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Kreuz und Schwert

Marbod setzte sich auf und bewegte mit einer Grimasse die verspannten Schultern. Im Lager war es noch ruhig. Ein leichter Wind bauschte die Plane seines Zeltes, durch dessen dünne Stoffbahn mattes Licht fiel. Der Krieger verließ die einfache Bettstatt und wusch sein Gesicht in der großen Silberschüssel mit Wasser, reinigte seine Hände und kniete zum Morgengebet nieder. Während die vertrauten Worte über seine Lippen kamen, spürte er, wie sich sein Geist klärte und die Gedanken an Festigkeit gewannen. Marbod hasste den Schlaf, es war immer, wie sich zum Sterben niederzulegen. Er verabscheute die Schwäche seines Fleisches, die ihn dazu zwang, sich jede Nacht aufs Neue diesem vorübergehenden Todeszustand hinzugeben. Die lateinischen Worte klangen in ihm wieder und er spürte mit dem Aufkommen der Helligkeit den Blick Gottes auf sich fallen. Marbod bekreuzigte sich und erhob langsam seine schwere Gestalt. Ein weiterer Morgen in diesem verfluchten Landstrich!

Er rief nach einem Bediensteten und trank von dem mit Wasser verdünnten Wein. Ein junger Mann trat ein, verbeugte sich, und half Marbod beim Anlegen der geschwärzten Rüstung. Als Marbod das vertraute Gewicht auf seinen Schultern spürte, nickte er zufrieden. Den Großteil seines Lebens hatte er in einer Rüstung verbracht und er fühlte sich besser mit ihr. Diese hier, ein kostbares Stück fränkischer Schmiedekunst, hatte ihm der König für seine Verdienste auf dem Schlachtfeld geschenkt, eine wahrhaft großzügige Gabe. Ihr Metall schimmerte schwarz wie die Nacht, eine beständige Warnung vor der Dunkelheit, die sie alle verschlingen würde, wenn ihr Kampf für den wahren Glauben verloren ging. Auf dem Brustpanzer war als einziger Schmuck ein silbernes Kreuz eingelassen. Schon zweimal hatte ihm diese Rüstung das Leben gerettet. Im Kampf gegen die Sorben, als eine Speerspitze ihn hart zwischen die Schulterblätter getroffen und aus dem Sattel geworfen hatte, und einmal gegen die Sachsen vor drei Sommern, als sie in einen Hinterhalt geraten waren. Seitdem hatte Marbod gelernt, den Sachsen nicht mehr zu vertrauen, selbst der einfachste Bauer konnte eine Falle für sie bereit halten, und sogar ihre Schwüre galten nichts, wenn man sie nicht mit Waffengewalt daran erinnerte.

Als der Bedienstete fertig war, legte Marbod sein Schwert an und wog die Francesca in der Hand, bevor er sie mit geübten Bewegungen an seinem Schwertgurt befestigte. Die Wurfaxt war ihm immer wieder in bedrängenden Situationen eine verlässliche Hilfe gewesen, wenn der Gegner zu nah für das Schwert war oder sich außerhalb von dessen Reichweite befand. Die Sachsen fürchteten die Francesca zu Recht, die Wucht, mit der sie nach einigen Umdrehungen in der Luft ihr Ziel fand, zerschmetterte einen Kopf auch dann, wenn er von einem Helm geschützt wurde.

In das große Lager kam langsam Bewegung. Pferde wurden gesattelt, Proviantkisten gepackt und Waffen gereinigt. An den Feuern saßen die Männer und nickten Marbod respektvoll zu, wenn er vorbei schritt. Seine große Gestalt in der schwarzen Rüstung war eine auffällige Erscheinung und viele der einfachen Krieger begegneten ihm mit Furcht. Marbod wusste sehr wohl, was sie hinter seinem Rücken sprachen, doch tat er nichts, etwas dagegen zu unternehmen. Er predige mit dem Schwert, sagten sie, mit Feuer und Axt. Sein Ruf war weit verbreitet, aber noch mehr fürchteten die Leute seinen Herrn, Guiskard. Seit nunmehr fünf Jahren diente Marbod dem päpstlichen Legaten, dessen Weg ihn von Rom an den fränkischen Königshof geführt hatte. König Karl lieh Guiskard gerne seine Gunst, im Bezug auf die Sachsenmissionierung waren sie der Ansicht, dass zuerst eine harte Hand kommen musste, der Glaube würde von alleine folgen. Und in dieser Hinsicht gab es nur wenige Menschen, die offen eine andere Meinung vertraten. Marbod kümmerte sich nicht um die Politik bei Hofe. Er diente und führte aus, was Guiskard befahl, der vom König mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet war und mit dem päpstlichen Siegel reiste.

