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Neidingswerk

Es war schon spät in der Nacht und Fredegard lag schlafend auf ihrem Lager, als sie vom Rütteln an der Schulter geweckt wurde. Sie besaß den leichten Schlaf des Alters und so erkannte sie sofort Isbert, der sie mit aufgerissenen Augen anstarrte. Sein langes, weißblondes Haar fiel ihm aufgelöst in die Stirn, die Haut seiner Hände war kalt wie die Hel und der schwarze, breite Fluss, in dem die Meineidigen und Neidinge trieben. Aus einer Schramme auf seiner Wange sickerte Blut.

»Sie ist tot, Mutter!«, rief er.

Geistesgegenwärtig legte sie ihm ihren Finger auf die Lippen. »Was ist passiert, mein Sohn?«

Zitternd sank er am Fuße ihres Nachtlagers zu Boden und umklammerte ihre Knie wie das Kind, das er vor vielen Jahren einmal gewesen war. Noch immer das gleiche weiche Haar, dachte die alte Frau, und fuhr ihm beruhigend über den Kopf.

»Ich habe sie getötet, mit meinen eigenen Händen ...«

Fredegard hörte nicht auf, ihm langsam über das lange Haar zu streichen, doch ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als eine böse Vorahnung hinter ihrer Stirn Gestalt annahm. Sie musste jetzt ruhig und gefasst sein. »Du sprichst von Sarhild, nicht wahr, mein Sohn!«

»Ich habe sie getötet, Mutter, ich habe es getan ...«

Friedegard seufzte tief und schaute auf ihren Jungen herab, der immer der Sommer ihres Herzens gewesen war. Drei Winter nach Arbogast geboren, hatte er wenig Ähnlichkeit mit seinem robusten Bruder und auch nicht mit seinem Vater, Theodard, ihrem geliebten Mann, der nun schon neun Winter tot war. Und nun würde man ihn ihr wegnehmen, ihn wie ein wildes Tier in die Wälder jagen und dem Schutz der Sippe berauben. Die Vorstellung daran ließ sie erschaudern. »Wo ist es geschehen, Isbert?«

»Am Ufer des Baches!«, brach es atemlos aus ihm hervor. »Ich erwürgte sie im Zorn… sie wollte nicht meine Frau werden. Noch nie habe ich eine solche Wut erlebt. Ich drückte so lange zu, bis sie zu Boden sank ...« Er hustete ein paarmal und presste die Stirn auf ihre Knie.

Er hat sie nun also gefragt, dachte Fredegard, und sie hat ihn abgelehnt. Sie zwang sich, ihre Gedanken ruhig zu halten, sie durfte nicht die Fassung verlieren, nicht jetzt, wo ihr Sohn sie am dringendsten brauchte. Wieso habe ich das Unglück nicht gesehen, überlegte sie, stand es nicht klar und deutlich vor unser aller Augen? Oder wollte ich nicht sehen, was nicht sein durfte? Was für ein Unglück sucht nun unsere Sippe heim…

»Hat dich jemand dabei beobachtet?«, fragte Fredegard leise.

»Nein ... ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Es war dunkel und die Feiernden schliefen.«

Fredegard warf einen Blick zu dem Vorhang aus dickem Schafsfell, der ihren Verschlag von der großen Halle trennte, da sie den kalten Zug im Winter nicht mehr so gut vertrug.

»Diese Frau hat dich verhext, mein Sohn ...«, flüsterte sie.

Leises Schnarchen drang zu ihnen herüber von den Männern, die kreuz und quer in der Halle lagen, auf den langen Bänken und Tischen oder direkt am Boden, wo sie teilweise noch ihre Krüge umklammert hielten. Einige Zeit sah sie im Halbdunkel vor sich hin und begann dann leise zu rezitieren:

