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Auf dem Gräberfeld

Kühler Wind jagte dunkle Wolken über den niedrigen Himmel und bog die Äste des umliegenden Waldes. Das Holz der knorrigen Bäume ächzte unter dem Sturm, und der Geruch nach Fäulnis lag in der Luft. Seit der Zeit ihrer Vorväter kamen die Sippen der nahen Höfe zu diesem Platz, um ihre Toten zu bestatten, und so hatte es auch Arbogast getan.

Erschöpft und grimmig stand er bei den beiden Holzgestellen, die die toten Körper von Isbert und Sarhild trugen. Seine Augen brannten von zu wenig Schlaf, doch er achtete nicht auf seinen müden Körper. Fredegard stand einsam am Rande des Gräberfeldes, sie hatte ihren blauen Umhang fest um ihre hagere Gestalt geschlungen und während der ganzen Vorbereitung kein Wort mit den anderen gewechselt. Der Wind peitschte ihr langes graues Haar.

Wortlos umstanden die Männer und Frauen die beiden Leichname, sie alle waren schweigsam angesichts der Nähe der Ahnen, denen Isbert und Sarhild bald begegnen würden, und des düsteren Todes, der ihnen beschieden gewesen war.

Aleke, die ein weißes Kleid trug, hatte ihre Haare mit hellen Bändern geschmückt. Sie trat vor und legte die Hand auf einen der Pfosten. Tränen rannen über ihr Gesicht, aber sie hatte darauf bestanden, das Feuer zu entzünden. Eckarts Miene war versteinert, er stützte sich schwer auf seinen Stock. Wäre er jünger gewesen, er hätte den Töter seiner Tochter selbst verfolgt, dessen war sich Arbogast sicher.

Mit einem Ruck ergriff Arbogast die Fackel und hielt sie in den Holzstapel unter Isberts Leichnam. Sein Bruder trug seine beste Tunika, dunkelgrüner Stoff unter weißen Haaren. Arbogast sah Isbert ein letztes Mal an, während die ersten Flammen züngelten. Ohne den Blick von seinem toten Bruder zu nehmen, reichte er Aleke die Fackel. Sie senkte sie einmal in jede Himmelsrichtung, bevor sie sie in den Holzstoß unter ihrer toten Tochter warf.

»Wir schweben zwischen Heil und Unheil, bis die Tat gerächt wurde und der Töter von Sarhild und Isbert erschlagen ist«, sagte Eckart in den kalten Wind hinein.

Die Flammen fanden in dem Holz dankbare Nahrung und fraßen sich zügig in die Höhe. Bald erfüllte der Geruch von Qualm den Platz. Arbogast erinnerte sich an die Feuer der Sommersonnenwende, als sie noch alle beisammen gewesen waren. Hatte nicht Sarhild vor kurzem um die Feuer getanzt, die nun ihren Körper verzehrten? Seine Hand senkte sich auf das Hiebschwert an seiner Seite, das in einer Scheide aus gestärktem Leder steckte. Die Flammen fraßen sich immer höher und verbargen die beiden Toten vor den Blicken der Anwesenden. Arbogast fühlte die Hitze auf seinem Gesicht und blinzelte gegen den Qualm an, der in seinen Augen brannte. Als sie Theodard vor vielen Sommern hier beisetzten, war er noch ein Junge gewesen, der kaum ein Sax zu halten in der Lage war, Stolz und Bewunderung hatten seine Brust erfüllt. Es war ein Tod gewesen, wie ihn ein Mann sich nicht besser wünschen konnte, und der Name Theodard war über das Gau hinaus ein Begriff für den Widerstand gegen die Franken geworden. Doch hier, an diesem Tag, fühlte er nur Trauer und Scham, und er fragte sich, ob dieses Gefühl mit dem Tod Farolds nachlassen würde.

»So viele Worte ungesprochen,

so viele Taten ungetan,

so viele Geschichten unerzählt!«

Arbogasts Worte gingen im Knacken des Feuers beinahe unter. Fehild trat nach vorne und griff in einen Beutel, den sie an ihrem Gürtel an der Seite trug. Dann warf sie etwas in einem weiten Bogen in die Flammen und Wohlgeruch erfüllte die Luft.

»Grüß die Ahnen von uns, Sarhild!«, sagte die junge Frau. Sie blieb neben Aleke stehen und sah dem Rauch nach, der vom Wind über den Baumkronen getragen wurde.

Sie war in den letzten Jahren die engste Vertraute von Sarhild geworden und beide waren viel zusammen gewesen. Fehild hatte zwar nicht die Begabung Sarhilds oder Alekes, die Sprache des Waldes zu verstehen und die Macht der Runen zu nutzen, doch wuchs ihr Wissen über den Umgang mit Kräutern und Pilzen beständig. Auch Krankheiten konnte sie schon erfolgreich besprechen.

»Seht!«, rief Fehild und zeigte auf den Waldrand.

Vier Gestalten kamen aus dem Wald auf sie zu. Ein hünenhafter schwarzhaariger Krieger ging der Schar voran, der ein riesiges Pferd am Zügel führte. Hinter ihm ritten zwei bewaffnete und gerüstete Männer, deren Schilder aus glänzendem Metall waren. Neben dem Anführer ging ein schlanker Mann in dunkler Kutte, der ein Holzsymbol seines Gottes an einer einfachen Schnur um den Hals trug.

»Franken!«, sagte Rolant und trat an die Seite von Arbogast. Die anderen Männer legten ihre Hände auf die Waffen. Sassia flüsterte einige Worte, die im Unwetter untergingen.

