Читать книгу Der Neiding - Michael J. Awe - Страница 9
ОглавлениеNarben
Was jammerst Du?«, herrschte Rolant ihn an.
Farold presste die Lippen aufeinander, doch konnte er nicht verhindern, dass Tränen seine Wangen hinunter liefen. In der Halle wurde es still.
Rolants Finger umschlossen das Trinkhorn, sein Blick fixierte ihn über den Rand hinweg. »Wer kämpft, stirbt!«, sagte der junge Krieger. »Nur Feiglinge werden alt, sterben einen Strohtod.«
Farold wagte nicht, den Blick zu senken. Die Trauer um Theodard verschloss seine Kehle und so stand er schweigend da, presste trotzig die Kiefer aufeinander und rührte sich nicht.
Rolant setzte das Horn in den Halter zurück und beugte sich über den Tisch. »Dein Vater fand den Tod mit dem Schwert in der Hand. Du solltest stolz sein Andenken wahren, statt zu jammern.«
Farold wandte sich ab, so dass Rolant sein Gesicht nicht sehen konnte. »Aber … es … tut … weh!«, brachte er hervor.
»Der Schmerz macht dich stärker!«
Farold starrte gegen die Wand und wünschte sich, allein zu sein mit seiner Trauer. War er der Einzige, der Theodard vermisste? Keiner hatte es bislang ausgesprochen, aber er wusste, was sie alle denken mussten: Wäre er nicht auf die Lichtung gelaufen, hätten die Franken sie nicht entdeckt. Und Theodard wäre noch am Leben.
»Komm her!«, erklang die Stimme Rolants in seinem Rücken. Zögernd drehte Farold sich um, Rolant saß noch immer am Tisch und sah ihn ausdruckslos an. »Komm!«
Zögerlich trat Farold auf den Krieger zu. Rolant zog ein breites Messer, für einen Moment brannte das Licht des Herdfeuers rötlich auf der Schneide. Farold spürte, wie sich sein Atem beschleunigte.
»Gib mir deine Hand!«
Keiner der Anwesenden sagte ein Wort. Das flackernde Licht warf Schatten auf Rolants Gesicht, der fordernd seine linke Hand ausstreckte. Farolds Herz hämmerte gegen seine Brust, es gelang ihm nur mühsam, den Blick von der Waffe zu reißen. Die Schneide war so scharf, dass Rolant damit das Fell eines Wildschweins abziehen konnte.
Zögerlich streckte Farold den Arm aus, bis Rolant seine Hand zu fassen bekam. Der Griff des Kriegers war hart, egal, was jetzt passierte, er würde seine Hand nicht befreien können. Er spürte die Blicke von Manfred und Eckart, glühende Augen in den bärtigen Gesichtern. Langsam hob Rolant das Messer und legte die Schneide quer über Farolds Handinnenfläche. Farold erschauderte. Ruhig bewegte sich die Hand Rolants. Farold spürte, wie sich seine Haut unter der Schneide teilte. Mit zitternden Lippen, doch ohne aufzuschreien, sah er Rolant an.
»Das«, sagte Rolant, »ist der einzige Schmerz, der zählt.«
Der Krieger ließ seine Hand los. Farold betrachtete die blutige Schnittwunde, die heftig zu pochen begann. Das Gerede in der Halle setzte wieder ein, Trinkhörner wurden gefüllt und machten die Runde. Benommen taumelte Farold nach draußen. Kühle Nachtluft brannte auf seinem heißen Gesicht und er lehnte sich mit dem Rücken an die Außenwand des Langhauses. Warmes Blut lief an seinen Fingern hinunter. Farold ließ den Kopf an das raue Holz sinken. Er wünschte sich, es würde Schnee liegen und er könnte seine heiße Hand hinein pressen. Der Schmerz war so stark, dass er an nichts anderes denken konnte, und seine Knie wurden so weich, dass er nahe dran war, einzuknicken. Zitternd holte er tief Luft und stieß sie wieder aus. Leise Schritte traten aus dem Langhaus.