Die Wache vor Guiskards Zelt nahm Haltung an und ließ ihn ungehindert eingetreten. Als Marbod sich aufrichtete, stieß sein Haupt beinahe an die obere Zeltbahn.

In dem Zelt war es still. Guiskard stand in der Mitte des Raums und war in die Betrachtung eines Pergaments vertieft. Marbod wartete ruhig, bis der Legat ihm seine Aufmerksamkeit zukommen ließ. Guiskards lange, knochige Gestalt wurde von einer schlichten schwarzen Kutte bedeckt, die nur durch die Schwere ihres kostbaren Stoffes auffiel. Kein Gramm Fett hielt sich an seinem Körper. Seine Bewegungen waren ruhig, beinahe schläfrig und der Blick wurde von herabhängenden Augenlidern beschattet. Die höckerige Nase ragte weit aus dem schmalen Gesicht hervor wie der Schnabel einer Krähe. Dichtes schwarzes Haar fiel ihm bis auf die spitzen Schultern.

»Was meinst du, Marbod«, sprach Guiskard und hob seine dunklen Augen, »hat es mit diesem Bild auf sich?«

Marbod trat einen Schritt heran und blickte auf das Pergament hinab, das ihm der Legat hinhielt. Es zeigte die Zeichnung eines Mannes auf einem Stuhl, der zu einem geflügelten Wesen aufsah, das über seiner linken Schulter schwebte. Auf seinen Knien lag ein beschriebenes Pergament, die rechte Hand tauchte eine Schreibfeder in ein Tintenfass. Marbod runzelte die Stirn und betrachtete angestrengt das Bild. Der Mann trug eine helle Robe, die wie eine Art von Leichengewandt aussah, doch konnte er nicht entscheiden, ob der Mann draußen oder in einem Gebäude saß. Aus dem Boden, der wie der gesamte Hintergrund von einer blassen grünen Farbe war, ragten einige Pflanzen empor. Die grüne Fläche erstreckte sich bis über den Kopf des sitzenden Mannes, wo sie sich zu einer Hügelkette formte. Darüber war alles in roter Farbe gemalt wie bei einem Sonnenuntergang. Der ganze Hintergrund sah aus wie eine Wand. Irritiert sah Marbod auf. »Es scheint einen heiligen Mann zu zeigen!«, sagte er.

»So, scheint es?«, fragte Guiskard und ein schmales Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

»Der Mann sieht aus wie ein Mönch, wenn er auch lockiges Haar trägt. Er schreibt, also ist er ein Gelehrter. Und das geflügelte Wesen…« Marbod stockte.

»Ja…«, forderte Guiskard ihn auf und die Krähenfüße an seinen Augenwinkeln vertieften sich.

»…könnte ein Engel sein. Oder der Heilige Geist.«

Guiskard ließ das Pergament auf den kleinen Tisch fallen, an dem er unterwegs Schreibarbeiten erledigte. »Was gibt es Neues?«, fragte er mit veränderter Stimme.

Marbod atmete innerlich auf. »Wir wurden gestern von einem sächsischen Reiter beobachtet, als wir ihn stellen wollten, zog er sich tiefer in die Wälder zurück. Ich vermutete, es handelt sich um einen Kundschafter von Widukind.«

Guiskard machte eine abwertende Handbewegung und warf sich einen Umgang über, den er mit einer Fibel am Hals verschloss. Das Licht fiel auf das goldene Kreuz auf seiner Brust, das an den vier Enden mit Rubinen geschmückt war.

Gemeinsam traten sie nach draußen. Guiskard bekam von seinem Mundschenk einen Weinpokal gereicht, an dem er nippte und ihn dann zurückgab. »Sobald wir in Lippspringe sind, wird Karl sächsische Adlige als Grafen einsetzen.«

Marbod zuckte mit den breiten Schultern. »Es wird seine Richtigkeit haben.«

Mit geübten Handgriffen wurde überall das Lager zum Aufbruch vorbereitet. Männer liefen hin und her, Zelte wurden abgebaut und der Proviant verstaut.

