Читать книгу Der Neiding - Michael J. Awe - Страница 21
ОглавлениеBrandolfs Lager
Nachdem Brandolfs Männer den Hof geplündert hatten, zogen sie sich wieder in die Wälder zurück. An einer geschützten Stelle bauten sie ihr Lager auf, die erbeuteten Bierfässer wurden geöffnet und schon bald hallte raues Lachen durch die Dunkelheit.
Farold saß stumm unter einem Baum, den Rücken gegen die borkige Rinde gelehnt, und besah sich das Treiben. Der Schein des großen Feuers in der Mitte des Platzes reichte kaum bis zu ihm und ließ ihn aus den Schatten heraus die Menschen betrachten, unter die er geraten war. Räuber, Neidinge, Totschläger. Sie betranken sich ohne Angst vor einer Verfolgung und glichen dabei wilden Hunden, die sich um ein verendetes Tier scharten, dem sie die Fleischstücke herausrissen. Wo das Kreisen des Bechers sonst Form und Gebräuchen folgte und den Zusammenhalt förderte, war hier nur ein garstiges Gesaufe, bei dem jeder für sich alleine blieb und niemand Ruhe fand. Die Männer trauen keinem anderen über den Weg, dachte Farold. Sie betrachten sich argwöhnisch aus den Augenwinkeln, selbst wenn sie laut lachend den Kopf in den Nacken werfen.
Die vergangenen Ereignisse lagen wie ein schlechter Geschmack auf Farolds Zunge. Er war froh darum, dass ihn niemand beachtete, so dass er seinen düsteren Gedanken nachhängen konnte. Ab und zu wanderte sein Blick zu dem großen Zelt Brandolfs, in das sie die Gefangene gebracht hatten. Der Jüngling mit dem Namen Adalbert, der als einer der wenigen den Überfall überlebt hatte, lag nun gefesselt am Rand des Feuerscheins. Ob er wach war oder nicht, konnte Farold nicht erkennen.
Ein Mann mit einem hölzernen Trinkbecher torkelte an Farold vorbei und verschwand zwischen den Bäumen, wo er sich geräuschvoll erleichterte.
Farold erhob sich und ging zu dem Bierfass hinüber, füllte einen Becher und näherte sich Adalbert. Nach einem kurzen Blick in die Runde ging er neben ihm in die Knie und sah in das bleiche Gesicht des Jünglings, dessen Augen ihn regungslos musterten. Farold setzte ihm den Becher an die Lippen und der Gefesselte trank in gierigen Zügen, bis er mit einem erschöpften Stöhnen den Kopf wieder sinken ließ.
Einige Zeit sah Adalbert ihn an, dann sagte er schwach: »Ich kenne dich, du bist Farold vom Hofe Arbogasts. Mein Vater kannte deinen Vater und leerte das eine und andere Trinkhorn mit ihm, aber das ist lange her. Meine Mutter erzählte mir davon. Ich hätte nicht gedacht, dich unter solchen Menschen zu treffen.«
Farold wandte seinen Blick ab, starrte in die Dunkelheit. »Ich kenne deinen Vater, zweimal war mein Vater Gast in eurer Halle gewesen.«
Ein Mann schwankte auf sie zu und Farold verstummte.
»Was gibst du ihm das gute Bier!«, rief der Mann und funkelte sie beide wütend an. »Lange lebt dieser Jüngling sowieso nicht mehr. Wir haben ihn nur mitgenommen, damit seine Schwester ihm beim Sterben zusehen kann.«
Er gab den am Boden Liegenden einen kräftigen Tritt, Adalbert krümmte sich wimmernd zusammen.
Farold schluckte. Es lag kein Heil darin, einen hilflosen Gefangenen zu treten, aber so tief war er noch nicht gesunken, dass er einem durstigen Menschen den Trank verwehrte. Langsam setzte er Adalbert wieder den Becher an die rissigen Lippen.
»Ich danke dir, Farold«, sagte der junge Mann. Unter müden Lidern starrte er ihn an. »Der Hof eurer Sippe liegt viele Nächte von hier, du bist fern der Heimat!«
Farold nickte und sah sich unauffällig um. Momentan schienen sie nicht weiter beachtet zu werden.
»Es ist von Übel, im Unland zu leben, Farold. Was treibt dich in die Gesellschaft dieser Männer ...?«
Farold erhob sich langsam.
Der Blick des Jünglings wurde schärfer. »Warum bist du hier?«
»Vor vielen Jahren kam ich aus den Wäldern und nun bin ich in die Wälder zurückgekehrt.«
»Du hast eine Sippe. Was treibt dich in die Wildnis, wo doch die Gemeinschaft am Herdfeuer deiner wartet?«
Farold betrachtete das Gesicht des Jünglings, der aus einem geschwollenen Auge kaum sehen konnte, während das andere ihn weiterhin argwöhnisch musterte. Er ist im Stolz erzogen worden, dachte sich Farold, sein Denken und Handeln ist geradlinig und er ist noch zu jung, um vieles zu verstehen, doch ich sehe in seinem Blick, dass er langsam zu verstehen beginnt.