»Ein Sohn ist besser,

ob geboren auch spät

nach des Hausherrn Hingang:

nicht steht ein Denkstein

an der Straße Rand,

wenn ihn ein Gesippter nicht setzt.«

Sarhilds Tod würde den Ausschluss ihres Sohnes aus der Sippe zu Folge haben und er müsste das Leben eines Neidings führen, abgetrennt von allen menschlichen Beziehungen, kein Fuß mehr über die Schwelle eines Hauses setzend. Jeder hätte das Recht, ihn zu erschlagen, wo er ihn fand. Isbert würde das Leben eines Vogelfreien in den Wäldern führen und dafür, dessen war sie sich sicher, war er nicht geschaffen. So oder so würde es also auf seinen Tod hinauslaufen, egal wie Eckart handelte, und ihr Herz krampfte sich bei dem Gedanken daran zusammen, nach ihrem Mann auch noch ihren jüngsten Sohn zu verlieren.

Friedegard nahm die Hände ihres Sohnes und drückte sie fest. »Rasch jetzt, Isbert, wir brauchen einen Plan.«

Isbert erhob sich und überlegte mit gesenktem Kopf, sichtbar bemüht, seine wirren Gedanken zu ordnen: »Wir könnten die Leiche in das Wasser des Baches gleiten lassen, der nimmt sie mit und mit ihr all die Fragen.«

»Nein, Isbert«, erwiderte sie. »Der Bach würde ihren Körper nicht weit tragen.«

»Dann schleppe ich sie in den Wald, wo niemand sie findet und die Tiere sie fressen …«

Fredegard schüttelte den Kopf. »Ihr Verschwinden wird Fragen aufwerfen und Fragen sind in unserer Situation keine guten Tischgenossen. Wir müssen sie vermeiden und den Verdacht in eine andere Richtung lenken, dorthin, wo wir ihn haben wollen.«

Isbert schmales Gesicht sah sie an, Schweißperlen glitzerten auf seiner kalten Haut und langsam keimte ein Gedanke in seinen brennenden Augen. »Farold«, murmelte er und erbleichte.

Friedegard nickte langsam. »Ja, mein Sohn, Farold. Den ganzen Abend und die halbe Nacht sind Sarhild und Farold zusammen gewesen und alle haben es gesehen.«

Isbert fröstelte sichtbar, obwohl die Luft in der Halle noch warm war vom Feuer und den vielen Körpern des Trinkgelages. »Sie hat seinen Namen genannt, Mutter. Sie wollte ihn mir nicht nennen. Sie sollte es sagen, aber sie tat es nich. Erst, als ihr Körper schon fast ohne Leben im Uferschlamm lag und sie nicht mehr die Herrin ihres Willens war, nannte sie ihn.«

Einen Augenblick waren die Gedanken der alten Frau von unendlicher Traurigkeit erfüllt. Sie dachte an das junge Mädchen von Aleke, die vielen Tage beim Weben und Handwerken, wie sie ihrer Mutter immer ähnlicher geworden war. Eine wunderschöne Frau, ging es ihr durch den Sinn. Aber nicht nur Gold führt in der Sippe zu Zwietracht und Hader. »Ich habe einen Plan, Isbert, höre mir genau zu. Auch wenn Farold schon lange unter unserem Dach wohnt, so ist er doch nicht der Sohn Theodards. Mit Anhänglichkeit hat er ihm seine gute Tat vergolten und ich zweifelte nicht an seiner Aufrichtigkeit, aber wir wissen nur wenig über ihn, woher er kam und wer seine ersten Verwandten sind. Des Mutters Herz schlägt stark für den eigenen Sohn! Wenn ich die Wahl habe zwischen dir, Isbert, und einem Fremden, dann entscheide ich mich für unser eigen Fleisch und Blut. Mögen die Götter ein Nachsehen haben. Dies ist meine Wahl, ich weiß keine bessere.«

