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Rauchnacht

Schwärme von Krähen zogen über das Land. Wie schwarze Punkte trieben sie vor dem grauen Himmel, ihre heiseren Rufe riss der Wind von den Schnäbeln. Schneeflocken wirbelten durch die eisige Luft. Das knorrige Holz der alten Bäume ächzte, die Wurzeln wie Knoten in das Erdreich gekrallt, die Stämme schwarz und feucht. Die Finsternis brachte die längste Nacht des Jahres.

Die Häuser des Gehöftes duckten sich hinter der Palisade aus grob gezimmerten Baumstämmen. Kein Licht brannte, niemand war zu sehen. Die Schatten des Waldes krochen zwischen den tiefen Dächern entlang, während die Menschen lauschend in ihren Hallen saßen. Die Felder außerhalb der schützenden Holzpalisade lagen verlassen da, begraben unter knietiefen Schneewehen.

Außer dem Herdfeuer brannte kein Licht in der großen Halle. Schatten sammelten sich unter den Dachbalken, wo der Rauch das Holz geschwärzt hatte. Der Wind heulte, drückte gegen die Palisade, so dass man ihr Knirschen noch in den Häusern hören konnte, und rüttelte an den Dächern. Der sie umgebende Wald war erfüllt von fremdartigen Geräuschen.

Sarhild, die gerade Brennholz nachlegte, hielt in ihrer Arbeit inne und lauschte. Ein Wimmern lag in der Luft. Der Wald war voller finsterer Wesen diese Nacht und sie hoffte, dass die Männer ihren Weg finden würden. Die dunklen Vögel schrien seit Einbruch der Dunkelheit und die Schweine und Schafe hinter der Trennwand bewegten sich unruhig. Das Mädchen konnte ihre Furcht spüren. Eckart saß schweigsam bei seinem Bier. Während der Zwölfnächte ruhte die Hausarbeit, das Spinnrad stand still wie das Rad der Zeit. »Auf dass die Sonne wieder aufgeht!«, flüsterte Sarhild und berührte ihren Donarhammer, einen kleinen Anhänger aus Eichenholz, den ihre Mutter geschnitzt hatte.

Eisiger Wind und Schneegestöber drangen in die Langhalle, als sich eine Gestalt durch den Eingang drückte. Obwohl Isbert nur den Hof überquert hatte, waren seine Haare und Schultern schneeüberzogen. Der Junge stapfte sich den Schnee von den Füßen, Eckart musterte ihn düster über den Becher hinweg.

»Die Vögel fallen tot vom Himmel!«, sagte Isbert und trat in den Schein des Herdfeuers vor, das in der Mitte der Halle brannte. Sarhild sah sein schulterlanges Haar rötlich aufleuchten, dieses besondere Haar, das sie noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Es war nicht blond, wie bei seinem Vater Theodard, oder rot wie bei Arbogast, seinem älteren Bruder, sondern von einem bleichen Weiß wie Schnee im Licht der Wintersonne. Ein Haar, das keine Farbe zu besitzen schien, dachte sie, eine Laune der Götter. »Zwei toten Raben liegen im Hof, sie sind hart wie Stein.«

»Nur ein Narr verlässt sein Herdfeuer in dieser Nacht!«, brummte Eckart und trank einen weiteren Schluck. Ihr Vater würde bis zum Aufgang der Sonne kein Auge zutun, sie alle fürchteten diese zwölf Nächte. Ein Schatten huschte über das ebenmäßige Gesicht Isberts.

»Sie werden den Weg finden!«, sagte er und setzte sich neben Sarhild auf die Bank. Eine Zeitlang saßen sie nebeneinander und lauschten dem Heulen des Windes, dem Knirschen des Gebälks. Nur der Schein des Herdfeuers vertrieb Dunkelheit und Kälte, die aus den Wäldern zu ihnen gekrochen kamen und die Langhäuser umschlossen. Nur das Opfer an die Götter würde ihnen Schutz gewähren. Vor zwei Nächten hatten sie damit begonnen, Holz auf dem Hof aufzuschichten, damit das heilige Feuer in diesen Stunden angezündet werden konnte, dann waren Eis und Schnee gekommen und sie hatten den Holzstapel mit großen Tüchern abgedeckt.