»Nicht nur das. Karl genießt das vollste Vertrauen unseres Heiligen Vaters und weiß um die Bedeutung des Frankenreiches für den Schutz Roms.«

Guiskards Stimme war träge, doch Marbod wusste, dass er sich davon nicht täuschen lassen durfte. Der Wille des Legaten war stark und er wusste um Dinge, die ihm, Marbod, nicht einmal im Ansatz klar waren. Aber dies war auch nicht seine Aufgabe, er war der ausführende Arm des Legaten.

»Karl selbst«, fuhr Guiskard fort, »nennt sich das Schwert Gottes und wir sind uns bewusst, dass er sich bei der Verbreitung des Christentums große Verdienste erworben hat.«

»Ich verstehe nicht, wieso der König die sächsischen Adeligen zu Grafen ernennt. Sie sind besiegt. Ihr Land gehört uns. Und doch beschenkt Karl sie mit Grundbesitz und Ehren.«

Guiskard lächelte schmal. »Vergiss nicht die Gier der Menschen! Es ist immer noch viel Unruhe in diesem wilden Land und wie kann man sich Feinde mehr gewogen machen, als durch großzügige Geschenke? Der sächsische Adel wird erkennen, dass er unter den Franken seine Macht weiter ausbauen kann. Die meisten von ihnen haben ihren heidnischen Unholden abgeschworen und sich taufen lassen. Und wenn ein sächsischer Adliger getauft wird, sind sogleich alle seine Untertanen im neuen Glauben vereint. Gleichzeitig erfolgt durch die Errichtung von Grafschaften die Einbeziehung Sachsens in das fränkische Reich.«

Sie bestiegen ihre Pferde, die zwei Diener gebracht hatten, und Marbod rief eine Handvoll Krieger zu sich, die als Späher das Land vor ihnen erkunden sollten. Sie nickten und eilten davon. »Die Sachsen sind eine Höllenbrut«, knurrte er und musterte die sie umgebenden Wälder feindselig. »Zu feige für einen offenen Kampf. Zu ehrlos, ihr Wort zu halten.«

Guiskard streichelte seinem Rappen über die Mähne. »Ihr wildes Gemüt ist unbeugsam und ihre Seele verdorben. Aber mit Gottes Hilfe werden wir dieses Volk aus der Finsternis herausführen.«

Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Marbod ritt mit Guiskard an der Spitze, flankiert von seinen besten Männern. Sie führten dreihundert Mann unter Waffen mit sich, die sicherstellen sollten, dass sie den Reichstag in Lippspringe unbehelligt erreichten. Obwohl das Land seit Jahren von ihnen besetzt war, gab es immer noch Widerstand, der einer kleinen Gruppe gefährlich werden konnte.

Sie ritten in einem langen Zug durch den dichten Wald Richtung Norden, die Krieger zu Fuß folgten ihnen. Schon bald waren ihre Beinkleider schlammbespritzt und Horden von Mücken peinigten sie. Marbod achtete der Stiche nicht und hielt den Blick starr auf den unbefestigten Pfad gerichtet. Dieses Land besteht nur aus Wäldern und Sümpfen, dachte er. Beständig meinte er, von Augenpaaren aus dem Dickicht beobachtet zu werden, und das machte ihn unruhig. Marbod hatte sein halbes Leben im Sattel verbracht und war die Strapazen gewohnt, doch er wusste um die Moral der Männer, die von den andauernden Hinterhalten der Sachsen ausgehöhlt wurde, die sich nach einem kurzen Gefecht immer wieder in die Tiefe der Wälder zurückzogen. Seine Männer liebten die offene Feldschlacht, nicht die Verfolgung von Flüchtenden. Nach einigen Schlachten, wo sie ihre Reiter mit den Lanzen todbringend eingesetzt hatten und die Sachsen vernichtend geschlagen wurden, waren die Feinde dazu übergegangen, sie aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Gegen Mittag kamen sie an einigen Gehöften vorbei. Die Männer auf den Feldern ließen die Arbeit ruhen und sahen ihnen schweigend nach. »Schaut sie euch an«, sagte Marbod, »heute führen sie den Pflug und morgen schießen sie mit Pfeilen aus dem Schutz der Wälder auf uns!«

Guiskard betrachtete die armseligen Behausungen, die keine Fenster besaßen und voller Qualm waren, der in den Augen brannte und die Decken schwärzte. Er hatte schon viele dieser Langhäuser betreten, wo die Menschen mit dem Vieh unter einem Dach lebten, und Marbod hatte stets ein Flackern in den Augen des Legaten entdeckt.