»Farold«, sagte Sarhild und nahm seine Hand. Ihr schmales Gesicht beugte sich über seine Wunde und er roch den Duft ihrer Haare. »Lass mich deine Hand verbinden.«
Er entzog ihr seine Hand, schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. Schmerz blitzte in ihren Augen auf, und Mitleid. Farold spürte Wut in sich lodern. Er wollte ihr Mitleid nicht. »Lass mich!«, stieß er hervor.
»Aber du blutest! Es ist besser, wenn ich sie verbinde.«
Farold schüttelte den Kopf. Der Schmerz war kein unangenehmes Gefühl mehr, er übertönte die Trauer, die wie ein Stachel in seinem Fleisch saß. Er hatte ihn verdient. »Die Wunde wird von alleine heilen!«
»Und was ist, wenn sie sich entzündet? Wenn sie schwarz wird und deinen Körper vergiftet? Lass mich dir helfen, oder meine Mutter!«
Nochmals schüttelte Farold den Kopf. Er zwängte sich an Sarhild vorbei und ging wieder in die Langhalle zurück. Stimmengewirr umfing ihn. Die Männer und Frauen saßen ernst auf den Bänken und redeten eindringlich miteinander, aber er schenkte ihren Worten keine Beachtung. Er kniete sich neben seine Truhe, die ihm Theodard geschenkt hatte, zog etwas Stoff hervor, der von seiner alten Kleidung übrig geblieben war, und riss einen schmalen Streifen ab. Er wickelte ihn sich fest um seine Hand, danach legte er sich auf seine Bank in der Ecke. Immer wieder tauchten die Toten auf dem Platz bei der Irminsul vor seinen Augen auf. Und Theodards große Gestalt, wie er mit dem Griff des Saxes auf seinen hölzernen Rundschild schlug und sich den näher kommenden Franken zuwendete.
Den ganzen Rückweg über hatten sie nur das Notwendigste gesprochen. Rolant führte sie durch die dichten Wälder an den Gruppen von fränkischen Reitern vorbei, die über die Wege galoppierten. Der kalte Geruch von Rauch hing in der Luft, mehrmals kamen sie an niedergebrannten Gehöften vorbei, vor denen leblose Gestalten lagen. Rolant trug das Mädchen den ganzen Weg über, obwohl sie die Augen nicht mehr öffnete. Ihr Gesicht war blass, wie das einer Toten und ihr ganzer Körper glühte, so dass Rolant sie in das kalte Wasser eines Baches legte. Farold staunte über die Kraft des schmalen Mannes, der zwei Tage lang den Mädchenkörper trug, bis sie an ein Gehöft kamen, deren Sippe Rolant bekannt war. Sie liehen sich Pferde aus und legten den Rest des Weges bis Anbruch des Tages zurück. Seitdem sie heute Morgen Theodards Halle erreicht hatten, war Aleke damit beschäftigt gewesen, die Bauchwunde des Mädchens zu versorgen. Sie sprach verwundert, dass viel Kraft in diesem kleinen Körper stecken musste, der solche Entbehrungen zu überstehen in der Lage war. Fredegard war bei ihrer Ankunft vor das Langhaus getreten und hatte sofort gesehen, dass sie ohne Theodard vorgeritten kamen. Während sich alle Anwohner versammelten und Rolant von der Zerstörung der Irminsul und dem Tode Theodards berichtete, kam kein Laut der Klage von ihren Lippen. Sie nickte und setzte sich dann an das Herdfeuer neben die alte Sassia, die diesmal kein Wort des Spottes sagte.
