde Krieger mit blauen Augen. »Es heißt«, sagte Arbogast kauend, »nicht nur darin gleicht er keinem anderen!«
Die letzten Jahre hatten Arbogasts kindliche Gesichtszüge weggeschmolzen und er war zu einem Mann herangewachsen, der den Hof mit Umsicht zu führen verstand. Er war stark wie ein Bär geworden und vermochte sogar Manfred im Wettkampf zu besiegen, er ging auf die Jagd und verteidigte den Hof gegen Räuber. Nur an der Schlacht gegen die Franken hatte er sich nicht beteiligt, während Rolant schon viele Sommer gegen die Besatzer kämpfte. Arbogast schätzte es nicht, seinen Hof zu verlassen. Morgens war er der erste, der aufstand und abends der letzte, der sich niederlegte. Und wenn der Sommer schlecht war und die Ernte karg ausfiel, schaffte er es, die Vorratskammern zu füllen, wo weniger Umsichtige am Ende des Winters hungern mussten. Er glich jetzt mehr und mehr seinem Vater und war im Gau ein geachteter Mann.
Viele Männer und Frauen aus den umliegenden Gehöften waren gekommen, um das Fest der Sommersonnenwende zu feiern. Die Gäste saßen dicht an dicht an den vier langen Tischen, so dass sich ihre Ellenbogen berührten. In der Mitte der Halle glühte das Herdfeuer und darüber drehte sich seit dem Morgen ein Schwein, welches Wilburga immer wieder mit Fett übergossen hatte, bis es dunkelbraun glänzte. Arbogast hatte das größte und schwerste Tier für die Feierlichkeit ausgesucht und am Vortag geschlachtet. Hinter dem Herdfeuer stand der Kessel mit dem frisch gebrauten Bier, ein bitteres Getränk, welches anregend durch die Kehle rann.
Rolant stieß ihn an und zeigte mit dem Trinkhorn auf Thorgrim. »Er hält sich für sehr groß!«
Thorgrim unterhielt sich mit lauter Stimme mit seinen Gesippten, warf die abgenagten Knochen achtlos hinter sich und winkte die Frauen mit dem Bier heran, als säße er in seiner eigenen Halle.
»Er ist groß!«, sagte Arbogast. »Dieser Friese ist der erste Mann, der mich überragt.«
Rolant zuckte mit den Schultern. »Für einen Mann mit einem Schwert sind alle Feinde gleich groß!«
»Sieh dir den Speer an, der an der Wand lehnt! Größer als Eckart und wahrscheinlich ebenso schwer!«
»Krieger fechten nicht mit Bäumen!«
Arbogast lachte auf. »Gerne würde ich die Waffe in den Händen halten. Sollte ich sie nicht über das Langhaus werfen können, will ich nie wieder einen Speer ergreifen.«
»Dann frag ihn. Aber erst lass Thorgrim werfen. Ich bin mir nicht sicher, ob er es vermag.«
Thorgrim füllte sein Horn nach und sah sich in der Halle um. Als sein herausfordernder Blick dem von Rolant begegnete, erhob sich Thorgrim mit dem Trinkhorn in der Hand, schob einige Männer beiseite und trat vor ihren Tisch.
Arbogast musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm hochblicken zu können. Das große Trinkhorn wirkte in der Hand des Riesen wie ein Spielzeug.
Als die Gäste Thorgrim sahen, wie er sich vor dem Platze Rolants aufgebaut hatte, bildeten sie einen Halbkreis um ihn und die Männer und Frauen auf den Bänken beugten sich gespannt vor.