Die Franken kamen langsam auf sie zu und blieben in mehreren Schritten Entfernung stehen. Der Hüne ließ seinen Blick über die Holzgestelle mit den Toten gleiten, ein Anflug von Abscheu trat in sein breitknochiges Gesicht.

Arbogast musterte die feindlichen Krieger, von denen er annahm, dass sie noch nie ein Feld bestellt hatten. Sie weihten ihr Leben dem Kampf für ihren König und dem einen Gott, den sie verehrten. Ihre Füße steckten in Schlaufen, die vom Sattel herab baumelten und ihnen beim Kampf vom Pferderücken halfen. Kriegslanzen waren am Sattel befestigt, die sie auf offenem Felde zu führen pflegten, und Äxte hingen an ihren Gürteln.

»Ich, Marbod, bringe euch die Worte unsere Königs Karl, den man den Großen nennt«, sagte der hünenhafte Krieger.

»Euer König ist weit weg!«, antwortete Arbogast.

»Aber sein starker Arm reicht weit!« Die Stimme Marbods erklang laut über das Prasseln der Flammen hinweg, die sich auf seinen geschwärzten Rüstungsteilen spiegelten.

Arbogast musterte den Fremden. Viele Männer und Frauen der umliegenden Höfe waren gekommen, um der Bestattung von Sarhild und Isbert beizuwohnen. Der fränkische Krieger war mit seinen Kriegern in der Unterzahl, ließ sich aber scheinbar nicht davon beeindrucken.

»Ihr kennt die Anordnungen unser aller König Karl«, rief Marbod, so dass es jeder hören konnte. »Brandbestattung im Gräberfeld und Grabhügel sind Teufelswerk und Götzendienst, und euch im Namen des einen Gottes untersagt!«

Die Männer und Frauen starrten ihn stumm an. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung und den Haaren, peitschte den Rauch über den Platz und trieb ihn immer dichter werden Schwaden in die Höhe.

Der schwarzbärtige Krieger sah sich um. Sein gepanzerter Arm hob sich und wies auf die beiden Holzgestelle. »Schaut euch das Feuer genau an!«, rief er. »Noch schlimmer als das Feuer hier ist das, was euch nach eurem Tode erwartet. Dieses Feuer vergeht, doch das Feuer der Hölle brennt ewig.«

»Du stehst vor Isbert und Sarhild, Franke!«, antwortete Rolant und blickte dem Krieger ins Gesicht. »Es sind tapfere Sachsen gewesen, und sie sind jetzt auf den Weg zu ihren Ahnen, wo man sie erwarten wird.«

Marbod schüttelte den Kopf und seine breiten Kiefer schienen die Worte zu mahlen. »Du irrst, Sachse! Eure Ahnen sind Heiden und schmoren in der Hölle!«

Arbogast sah, wie die Männer an seiner Seite ihre Waffen packten. Die zwei Axtkämpfer, die hinter Marbod auf ihren Pferden saßen, warfen einen nervösen Blick in die Runde.

»Man nennt mich Arbogast, Franke, und wir fürchten euren König und eure Äxte nicht!« Genauso ruhig wie sein Gegner stand Arbogast im Wind. »Wir beerdigen unsere Toten so, wie es unsere Väter und ihre Väter davor gemacht haben und unsere Ahnen bis an den Anfang aller Dinge.«

Die Hände der Reiter lagen auf den Griffen ihrer Äxte, nur Marbod rührte sich nicht. »Ihr tut gut daran, unseren Gott anzuerkennen, der euch Gutes tun wird. Solltet ihr euch weigern, wird es euch schlecht ergehen.«

»Unsere Götter sind Woden, Donar und Saxnot«, erwiderte Arbogast, »die auch die euren Göttern waren, als ihr noch nicht das Band zu euren Ahnen durchtrennt hattet. Sie sind starke Kriegsherren und mächtige Verbündete. Niemals beugen wir das Knie vor euch oder einem eurer Kreuzträger.«

Der Mann in der Kutte wandte sich an einen der Krieger. »Die Axt!«, verlangte er. Ohne zu zögern reichte ihm der Krieger die Franziska. Unter den Augen aller Männer und Frauen trat er an das Holzgestell, auf der Isbert lag, und blinzelte gegen die Flammen an.

»Was macht er da?«, fragte Manfred, der den Mönch mit gerunzelter Stirn betrachtete.

Die Franziska sah seltsam groß in seinen schmalen Händen aus, als der Mönch weit ausholte. Arbogast trat vor und schlug ihm ins Gesicht. Der Mönch stürzte mit blutigem Mund zu Boden und blieb liegen.

Marbod sah unbeweglich auf den Mönch hinab, schließlich verzog sich sein Gesicht zu einem kalten Lächeln. Die Zähne in dem schwarzen Bart blitzten auf. »Was glaubst du, Mann den man Arbogast nennt, was nun passieren wird?«

Arbogast zuckte mit den Schultern und wischte sich das Blut vom Handrücken. »Ihr werdet davonreiten und wir werden weiter unsere Gesippten bestatten.«

Marbod gab einem seiner Männer ein Zeichen, der vom Pferd stieg und den bewusstlosen Mönch ergriff. Langsam, und ohne noch einmal zurückzublicken, ging Marbod auf den Waldrand zu, sein Schlachtross hinter sich her führend. Die beiden Axtkämpfer folgten im. Der bäuchlings über den Sattel geworfene Mönch rührte sich nicht.

Der Neiding

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