Hoffnung flackerte in seinen Augen. »Was schlägst du vor?«

»Wir brauchen dazu einen angesehenen Mann, dessen Wort zählt und von keinem in Frage gestellt wird. Geh und wecke Rolant. Sag, du hättest den Hilfeschrei einer Frau gehört. Ich werde mich vorher zu Farold begeben und ihm ausrichten, dass sich Sarhild mit ihm zu treffen wünscht. Mir wird er nicht misstrauen, wenn er sich auch über meine Nachricht wundern wird. Sobald er am Bach angekommen ist und bei dem Leichnam kniet, werden wir ihn auf frischer Tat ertappen. Rolant wird unser Zeuge sein. So zwingend ist die Situation, dass keiner Farold glauben wird. Bedenke, dass noch immer viele Menschen ihm nicht über den Weg trauen. Der Zweifel der Menschen ist unsere Stärke. Man wird ihn nicht töten, sondern aus unserer Sippe ausschließen. Da er mit den Kuttenträgern gereist ist, mögen seine Chancen gut sein, zu überleben.«

Mit bleichem Gesicht kniete Isbert auf dem Boden, die zittrigen Hände hingen wie leblos an seiner Seite.

»Das wollte ich alles nicht, Mutter!«

Eine Zeitlang sahen sich die beiden in die Augen, schließlich erhob sich Fredegard und warf sich einen Umhang um. »Warte solange, bis Farold die Halle verlassen hat. Dann geh und wecke Rolant.« Mit einem letzten Blick auf ihren Sohn verließ sie den Raum.

»Farold!«

Eine Stimme, leise und drängend, drang durch seinen Schlaf. Farold öffnete die Augen mit dem Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Eine hagere Gestalt beugte sich über ihn und rüttelte an seiner Schulter.

»Farold, wach auf!«

Schlaftrunken blinzelte er zu der Gestalt hinauf, die sich über ihn beugte. »Was ist los?«, murmelte er und erkannte im schwachen Schein des Herdfeuers seine Mutter. »Ist es schon Morgen?«

»Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, Farold, aber schon bald wird es dämmern.«

Farold fuhr sich einige Male mit der Hand über das Gesicht und unterdrückte ein Gähnen. »Ist etwas passiert?«

»Nein«, beruhigte sie ihn, »Ich soll dir von Sarhild eine Nachricht überbringen.«

»So sprich!«, forderte Farold die alte Frau auf und schwang seine Beine von der Bank. Um sie herum lagen Männer und Frauen und schliefen ihren Rausch aus.

Fredegard beugte sich weiter zu ihm herunter, er nahm den Geruch nach alter Frau wahr. »Ich traf sie draußen, als ich vom Austreten wieder kam. Sie bat mich, dir auszurichten, dass sie am Bach auf dich warten würde.«

Farold blickte die alte Frau forschend an. War etwas geschehen? Warum kam Sarhild nicht selbst? »Mehr hat sie nicht gesagt?«, fragte er.

Fredegard schüttelte den Kopf. »Sarhild möchte sich mit dir treffen, Farold!«

»Am Bach?«, wiederholte Farold, dem das Ganze merkwürdig vorkam. Irgendetwas musste passiert sein und Sarhild wollte nicht, dass andere es mitbekamen. Und doch, dachte er, hatte sie sich an Fredegard gewendet.

Er erhob sich und nickte seiner Mutter zu, die schnell ihr Gesicht abwendete. Farold trat vorsichtig über die am Boden Liegenden hinweg und schlüpfte aus der Halle. Das Schnarchen der schlafenden Menschen verstummte und der weite Himmel erstreckte sich über ihm. Die Nacht war klar und kühl. Farold fuhr sich abwesend durch die Haare, die frische Luft klärte seine Gedanken. Selbst draußen lagen vereinzelte Gäste, die nicht mitbekamen, dass er an ihnen vorüberging. Er sah zu dem Langhaus von Eckart und Aleke hinüber, dort war alles still.

Farold eilte über den Vorplatz, seine Schritte so leise, wie die einer Katze der volle Mond hing schräg über dem Wald und warf den Schatten eines Doppelgängers seitlich vor seine Füße. Am Palisadentor fiel ihm auf, dass er sein Sax nicht mitgenommen hatte und er überlegte, zurückzugehen. Hieß es doch: Von seinen Waffen gehe weg der Mann keinen Fuß auf dem Feld: Nicht weiß man gewiss, wann des Wurfspießes draußen man bedarf. Es war Rolant, der ihn diese Verse gelehrt hatte. Farold zögerte für einen Moment, aber schließlich war er auf dem Weg zu Sarhild, er würde seine Waffe dort nicht benötigen. Er blickte kurz zum Haupthaus zurück und ging dann den Pfad hinüber zum Waldrand.