»Du musst Rolant sein«, sagte Thorgrim und hielt ihm das Horn hin. »Viel hörte ich von dir, aber nun sehe ich dich hier in voller Größe vor mir und nicht eines meiner Kinder kam von solch geringen Wuchs aus dem Becken meines Weibes. Warum sitzt du hier bei den Männern und spielst nicht bei den Knaben im Hofe?«
Rolant nahm das Horn entgegen und leerte es in einem Zug. Während Thorgrim zu seinem Platz zurückkehrte, füllte Rolant es wieder auf. Langsam ging Rolant zu ihm hinüber und reichte dem Friesen das volle Trinkhorn:
»Wo warst du die letzten Jahre, während ich jeden Sommer gegen die Franken focht?« In der großen Halle war es so still, dass Rolants Worte bis in den letzten Winkel drangen. »Ich führte Bleicher, mein Schwert, gegen die Männer Karls, doch dich sah ich nie. Während ich das Eisen rötete, saßest du hinter dem Herdfeuer, fern der Taten. Wenn ich dich so ansehe, hättest du die Tochter deines Vaters sein sollen und nicht sein Sohn.«
Thorgrim, der im Sitzen so groß war, dass er sich fast auf Augenhöhe mit Rolant befand, leerte das Horn und füllte neues Bier nach. Die blaue Tunika spannte sich über seine breiten Schultern. Dann ging er zu Rolant, der wieder Platz genommen hatte, und gab ihm das Trinkhorn.
»Deine Worte«, sprach Thorgrim laut, »hörte ich, doch sind sie leerer Hohn, festgeflochten am Rad der Unwissenheit. Wo du kämpftest gegen der Franken Wut, trat ich an der Seite von stolzen Friesen und Sachsen den Eindringlingen entgegen und Widukind, der tapfere sächsische Edeling, führte uns zum Sieg. Viel an der Zahl waren die Franken, das Auge fand ihr Ende nicht, aber unsere Klingen fraßen reichlich Beute und schon bald wichen die Franken zurück. Mit ihnen floh auch Luidger, der lügenhafte Unhold, dessen falschen Worte die Ohren aufrechter Männer vergifteten. Er floh mit all seinen Bediensteten und wir brannten nieder ihre Gotteshäuser. Viele Männer wehrten uns, doch mein Speer ruhte nicht, bis der letzte Feind tot zu meinen Füßen lag und das letzte Kreuz den Flammen dankbare Nahrung war.«
Mit diesen Worten kehrte der blonde Krieger wieder zu seiner Bank zurück. Es ist, dachte Arbogast, als würde ein Berg laufen. Rolant leerte das Horn und ging wieder zu Thorgrim hinüber, um ihm das Horn mit dem schäumenden Bier zu überreichen. Alle Augen waren auf die beiden Männer gerichtet.
»Meinen Worte lausche nun«, begann Rolant und starrte Thorgrim in die Augen. »Viel sprachst du, doch wenig beeindruckt es den Mann, der harte Schlachten focht. Meine Wege führten mich durch jedes Gau des Sachsenlandes und alle Stämme kennen meinen Namen. Westfalen, Ostfalen, Engern wissen viel zu erzählen und auch im Lande der Nordalbingier werden meine Taten besungen. Auch den großen Rhein überquerte ich und kam dort zu den Franken, mit denen wir schon seit Väter- und Großväters Zeiten die Waffen gekreuzt haben. Stolze Frauen leben dort auf den Höfen und in den Städten, deren Größe dem Auge keine Grenze setzt. Dort plauderte ich mit den Frauen und gewann das Herz einer Edlen mit leinenweißer Haut, eine Goldglänzende, die sich mir in Lust hingab. Häufig suchte ich die Leinenweiße auf, bis einer der Kuttenträger zu ihrem Vater kam, aber ich lachte nur und machte mich wieder auf den Weg. Was tatest du währenddessen, lagst du bei deinem Speer?«
Unter dem Gelächter der Gäste setzte sich Rolant wieder hin und der Friese leerte das Horn mit einem wütenden Ruck, bevor er aufsprang. »Während du sicher lagst bei der Leinenweißen, zerhieb ich Helme und Schilde auf den Ebenen unweit des Meeres. Ich tauschte Schläge an der Seite des Herzogs, bis der Boden bedeckt war mit den Körpern der Gefallenen und ihr Blut rot in den Boden sickerte. Mein Speer warf die Feinde zu Boden, sie türmten sich mannshoch zu meinen Füßen. So kämpfte ich zwei Tage und Nächte lang ohne innezuhalten. Zwölf Wunden empfing ich dort, während du bei den Weibern um Aufnahme warbst.«
Thorgim reichte Roland das Bier und nahm unter dem Becherschlagen seiner Gesippten wieder Platz, aber Arbogast fiel auf, dass sein Gang nicht mehr so sicher war und der Blick glasig zu werden begann. Rolant schien das zu erkennen, denn er füllte das große Trinkhorn bis zum Rand und trug es zu dem Friesen.