Sie ritten eine Steigung hinauf. Zu ihrer rechten wurde das Gelände abschüssig und gab den Blick auf gerodete Flächen frei. Marbod beobachtete den Waldrand auf der anderen Seite, wo er eine Bewegung wahrgenommen hatte. Eine Gestalt stolperte aus dem Wald, gefolgt von einigen anderen. Marbod hob den Arm und der Zug kam zum Stehen.

»Was ist da los?«, murmelte Guiskard.

Fünf Frauen trieben ein Mädchen unter Rutenhieben vor sich her. Sie holten weit aus und schlugen kräftig zu und das Mädchen taumelte nach jedem Schritt.

»Sächsische Hauszucht«, antwortete Guiskard, die Lider halb über den Augen geschlossen.

Die Gewandung hing dem Mädchen bis zum Gürtel hinunter, so dass ihr nackter Rücken den Hieben schutzlos ausgesetzt war. Die Ruten zischten durch die Luft und bissen in das Fleisch.

»Sie führen sie im Dorf herum oder treiben sie von Gehöft zu Gehöft, damit alle es sehen können«, sagte Guiskard.

Eine der Frauen zog ein Messer hervor und fügte dem Mädchen einen Schnitt quer über den Rücken zu. Das Mädchen schrie auf und brach in die Knie, das Gesicht in die Hände vergraben.

Marbod bemerkte, wie sich die schmalen Hände des Legaten um die Zügel krampften, doch blieb sein Gesicht unbewegt. Der große Krieger runzelte die Stirn. »Sie wird bestraft!«

»Ja!«, antwortete Guiskard. »So pflegen die Sachsen mit Ehebrecherinnen umzugehen.«

Eine der Frauen griff das Mädchens in die Haare und zog das blutige Geschöpf hinter sich her. Erneut zischten die Ruten auf den Rücken des Mädchens und immer wieder mussten sich die Frauen die Blutspritzer aus dem Gesicht wischen. Die Schreie des Mädchens waren einem Keuchen gewichen. Die Frauen waren so mit ihrem Tun beschäftigt, dass sie keinen Blick zu dem Wald am Hang warfen, wo ihre Streitmacht nach und nach zum Stehen kam.

Zwei Frauen begannen jetzt damit, dem Mädchen mit ihren Messern kleine Stiche zuzufügen, das Schluchzen ging in ein Kreischen über.

Guiskard legte seine Hand auf Marbods gepanzerten Arm. »Töte sie!«, sagte er. »Alle!«

Marbod nickte und lenkte sein Pferd aus dem Waldstück hinaus. Als die Frauen ihn sahen, drückte er dem Schlachtross die Fersen in die Seite und preschte den Abhang auf die kleine Gruppe zu.

Die Frauen ließen ihre Ruten und Messer fallen und liefen mit wehenden Röcken auf das gegenüberliegende Waldstück zu. Aus vollem Ritt zog Marbod sein Schwert und schwang es mit geübter Hand. Marbod fühlte nichts, als er die Frauen tötete. Keiner der Weiber hatte seinen Zorn erregt, aber er führte wie gewohnt den Befehl seines Herrn aus. Als er sein Pferd wendete, die blutige Klinge zu Boden gesenkt, sah er, dass der Legat langsam aus dem Wald geritten kam. Marbod schaute sich um, ob mit einem Hinterhalt zu rechnen sei, aber es blieb ruhig. Die Augen ihrer Männer waren still auf sie gerichtet, sie hatten schon andere Sachen gesehen.

Guiskard zügelte sein Pferd neben dem Mädchen, die in ihrem eigenen Blut lag. Ihr Gesicht war in den Dreck des Ackers gedrückt. Sie wimmerte leise und ihre rechte Hand zuckte. Das Fleisch ihres Rückens war eine einzige Wunde, aus den tiefen Stichen quoll Blut hervor. Der Legat sah regungslos auf sie hinunter.

»Töte sie!«, befahl er.

Marbod schwang sich aus dem Sattel. Er hob das Schwert und beugte sich über die Frau. Langsam wendete Guiskard sein Pferd ab.

Der Neiding

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