In der Nacht wurde er immer wieder wach, weil die Hand schmerzte, doch schlug er schon beim Zwitschern der ersten Vögel die Augen auf. In der Halle war es noch still. Das ungleichmäßige Schnarchen von Manfred erklang von der anderen Seite des Raumes, wo auch seine Frau und die Kinder schliefen. Farolds Blick blieb auf der Schlafstelle Theodards hängen, die leer war. Vorsichtig wickelte er den Stoffstreifen auf und besah die verschorfte Schnittwunde. Die Hand würde er einige Zeit nicht mehr benutzen können. Als er aufsah, bemerkte er Fredegard, die am Herdfeuer saß und ihn regungslos beobachtete. Er erschauderte und wickelte den Verband wieder fest um seine Hand. Sie saß da wie am Vortag, Farold war sich nicht sicher, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Langsam ging er zur Tür und trat in die kühle Morgenluft. Die Dunkelheit war noch nicht dem Grau des frühen Morgens gewichen. Tau nässte sein Schuhzeug, während er zum Palisadenzaun ging und sein Geschäft in der kleinen Hütte verrichtete. Auf dem Rückweg sah er zu Eckarts Langhaus hinüber und überlegte, ob er nachschauen sollte, wie es dem verletzten Mädchen ging. Wilburga überquerte den Platz, in jeder ihrer großen Hände einen Eimer, und nickte ihm kurz zu, bevor sie am Brunnen die Eimer an dem langen Seil hinunterließ. Farold entschloss sich, später nach dem Mädchen zu schauen, und ging zum verschlossenen Palisadentor. Er kletterte den Wall hinauf und blickte über die Pfähle hinweg. Am Fuß der Bäume und in den Senken hing Nebel, einige Krähen hüpften über die Felder und pickten in den Ackerfurchen. Er betrachtete das Land, das nun auch sein Land war, das Land seiner Sippe, doch fühlte er sich immer noch als Fremder. Irgendwo hinter den endlosen Baumwipfeln lag nun Theodard, auf fernem Boden und unbestattet. Viele Männer waren in den letzten Tagen dort erschlagen worden, wo der qualmende Rest der Irminsul lag. Er hatte das Gesicht von Isbert gesehen, und wusste nicht, was seinem Bruder mehr zugesetzt hatte. Es war ein guter Tod, erzählten ihm alle, doch was war gut daran, erschlagen auf einer Lichtung zu liegen, anstelle im Kreis seiner Gesippten zu leben, das Horn kreisen zu lassen und den Acker zu bestellen? War es nicht besser zu leben als tot zu sein?
Als er in das Langhaus zurückkehrte, beugte sich Wilburga über den Kessel, der auf dem Herdfeuer stand, und rührte mit einer großen Kelle den Gerstenbrei um. Arbogast und Isbert saßen am Tisch und schwiegen, die anderen schliefen noch, denn es schien gestern spät geworden zu sein.
»Hier!«, sagte Arbogast und schob ihm eine leere Holzschüssel hinüber. Wilburga trat an den Tisch und füllte sie bis zum Rand mit dem heißen Getreidebrei. Unsicher griff Farold mit der linken Hand nach dem Löffel und aß den Brei, ohne ihn zu schmecken. Fredegard saß noch immer am Feuer und rührte sich nicht, die Schüssel mit dem Brei an ihrer Seite war unberührt. Isbert sah immer wieder unsicher zu seiner Mutter hinüber.
»Wir müssen gleich aufs Feld«, sagte Arbogast ruhig.
Isbert verzog das Gesicht. »Wir haben Wichtigeres zu tun als die Feldarbeit.«
»Nicht, wenn wir im Winter nicht verhungern wollen!«
Isbert beugte sich zu seinem Bruder und senkte die Stimme. »Du hast doch gesehen, was die Franken mit der Irminsul gemacht haben. Was meinst Du, was jetzt passieren wird?«
Arbogast zuckte die breiten Schultern. »Man wird zu den Waffen greifen und gegen die Franken ziehen.«
»Es wird einen Kampf geben«, sagte Isbert und sah Arbogast beschwörend an, »wie ihn der König der Franken noch nie gesehen hat. Du weißt doch, was Vater gesagt hat …« Stolz hob er seine Stimme. »Er hat gezeigt, aus welchen Holz wir Westfalen sind. König Karl wird uns kennen lernen! Er wird bluten für das, was er in unser Land getragen hat.«
»Theodard ist tot«, sagte Farold tonlos ohne aufzusehen.