Als Rolant sprach, waren seine Worte so fest wie vor dem ersten Bier. »Wo warst du, als die Franken die Eresburg überfielen? Daheim am Feuer lagst du, während wir die Irminsul verteidigten. Hundert zu eins waren uns die Feinde überlegen. Sie wogten wie die Brandung des Meeres um die Burg. Kuttenträger sah man überall und sie stimmten Beschwörungen an, gepanzerte Reiter und Fußkämpfer stachelten sie auf, doch lange hielten wir die Stellung. Stumpf ward das Schwert, beherzt erhoben wir den Heereskampf und zerhauene Männer lagen überall. Als wir immer weniger wurden, brachen sie durch und wir wichen Schritt für Schritt zurück, während wir Hiebe austeilten im Kreis unserer Verwandten. Nie sah die Welt eine solche Schlacht! Erschlagen wurde viele Franken und Sachsen, und diese stolzen Männer sitzen jetzt als Einherier an Wodens Tafel und trinken den göttlichen Met. Wahrhaft viele gingen durch die breiten Tore Walhalls und stolz werde ich sein, wenn ich eines Tages dort auf meine Kampfgefährten treffe, um mit ihnen am Tage des Ragnarök Seite an Seiten mit den Göttern gegen die Weltenfeinde zu kämpfen.«
Thorgrim leerte das Horn mit zitternder Hand und Bier rann ihm durch den Bart. Langsam füllte er das Trinkgefäß erneut, aber alle sahen, dass er Mühe hatte sich zu erheben. Als er vor Rolant stand, starrte er eine Zeitlang vor sich hin, bevor er sprach:
»Die Sachsen … sind tapfere Männer … so heißt es. Doch wären die starken Friesen dort gewesen, so … hätten die Franken … weder die Eresburg geschliffen noch … das Heiligtum zerstört.«
Rolant trank auch dieses Horn aus, aber sein Gesicht war ernst, als er sich langsam erhob: »Mir scheint, die Friesen denken schlecht von unserer Kampfeskraft. Doch lass mich dir zeigen, dass selbst ich, der Kleinste unter den Sachsen, deinen Speer weiter werfen kann als jeder deiner Gesippten.«
Thorgrim schüttelte sich wie ein Bär. »Keine Gesippten brauche ich, um meine Waffe zu schleudern.« Er wankte und stützte sich mit seinen gewaltigen Fäusten auf dem Tisch auf, mit funkelnden Augen beugte er sich zu Rolant hinunter. »Kleiner Mann, ich werfe den Speer weiter als jeder Krieger.«
Rolant nickte und sah auf das leere Horn, das Thorgrim achtlos fallen gelassen hatte. »Ich sehe wohl, dass ich dir zeigen muss, wie ein starker Arm deine Waffe zu schleudern vermag. Aber dich schwächt das Bier. Ich werde keinen Ruhm ernten, gegen einen Trunkenbold gewonnen zu haben.«
Thorgrim lief dunkelrot an, packte den Tisch mit beiden Händen und warf ihn um. Becher, Trinkhörner, Tabletts und Speisen fielen zu Boden. Rolant zuckte nicht mit der Wimper. Amüsiert wischte er sich einige Bierspritzer aus dem Gesicht und zeigte zum Ausgang. Als Thorgrim den riesigen Speer ergriff, kamen Arbogast Zweifel, aber Rolant sah dem Friesen ungerührt zu, wie er schwankend zur Tür stapfte, und folgte ihm. Viele Männer und Frauen erhoben sich und gingen den beiden Männern nach.
Arbogast trat hinter den anderen nach draußen und sah, wie der Friese von der frischen Luft wie vor den Kopf geschlagen war und mit dem Speer in der Hand dastand, als wüsste er nichts damit anzufangen.