In der Ferne glühte noch das große Feuer, mit dessen Kohlen man bald die Äcker düngen würde. Breite Rauchfinger trieben über die Furchen und wurden vom Wind über die Bäume geweht. Als er in den Waldschatten trat, kühlte sich die Luft ab. Das Licht des Mondes fiel durch das Laubdach und half ihm dabei, den Pfad zu erkennen. Altes Holz knarrte in der Dunkelheit und die Blätter rauschten über seinem Kopf, in der Ferne zwitscherte ein Vogel. Die Morgendämmerung nahte. Die Stämme der Birken leuchteten, während er zwischen ihnen entlangging. Er konnte das leise Gluckern des Wassers hören, wo der Bach tiefer in den Wald strömte und sich seinen Weg über Stein- und Erdreich bahnte. Zielstrebig ging er zu dem Ufer, wo die Frauen die Wäsche wuschen, der Platz, den Sarhild am liebsten hatte. Ein Doppelgänger des Mondes hing leicht flatternd wie ein Banner auf der Wasseroberfläche.

»Sarhild!«, rief er leise und lauschte.

Der Platz am Bach war leer und er sah sich suchend um. Farold ging in Gedanken die Worte von Fredegard durch, Sarhild wollte ihm am Bach treffen. Nur, wo war Sarhild?

Er rief lauter ihren Namen, lauschte auf die Geräusche des Waldes und sein Herz begann unruhig zu werden. Nirgendwo war ihre vertraute Gestalt zu sehen, ihre Stimme nicht zu hören. Am Horizont verfärbte sich das dunkle Blau langsam zu einem hellen Grau. Immer mehr Vögel begannen zu zwitschern. Die Umrisse der Bäume und Sträucher tauchten deutlicher aus dem Dunkel auf. Farold sah zu dem Mond hinauf, der langsam verblasste.

Bilder drängten sich ihm auf, als er noch ein Junge war und mit Theodard und Rolant auf die Jagd gegangen war. Sie hatten sich hier, nicht unweit der Eiche, mit ihren Bögen auf die Lauer gelegt, bis ein Reh auf die Lichtung trat. Langsam überquerte es den Platz, die Männer hoben ihre Bögen und zogen die Sehnen zurück. Da blieb das Tier stehen, senkte den Kopf, und Farold meinte zu erkennen, dass das Tier seinen Kopf in ihre Richtung drehte. Es wusste es, ging es ihm durch den Kopf, es wusste in diesem Augenblick, dass es diese Lichtung nicht mehr verlassen würde und sein Leben zu Ende war. Langsam senkte es den Kopf, dann wirbelte es herum und setzte in großen Sprüngen auf den Waldrand zu. Theodard und Rolant ließen die Sehnen fast gleichzeitig los. Ihre Pfeile schlugen in den Leib des Tieres, das noch einige Schritte tat, dann einknickte und zu Boden sank.

Farold strich sich das schwarze Haar zurück und stolperte hinunter an das Ufer des Baches. Er zwängte sich durch Unterholz, das ihm ins Gesicht schlug. Immer wieder rief er Sarhilds Namen, ein Zittern erklang in seiner Stimme. Er wusste nicht, was passiert war, aber er spürte, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Farold rief noch einmal ihren Namen, und meinte, oben am Waldrand mehrere leise Schritte zu hören. Seine scharfen Augen glitten langsam über das Ufer und da bemerkte er einen hellen Fleck im einigen Schritt entfernten Schilf.

Farold schwankte.

»Nein!«

Er stürzte durch das Schilf. Regungslos lag Sarhild im feuchten Gras des Ufers, ihr helles schlichtes Kleid klebte nass an ihrem Körper. Sie war tot, dies sagten ihm ihre gebrochenen Augen, deren Leuchten erloschen war, die verzerrten Lippen, die sich über die Zähne spannten, die Fäuste, deren Fingernägel sich in die Handflächen gebohrt hatten.