Isbert stockte. Farold spürte, wie ihn der weißhaarige Junge taxierte. »Das weiß ich und es gibt keinen Grund, über seinen Tod zu jammern.«
Farold hob die Hand mit dem Verband. »Das hat mir Rolant gestern mehr als deutlich gemacht.«
»Es ist nur ein Schnitt, der bringt dich nicht um.«
Arbogast setzte den Holzbecher ab. »Eine kaputte Hand ist nicht gut für die Feldarbeit.«
Farold staunte über den Gleichmut dieses großen starken Jungen, der viel von seinem Vater besaß, aber an nicht mehr zu denken schien, als die Arbeit. Gerade so, als wäre er aus Lehm und Stein. Fühlte er keinen Schmerz über den Tod Theodards? Wut schoss in Farold hoch und verzerrte seine Stimme. »Was soll mir das Wühlen im Boden!«, rief er und hörte, wie Isbert die Luft ausstieß.
Arbogasts graue Augen sahen ihn fragend an. »Was sprichst du da?«
Farold stieß die Schüssel mit dem Brei weg. »Du siehst nicht weiter als bis zur nächsten Grasnarbe. Ich aber bin durch weite Wälder und Sümpfe gewandert, habe Dörfer, Städte und Klöster gesehen, mehr Menschen, als du dir vorstellen kannst. Euer Hof ist nichts besonderes, er bedeutet mir nichts.«
»Dann geh doch!«, knurrte Isbert.
Arbogast hob beschwichtigend die Hand. »Es ist der Boden, der den Mann macht, hat Vater gesagt. Ein Mann fern des eigenen Ackers ist haltlos. Nichts ist schlimmer, als in der Ferne unter fremden Dächern zu nächtigen.«
»Doch«, sagte Fredegard, die unbemerkt hinter Arbogast getreten war, »etwas ist schlimmer!«
Farold holte erschrocken Luft, so unvermittelt stand Theodards Witwe hinter der Sitzbank. Keine Träne hatte ihre Wange genässt, aber die Lippen waren schmal und ihr Gesicht eingefallen. »Schlimmer ist, wenn die Rache ruht, wenn einer aus der Sippe erschlagen wurde. Schlimmer ist, wenn die Männer am Herdfeuer sitzen, statt die Waffen zu gürten und auszureiten, um den Töter ihres Gesippten zu erschlagen. Schlimmer ist, wenn kein Blut geflossen ist, wo nur Blut das Heil wieder aufrichten kann.«
Eine steile Falte erschien auf Arbogasts Stirn, während er seine großen Hände auf der Tischplatte betrachtete. Es war Rolants Stimme, die das Schweigen brach.
»So wird es geschehen!«
Der junge Krieger trat an den Tisch und griff sich eine Schale mit Wasser. »Den Franken wird es übel ergehen, die Theodard erschlugen.«
»Aber du kennst den Töter nicht!«, wandte Arbogast ein.
Rolant wusch sich das Gesicht und schnäuzte die Nase frei. »Wir sahen die Männer, die sich uns näherten. Sie werden noch eine Weile in der Gegend sein, um die Plünderungen fortzusetzen. Und wenn wir sie nicht finden, nehmen wir Bessere und erschlagen sie.«
Farold sah das gefährliche Funkeln in den Augen des schmalen Mannes, das ihm schon damals im Wald aufgefallen war.
»Das tut meinen Ohren gut zu hören, Rolant«, sagte Fredegard. »Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.«
»Und auf Manfred und Eckart!«
Rolant gürtete sein langes Schwert, als Eckart eintrat. Er hinkte noch immer leicht, aber seine Miene war entschlossen. Auch er trug eine Waffe an seiner Seite und auf dem Rücken hatte er ein hölzernes Rundschild befestigt. Das Sax steckte in einer reichverzierten Scheide, die Aleke gefertigt hatte. Geweckt von den Stimmen, erhob sich auch Manfred, trat zum Tisch, trank ein großes Horn Bier, fuhr sich mit dem nackten Unterarm über den Bart und gab Wilburga einen Kuss.
»Lass dir ja nicht einfallen, dir was abschlagen zu lassen«, schimpfte sie. Der hünenhafte Schmied lachte, dass es von der Decke widerhallte und legte seinen Arm um ihre drallen Hüften.