Draußen schlugen die Hunde an. Ihr heiseres Bellen drang durch den Schneesturm.

»Sie sind zurück!«, rief Isbert und rannte zur Tür.

Sarhild warf sich das Schafsfell über und folgte ihm nach draußen. Eiskristalle schlugen ihr schmerzhaft ins Gesicht, hinter sich hörte sie Eckart fluchen. Obwohl Isbert kurz vor ihr ging, konnte sie ihn im nächtlichen Schneegestöber kaum erkennen. Sie zog das Fell dichter um ihre Schultern und kämpfte sich durch den kniehohen Schnee. Die anderen Langhäuser waren kaum mehr als ein Schemen. Die massige Gestalt Manfreds kam ihnen entgegen, die Arme ragten bloß aus der schlichten Tunika hervor. An dem verschlossenen Tor sprangen die Hunde hoch. Manfred stemmte den Eichenschaft des Speeres in den Schnee und kletterte den Wall hoch, um über die Palisade schauen zu können. Sarhild blinzelte gegen den Sturm an, die Schneeflocken stachen wie Nadeln und rissen die Haut wund. Als Manfred seinen Kopf über die Baumstammspitzen steckte, erwischte ihn der Eissturm mit voller Kraft. Sein kahler Schädel funkelte feucht, als er sich an die Palisade klammerte. Eckarts Fackel wurde vom Sturm gelöscht und ließ sie in der Dunkelheit zurück.

»Wer da?«, rief Manfred mit seiner kraftvollen Stimme.

Alle lauschten in das Heulen des Sturmes hinein, während die Hunde immer noch kläffend am Tor hochsprangen. Lass sie es sein, dachte Sarhild, und keine bösen Gestalten der Nacht.

Nach einer Weile drang eine Antwort zu ihnen. »Wir sind zurück, Manfred. Öffnet das Tor!«

»Es ist Theodard!«, rief Isbert.

Manfred schlidderte den Wall hinunter. Gemeinsam mit Eckart und Isbert wuchtete er den schweren Balken nach oben, der den Torflügel verschloss. Die Männer stemmten sich mit den Schultern gegen das Tor, bis es sich einen Spaltbreit öffnete. Die Hunde liefen kläffend zwischen den Männern herum, Sarhild griff einem der wolfsähnlichen Tiere ins struppige Nackenfell und zog es daran zurück.

Drei Gestalten, tief in Fellumhänge gehüllt, schoben sich durch den Spalt, gefolgt von einer weiteren, kleineren.

»Vater!«, rief Isbert.

Theodard ergriff mit Manfred den schweren Balken und wuchtete ihn wieder in die Halterung, während Rolant und Arbogast halfen. Sarhild warf einen Blick auf die kleine Gestalt, in der Dunkelheit war das Gesicht des Gastes nicht zu erkennen, Sarhild tippte aber aufgrund seiner Schmächtigkeit auf eine Frau. Gemeinsam schritten sie gegen den Sturm gelehnt zu Theodards Halle, die die größte war. Hitze schlug ihnen beim Eintreten entgegen. Die Flammen des Herdfeuers brannten hoch, Qualm sammelte sich unter dem Dach und brannte in den Augen.

Neben dem Herdfeuer erhob sich eine hochgewachsene Frau. »Willkommen, Theodard!«, sagte Fredegard und grüßte ihren Mann. Der Blick ihrer grauen Augen glitt zu dem Neuankömmling hinüber.

»Wir sind den Weg nicht allein gekommen«, erklärte Theodard.

Im Schein der Flammen erkannte Sarhild, dass es sich bei dem Fremden um einen Jungen handelte, schwarzes dichtes Haar fiel ihm auf die schmächtigen Schultern, der Blick war misstrauisch.