»Auf den Feldern tanzen die Frauen um die Feuer«, sagte Rolant, »darum schlage ich vor, werfen wir in diese Richtung über das Langhaus.«
Rolant wartete, bis der große Mann reagierte und langsam den Kopf hoch. Verwirrt schüttelte Thorgrim sich und versuchte knurrend mit der Hand irgendwas vor seinem Gesicht zu verscheuchen. Als er den Speer hob, fiel er nach vorne.
Rolant konnte gerade noch zur Seite springen, um nicht unter dem Hünen begraben zu werden. Thorgrim blieb auf dem Gesicht liegen und rührte sich nicht mehr. Lachen löste die Spannung. Zur Belustigung der Gäste trugen die Friesen ihren Gesippten in die Halle zurück. Ein Friese bückte sich nach dem langen Speer und zog ihn hinter sich her. Arbogast gesellte sich zu Rolant und beglückwünschte ihn.
»Deine Worte trafen gut!«
Rolant strich sich über seinen braunen Schnurrbart und sah den drei Männern zu, die den gewaltigen Körper des Friesen kaum zu tragen vermochten. »Morgen werden wir Gelegenheit finden, den Wettkampf fortzusetzen, dessen bin ich mir sicher!«
Dunkelheit hatte sich über das Land gesenkt. Auf den Feldern brannten große Lagerfeuer und die Luft war erfüllt von dem Geruch nach verbranntem Holz, von Musik und Gelächter. Gemeinsam gingen sie zum Tor des Palisadenzaunes, wo sie Isbert stehen sahen. Sein weißblondes Haar leuchtete in der Glut der Feuer, die Licht und Schatten auf sein Gesicht zeichneten.
»Rolant und Thorgrim lieferten sich einen Männervergleich«, sagte Arbogast, »Noch lange wird man sich davon erzählen.«
Isbert verzog unwillig das Gesicht. »Was soll mir der Friese mit seinen großen Worten?«
»Er forderte Rolant hinaus, aber fällte ihn die Trunkenheit, bevor es zum Wettstreit kommen konnte.«
Isbert wendete nicht den Blick von den Frauen, die blumenbekränzt die heiligen Feuer umtanzten. Arbogast folgte seinem Blick. Männer standen in Gruppen beisammen, lachten und riefen den Frauen etwas zu, was auf die Entfernung nicht zu verstehen war. Die Frauen wirbelten mit wehenden Kleidern um die Flammen. In der Nacht zuvor waren sie zur Quelle des Baches gegangen, der aus einem Fels entsprang, und hatten sich gereinigt, wobei kein Mann zugegen sein durfte. Bis Sonnenaufgang mussten sie die Reinigung beendet haben und so kamen sie alle im Morgengrauen zurück, lachend und übermütig, mit geröteten Wangen und strahlenden Augen. Sarhild umrundete ein weiteres Mal das große Feuer, ihre bloßen Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Sie trug ein blutrotes langes Gewand, das um ihre Knöchel wogte, und warf lachend den Kopf zurück, ihr Haar färbte der Flammenschein rötlich ein, während sie um die eigene Achse wirbelte. Ihre Füße stampften im Rhythmus der Gesänge. In den letzten Sommern war sie zu einer schönen jungen Frau herangewachsen.
Arbogast griff sich ein Trinkhorn von einem Vorbeikommenden und sah den Frauen zu, die lachend und rufend um die Feuer tanzten, bis sein Blick bei einer einsamen Gestalt am Waldrand hängenblieb.
»Schau«, sagte er und wies mit dem Kopf auf den jungen Mann, »Farold!«
Isbert sah kurz zu ihrem Bruder hinüber, der im Halbdunkeln kaum zu erkennen war. »Mir scheint, er beobachtet Sarhild!«
»Er ist zwar nicht der Sohn unseres Vaters, aber er hat den Geschmack der Sippe!«, meinte Arbogast und trank einen Schluck des bitteren Bieres.
Farold schien ihre Blicke bemerkt zu haben und nickte ihnen auf die Entfernung zu. Arbogast hob seinen Arm und grüßte ihn mit dem Trinkhorn. Die schmale Gestalt Farolds löste sich aus dem Schutz der Bäume und kam über den Platz auf sie zu, in seiner dunklen Kleidung verschmolz er mit der Nacht. Als er vor seinen Brüdern stehenblieb, reichte er ihnen gerade bis zur Schulter, sein halblanges schwarzes Haar fiel ihm in Strähnen bis in die Stirn.