»Meinen Hammer führe ich gegen Eisen wie gegen fränkische Schädel, es macht keinen Unterschied.«
»Dann ist es beschlossen!«, sagte Fredegard ernst.
Im Hintergrund trat Aleke ein, gefolgt von Sarhild. Farold sah sie an, für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Rolant zog Bleicher und schwor einen Eid, dass er Theodards Tod rächen würde, so taten es auch Eckart und Manfred.
Als die Sonne gerade über den Baumwipfeln stand, bestiegen die Männer die Pferde und ritten durch das Palisadentor.
»Ich wünschte, ich könnte mitreiten!«, sagte Isbert.
Farold dachte daran, dass es nun noch mehr Tote geben würde, und dass egal wie viele Franken die drei tapferen Gesippten auch erschlagen mochten, Theodard doch nie wieder in seiner Halle sitzen würde.
In der Zeit der Abwesenheit der Männer mussten sie von früh bis spät auf den Feldern arbeiten. Noch vor Sonnenaufgang aßen sie ihren Getreidebrei und gingen nach draußen, und bei Sonnenuntergang fielen sie auf ihre Lager. Einmal am Tag schaute Farold in Eckarts Haus vorbei, um nach dem verletzten Mädchen zu sehen. Sie bestand nur noch aus Haut und Knochen und ihre Arme waren so dünn, dass Farold sie mit zwei Fingern hätte umfassen können. Eines Morgens dann schlug sie ihre Augen auf, als Aleke ihr Wickel um Waden und Handgelenke machte, und sah sie mit flatternden Lidern an, schlief sofort wieder ein. Innerhalb von wenigen Tagen öffnete sie immer häufiger die Augen, aber Farold konnte nicht sagen, ob sie jemanden erkannte. Der Schnitt in der rechten Handfläche heilte nur langsam. Immer wieder während der Arbeit nässte Blut seinen Verband, doch das Fleisch verfärbte sich nicht. Fredegard aß nichts und trank nur wenig, so dass ihre Wangen immer stärker einfielen, aber ihre Haltung war aufrecht. Das erste, was sie morgens nach dem Aufstehen tat, war, auf den Hügel der Palisade zu klettern und in die Richtung zu schauen, in der die Männer davongeritten waren. Isbert stand verbissen und schwitzend auf dem Feld, die Haut von der Sonne versengt, die drückend auf sie herunterbrannte, aber es war Arbogast, der den größten Teil der Feldarbeit machte. Seine Kraft schien unerschöpflich zu sein, und wann immer Farold etwas nicht schaffte, packte Arbogast mit an. Farold wunderte sich, wie ein Junge, der noch nicht das Erwachsenenalter erreicht hatte, die meisten Männer an Stärke überflügeln konnte. Arbogast sprach niemals über seinen Vater, doch ab und zu konnte Farold beobachten, wie der große rothaarige Junge in der Arbeit innehielt, sich den Schweiß von der Stirn wischte und wie seine Mutter in die Richtung schaute, in der Rolant und die anderen Männer geritten waren. Isbert dagegen sprach umso mehr. Einmal kam ein Reiter vorbei, ein bärtiger Mann, und brachte Kunde, dass eine Versammlung beim nächsten Vollmond stattfand. Isbert fragte ihn begierig aus. Der Mann konnte berichten, dass viele Sachsen zu den Waffen gegriffen hätten und in kleinen Gruppen durch die Wälder zogen, um fränkische Krieger zu erschlagen. Die Wut über die Schandtat des Frankenkönigs war groß. Die Nachricht von der Zerstörung der Irminsul lief von Hof zu Hof und durchquerte jeden Gau in Windeseile. Während Wilburga dem Mann Essen und Trinken reichte, berichtete er, dass die ersten Häuser des neuen Gottes, deren Bau auf sächsischem Boden man bislang geduldet hatte, in Flammen aufgegangen waren und die Kuttenträger erschlagen wurden. Als der Bote weiter gezogen war, fragte ihn Sarhild, ob er seinen priesterlichen Begleiter vermissen würde, der von den Räubern getötet worden war. Farold schüttelte den Kopf. »Er ist tot. Wir sprachen nicht viel miteinander.« Sarhild stellte den schweren Wassereimer ab und fragte ihn, ob er ihn denn schlecht behandelt hätte. Farold zuckte mit den Schultern. »Ich war ihm gleichgültig. Er war mir gleichgültig. Ich begleitete ihn nur!«
Dann, eines Tages, die Sonne stand schon tief, hörten sie Pferde im Wald. Sie liefen zu dem Palisadentor, wo die Frauen zusammengekommen waren, und sahen zum Waldrand. Drei Männer kamen den Weg hinunter, die Abendsonne schien auf ihren Waffen und dem Helm des Anführers. Aleke erkannte sie als Erstes.