»Zeig mir, wen du da aufgelesen hast!« Fredegard beugte sich zu dem Jungen hinunter. Als dieser zurückwich, griff sie blitzschnell nach seinem Kinn und zwang ihn, seinen Kopf zu heben. »Bist du ein Mensch oder siehst du nur so aus?«, murmelte sie. Der Junge hatte die Augen aufgerissen, doch konnte er sich aus dem festen Griff der Frau nicht befreien. »Er spricht nicht!« Sie blickte ihm in die Augen, die von einem tiefen Schwarz waren. »Augen wie Kohlen«, flüsterte Fredegard.

Arbogast trat zu seiner Mutter. In seinem roten Haar, dunkler als das rötlichblonde Haar Fredegards, glitzerten Eiskristalle. Arbogast besaß ihre grauen Augen und ihren hohen Wuchs. Von seinem Vater hatte er die unbändige Kraft, die schon jetzt der eines Mannes gleich kam. »Er war in Begleitung eines Kuttenträgers. Männer überfielen sie und erschlugen den Kreuzmann, aber Vater und Rolant trieben sie in den Wald zurück.«

»Der neue Gott!«, murmelte Fredegard. »Dann sag mir, wie du heißt.« Sie ließ das Kinn des Jungen los, ihre Finger hatten blasse Male auf seiner Haut hinterlassen.

»Er spricht nicht«, wiederholte Rolant, der den Jungen kühl musterte. Er schnallte sein Langschwert ab und legte es auf eine Truhe neben dem Eingang.

Fredegard ließ den Jungen nicht aus den Augen. »Wer nicht spricht, in dem kann auch kein Heil liegen.« Der Junge, obwohl dem Griff Fredegards entronnen, wich nicht zurück, seine schmale Brust hob und senkte sich heftig. »Alles hat einen Namen, was im Licht der Sonne wandelt.«

Sarhild wünschte sich, ihre Mutter wäre hier. Sie besaß die Fähigkeit, die wahre Natur der Dinge zu sehen und Gutes vom Bösen zu unterscheiden. Nicht alles, was einem im Wald begegnete und aussah wie ein Mensch, ist auch einer, sagte Aleke häufig zu ihr. Sarhilds Mutter bereitete noch in der Grubenhütte die Räucherung der Gebäude vor, denn sie war vertraut mit dem alten Wissen und wusste, wie man Runen schnitzte und Erkrankungen besprach. Der Junge schwieg, während alle Augen auf ihn gerichtet waren, kein Name und keine Sprache war ihm zu entlocken. Sie blickte zu Arbogasts Vater hinüber. Theodard legte seinen Bärenpelz ab und warf ihn über ein Gestell in der Nähe des Herdfeuers. Wie er so dastand, überragte er alle anderen um mindestens eine Haupteslänge. Der eisige Reif in Bart und Augenbrauen hatte zu tauen begonnen.

»Der Junge ist mein Gast«, sagte er und setzte sich auf die Bank. Mit diesen Worten fiel das Gastrecht auf den Jungen und machte ihn unantastbar. »Fredegard, reich unserem Gast etwas zu trinken.«

Fredegard musterte den Jungen und nickte dann widerwillig. »So sei es!« Sie füllte ein Trinkhorn mit Bier aus dem Kessel und ging damit zu dem Knaben. Ohne sie aus den Augen zu lassen, griff der Junge mit beiden Händen das große Horn und führte es an die Lippen. Die Männer warteten, bis er einen Schluck getrunken hatte, und setzten sich dann auf die Bänke. Nun hatte der Junge etwas von ihrem Trank zu sich genommen und war kein Fremder mehr.

Man wies dem Jungen einen Platz am Feuer zu und er setzte sich neben Theodard. Sarhild hängte die Umhänge von Rolant und Arbogast, die schwer vor Feuchtigkeit waren, über das Gestell und füllte dann zusammen mit Fredegard die Trinkhörner der Männer. Von draußen erklang Wolfsgeheul. Die Männer leerten ihre Hörner und ließen sich nachfüllen.