»Zieht mein Bruder die Einsamkeit des Waldes der Gegenwart der Frauen vor«, sagte Arbogast und reichte ihm das Horn.
Farold nahm es entgegen und trank einen kleinen Schluck. Seine dunklen Augen wanderten kurz zu Isbert, der seine Aufmerksamkeit wieder ganz den Tanzenden zugewendet hatte. »Im Wald sind fast genauso viele Frauen wie bei den Feuern«, antwortete er. »Sie liegen bei den Männern und heißen den Frühling willkommen.«
»Der Winter war lang und hart!« , entgegnete Arbogast.
»Ich erinnere mich an mein erstes Sommersonnenfest. Euer Leben erschien mir fremd, doch Theodard nahm mich ohne zu zögern in die Sippe auf.« Farold zog die schmalen Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. »Es ist jetzt fast zehn Sommer her, seit unser Vater erschlagen wurde. Ich musste den ganzen Tag daran denken!«
Arbogast ergriff das Horn und leerte es mit einem Zug. Sein Blick glitt zu Fehild, die sie damals vom Schlachtfeld bei der Irminsul gerettet hatten. Mittlerweile bewirtschaftete sie mit ihrem Mann Ulf ein Gehöft in der Nähe. Sie war am Leben geblieben, während Theodard starb. Die Götter waren nicht zimperlich darin, wessen Leben sie nahmen und welches sie verschonten. Selbst sie mussten sich an die Schicksalsfäden halten, die die Nornen für sie alle webten.
»Vater hatte einen guten Tod und ohne ihn hätte vielleicht keiner von uns überlebt!«, sagte er. Er bemerkte ein spöttisches Funkeln in den Augen seines Bruders, obwohl seine Miene wie üblich wenig verriet.
»Wäre ich nicht auf den Platz gelaufen, wäre Theodard noch am Leben und könnte jetzt mit uns zusammen feiern.«
»Er feiert nun jeden Abend in Walhall!«, sagte Isbert, der Farold finster musterte. »Noch immer verstehst du nicht, was einen Mann ausmacht. Hast du so wenig von unserem Vater gelernt?«
Farold zuckte zusammen und wandte den Blick ab, um zu den Tanzenden an den Feuern herüberzusehen. »Euer Vater hat mich zu einem Menschen gemacht, mich in den Kreis der Lebenden geholt. Wie könnte ich das vergessen ...«
Arbogast erinnerte sich daran, mit welcher Anhänglichkeit Farold Theodard gefolgt war und wusste, dass auch Isbert sich daran erinnern musste. Aber seine ganze Haltung drückte eine Wut auf Farold aus, die er sich nicht erklären konnte.
Die Frauen drehten sich immer schneller im Kreis und warfen lachend die Haare zurück, ihre bloßen Füße flogen über den Boden. Aleke in ihrem roten Kleid erschien ihm wie ein Feuergeist. Mehrmals hob sie die Arme und warf etwas in die Flammen, was zischend im Feuer verglühte und einen wohlriechenden Rauch erzeugte. Noch immer war ihre Gestalt schlank und biegsam, auch wenn Sarhild ihr an Schönheit mittlerweile gleichkam. Ihre Tochter war ihr in den letzten Jahren immer ähnlicher geworden und Eckart war sichtlich stolz auf sie. Aber sie hatte sich noch immer für keinen Mann entschieden. Sie alle rechneten seit einiger Zeit damit, dass Eckart Isbert Sarhild zu Frau geben würde, doch Jahr für Jahr verging, ohne dass es dazu kam.
Farold nickte Arbogast zu, warf noch einen kurzen Blick auf Isbert und ging langsam über die Felder davon. Schon bald war er in der Dunkelheit verschwunden.
Arbogast klopfte seinem jüngeren Bruder auf die Schulter. »Komm mit rein und feiere mit uns!« Isbert schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen, die Tänzerinnen nicht aus den Augen lassend.