»Rolant!«, rief sie.
Die Gesippten ritten bis auf den Hof und stiegen ab. Ihre Gesichter waren staubbedeckt, aber sie waren unverletzt. Nur Eckart trug einen Verband am Arm.
»Was für Neuigkeiten bringt ihr mir«, fragte Fredegard. Ihr Blick ging zu dem vierten Pferd, auf dem ein eingewickelter Leichnam befestigt war. Sie hatte sich einen kostbar bestickten Umhang umgeworfen, der am Hals von einer silbernen Fibel gehalten wurde.
Manfred schnallte seinen Hammer vom Sattel und stellte ihn auf die Erde. »Wir haben das getan, für das wir ausgeritten sind.«
»So war eurer Ritt erfolgreich?«, fragte Fredegard.
Rolant nahm einen großen Sack vom Packpferd und reichte ihn Fredegard. Der schwere Geruch drang bis zu Farold und erinnerte ihn schlagartig an den verwüsteten Platz der Irminsul. Der Sack war schwer und Fredegard musste ihn mit beiden Händen greifen.
»Viele der Franken«, sagte Rolant, »die die Irminsul schändeten, sind mit ihren König weitergezogen. Doch wir fanden diese fünf, deren Köpfe du in den Händen hältst. Es waren gute Männer, wir nahmen ihn das Leben.«
Fredegard schüttete den Sack aus. Zu ihren Füßen rollten die abgeschlagenen Köpfe der fränkischen Krieger. Farold trat zurück und spuckte würgend aus.
»Den Schwarzbärtigen mit dem Helm erkannte ich wieder«, sagte Rolant und wies auf einen der Köpfe. »Er war einer der Männer, die Theodard erschlugen.«
»Dann ist der Rache genüge getan!«, sagte Fredegard. »Nehmt die Köpfe und spießt sie auf die Palisade, auf dass die Raben sich an einen sättigen können.«
Eckart steckte die Köpfe in den Sack zurück und warf ihn sich achtlos über die Schulter. Fredegard trat zu dem Pferd mit dem den eingewickelten Leichnam.
»Ist das Theodard?«, fragte sie.
Manfred nickte. »Wir fanden ihn da, wo man ihn erschlagen hatte.«
»Bringt ihn in das Haus, damit wir seine Wunden waschen können!«
Rolant zögerte. »Es ist übel um ihn bestellt. Er lag tagelang im Hain.«
»So werden wir ihm doch eine Beerdigung bereiten, die ihm angemessen ist«, antwortete Fredegard.
Der große Schmied löste die Stricke um den Leichnam und trug ihn zum Langhaus hinüber, gefolgt von Fredegard und Wilburga. Arbogast ging langsam hinter den Frauen her. Farold sah ihnen zu, wie sie im Haus verschwanden und Theodard zum letzten Mal in seine Halle einkehrte. Isbert beobachtete Eckart, wie er die Köpfe auf die Pfähle des Palisadenzaunes setzte, seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. »So wird es allen Franken ergehen, die auf dem Gebiet der Sachsen heeren!«, sagte er und ging dann ebenfalls zur Langhalle hinüber. Farold blieb neben Sarhild stehen, die seine Hand nahm. Ohne sich anzusehen, standen sie auf dem Hof, bevor sie langsam den anderen folgten.