»Eine lange Nacht!«, sagte Manfred. Sein kahler Schädel glänzte immer noch feucht. Mit seiner Körpermasse nahm er den Platz von zwei Männern ein. »Ihr kamt spät.«

Rolant setzte das Horn ab und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Der Schnee kam plötzlich, so brauchten wir eine Nacht länger.«

Eckart warf dem Jungen neben Theodard einen Blick zu. »Die Nornen webten ihre Fäden wohl, dass ihr nur auf Menschen traft.«

»Ja«, sagte Theodard, »es liegt Böses in der Luft. Die Tiere sind unruhig. Im Schnee fanden wir Spuren, die weder eines Menschen Fuß noch ein Tier hinterlassen haben, und wir gingen ohne ein Wort.«

Die Anwesenden schwiegen und bedachten das Gesagte. »Sassia soll das Los befragen«, sagte Rolant schließlich.

Die alte Sassia erhob sich von ihrem Schemel hinter dem Feuer, wo ihre blinden Augen die ganze Zeit in die Glut geblickt hatten. Sie war schon alt gewesen, als Sarhild geboren wurde, und mittlerweile waren ihre langen grauen Haare schlohweiß geworden und ähnelten denen von Isbert. Dürr und hart wie ein Besen hatte die lebenslange Arbeit auf dem Hof sie werden lassen, nun hatte das Alter sie gebeugt und blind gemacht. Die Decke um die spitzen Schultern geschlungen, trat sie in die Mitte des Raumes. Die dürren Finger mit den langen Fingernägeln zogen Runenstäbe aus einem Beutel, murmelnd drehte sie sich in alle vier Himmelsrichtungen, anschließend warf sie die Buchenstäbchen zu Boden. Die Greisin kauerte sich über die Lose und fand das ihr nächstliegende. Sarhild erinnerte sich daran, wie ihre Mutter das Holz von einem blühenden Baum geschnitten, Runen hinein geritzt und sie mit dem Blut eines Schweines nachgezogen hatte. Alle Männer starrten auf das erste Runenstäbchen, während sich Sassia langsam erhob.

»Lang lebte ich, nun hört mir zu!« Sassias Stimme raschelte wie Stroh auf Holz und die Trinkenden schwiegen. »Was Theodard sprach, so sehe ich es kommen.« Die Männer sahen sie an, Unruhe im Blick. »Das Rad der Zeit wird sich wenden.«

Sie kauerte sich erneut hin und griff suchend nach dem zweiten Holzstab. Ihre Finger betasteten die eingeritzte Rune. »Wo jetzt viele sind, wird nur einer sein. Was den Himmel trägt, wird bald fallen. Das Glänzende wird hinfortgeschafft und das Rote wird geschnitten werden.«

Ein drittes Mal kniete die alte Frau nieder und hielt ein Holzstück in die Höhe. Ihr eingefallenes Gesicht spannte sich, die Lippen zogen sich über den zahnlosen Mund zurück. »Wo Leben ist, am Wasser wird es enden. Statt Schwarz wird Weiß sein. Wo Heil war, wird es fliehen. So sag ich’s euch!«

Ein Trinkhorn schepperte zu Boden. Sarhild drehte sich zu dem Jungen um, der mit Entsetzen die alte Frau musterte. Die Gesichter der anderen waren versteinert. Sie hatten die Worte gehört, sie waren in dieser Halle gesprochen worden. Sassia stand eine zeitlang schwankend im Raum, dann drehte sie sich um und humpelte zu ihrem Platz hinter dem Herdfeuer zurück. In diesem Augenblick bemerkte Sarhild, dass der Sturm aufgehört hatte. Stille umgab das Langhaus und nur das Knirschen von Schnee auf dem Dach war zu vernehmen. Auch die Männer schienen es zu hören. Theodard ließ das Trinkhorn langsam sinken und führte es mit einem Fluch wieder an die Lippen.

Der Neiding

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