»Hat dich deine Sippe ausgestoßen? Lebst du deswegen fern der Heimat, wie ein Tier außerhalb der menschlichen Gemeinschaft?«
Farold wollte etwas erwidern, aber er fühlte sich, als wäre alle Kraft aus ihm gewichen. Argwohn war ihm schon häufiger begegnet, aber nun schlug ihm pure Verachtung entgegen und dies war mehr, als er vertragen konnte.
Adalbert wischte sich mit der Hand über den Mund und spuckte aus. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab.
Farold war wie vor den Kopf gestoßen und starrte auf den Rücken Adalberts, den leeren Becher in der Hand. Benommen kehrte er zu seinem Platz unter den Bäumen zurück, eine Scham fühlend, die er noch nie empfunden hatte. Ein Jüngling, kaum dem Kindesalter entwachsen, hatte ein Urteil über ihn gesprochen und Farold wusste, dass dies nun seine Zukunft sein würde. Verachtung und Furcht, wo immer die Natur seines Wesens offenkundig wurde. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und hoffte, dass er bald einschlafen würde.
Mitten in der Nacht wurde er wach. Farold sah den bedeckten Nachthimmel und drehte den Kopf. Außer ihm schienen alle anderen zu schlafen. Nur die Wache saß ruhig am Feuer. .
Ein Klatschen ertönte, gefolgt von einem dumpfen Schmerzenslaut. Langsam fiel der Schlaf von ihm ab und brachte auch die Erinnerung zurück. Ein weiteres Klatschen hallte über den Lagerplatz. Farold setzte sich auf und sah zu Brandolfs Zelt hinüber. Die dumpfe Stimme des Anführers, die Farold nicht verstand, drang durch die offene Klappe nach draußen. Ein kleines Feuer im Inneren warf die Schatten des hünenhaften Mannes an die Zeltwand, der sich über etwas beugte. Mit noch vom Schlaf unsicheren Beinen erhob sich Farold und schritt langsam am Rande des Lagers auf das Zelt zu. Kreuz und quer lagen die Männer Brandolfs am Boden. Ihre tiefen Atemgeräusche änderten sich nicht, als er zwischen ihnen entlangging. Umso näher er kam, umso deutlicher konnte er die Worte verstehen, die Brandolf sprach.
»Ich habe dir gesagt, dass du noch lange an deine Worte denken wirst ...«, vernahm er, bevor ein Windstoß die Baumkronen schüttelte und den Rest übertönte.
Die Wache hatte sich aufgerichtet und warf ihm misstrauische Blicke zu. Farold lenkte seine Schritte weiter auf das Zelt zu, bis er einen Teil des Inneren sehen konnte.
Im Schein des Feuers sah er Brandolf, der über einem Bündel am Boden stand. Sein Gesicht war ausdruckslos, nur die Augen funkelten wie Sterne am Nachthimmel.
»Wo ist deine Sippe, die dich beschützt? Was nützen dir jetzt deine Verwandten?«
Das Etwas am Boden bewegte sich und Farold konnte erkennen, dass es sich um die gefesselte Dietlind handelte. Sie blutete aus einer Platzwunde an der Stirn und aus Mund und Nase. Es dauerte lange, bis sie sich in eine sitzende Position hochgearbeitet hatte. Nur mühsam konnte sie ihren Kopf heben.
Brandolf zog seinen schweren Dolch und kniete sich über das kleine Feuer am Boden, welches das Zeltinnere erhellte. »Deine Schönheit wird gerühmt, Dietlind!«, sagte er jetzt etwas leiser, während er die Klinge in die Glut hielt. »Ich werde sie dir nehmen!«
Farold konnte erkennen, wie ihre auf den Rücken gefesselten Hände versuchten, die Stricke zu lockern, aber es wollte ihr nicht gelingen. Zornig blickte sie ihren Peiniger an.
Brandolf griff ihr in die Haare und riss Dietlinds Kopf in den Nacken. Ein heiseres Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Langsam senkte Brandolf seinen Dolch auf ihre Wange und der Körper der Frau bäumte sich auf. Der Geruch nach verbranntem Fleisch drang zu Farold hinaus.
Feste Schritte verstummten hinter ihm. Die Wache fasste ihn grob an die Schulter. »Du wirst bekommen, was Brandolf von ihr übrig lässt. Und jetzt leg dich wieder auf deinen Platz!«
Farold riss den Blick vom Zelt los und torkelte zurück. Er warf sich auf sein Lager. Mit brennenden Augen blickte er in die Baumkrone. Immer wieder ertönten Geräusche aus dem Zelt und als sie endlich verstummten, graute schon der Himmel.