Sarhilds langes, seidiges Haar lag wie ein Fächer auf der feuchten Erde, ihre feinen Gesichtszüge waren verzerrt und zeugten von der Qual ihrer letzten Momente. Zögerlich strich er ihr mit klammen Fingern über die Wange, die noch vor so kurzer Zeit auf seiner Brust gelegen hatte. Im Licht des neuen Tages wirkte das Silber ihrer Halskette wie frisch poliert.

Seine Hände zitterten, als wollten sie ihm nicht gehorchen. Farold stellte sich gegen die Dunkelheit, die sich in ihm auftürmte. Er durfte sich ihr nicht überlassen, noch nicht. Er musste sehen, erkennen. Den Schuldigen ausfindig machen.

Das Amulett des Lebensbaumes lag auf der reglosen Brust. Er beugte sich nach vorne, als er die Male an ihrem Hals erkannte, die sich in ihre feine, helle Haut gegraben hatten. Farold untersuchte die Würgemale, während Tränen seinen Blick verschleierten, sah die grausamen Abdrücke, die den Lebensfaden von Sarhild durchtrennten.

»Wer hat dir das angetan?«

»Halt!«, ertönte ein Ruf aus dem Wald.

Er blieb neben Sarhild knien, wandte den Kopf. Waren nun ihre Töter gekommen?

Drei Gestalten traten aus dem Schatten der Bäume hervor. Er erkannte Fredegard, Rolant und Isbert, die Gesichter ernst und verschlossen.

»Ich sagte doch, ich hätte einen Hilfeschrei gehört!«, sagte Isbert.

»Was ist passiert?«, fragte Rolant, seine Augen gingen von ihm zu dem toten Körper Sarhilds. Er trug eine einfache Tunika, aber Bleicher hing an seinem Gürtel.

Die Bäume um ihn herum gerieten ins Wanken. Farold beugten sich über Sarhild. Der Wind begann zu rauschen, wurde immer lauter, dröhnte in den Ohren, erstickte das Plätschern des Baches, das Zwitschern der Vögel, das Blätterspiel an den Bäumen. Er nahm Sarhilds Hand, die Worte Rolants drangen nicht zu ihm durch. Er spürte nicht den kalten Matsch, der seine Hose durchnässte, noch die Blicke der anderen.

»Wir kamen zu spät!«, sagte Fredegard und knetete die Hände. »Wir eilten, aber unsere Hilfe ist vergebens. Sie lebt nicht mehr!«

»Ich sehe nur einen Gesippten, wo sind die Töter?«, fragte Rolant.

Fredegard schüttelte den Kopf. »Siehst du denn nicht, Rolant, hier ist kein anderer. Der Töter kniet noch neben seinem Opfer. Farold ist es, wir sehen es mit unseren eigenen Augen.«

Als Farold seinen Namen hörte, sah er auf, ohne Sarhilds Hand loszulassen.

»Das will ich nicht glauben«, antwortete Rolant, »Sarhild war ihm zugetan, wir alle konnten es sehen.«

»Es war mein eigener Mann, der Farold in unsere Sippe aufnahm. Wir alle stiegen in den Schuh, wir alle hörten Theodards Worte. Und doch, was wissen wir über ihn? War er nicht immer anders, hielt er sich nicht abseits, wo Menschen die Geselligkeit suchten, und wandelte bei Nacht, wo wir am Herdfeuer saßen.«

Isbert trat auf Rolant zu. »Und erinnere dich an den Sturz Eckarts!«

Rolant nickte. »Ich habe die Beschuldigung gehört, sie wog schwer. Und doch stand Aleke für diesen Mann ein. Er ist einer von uns.«

»Dann sieh, was unser Gesippter tat …« Fredegard wies auf Sarhild.

Rolant stieg ans Ufer hinab und beugte sich über die Tote, seine scharfen Augen musterten ihre Wunden, die aufgebissenen Lippen und die Würgemale an ihrem Hals. Ein unruhiges Flackern erschien in seinem Blick, die Angst vor dem Unaussprechlichen. »Das Leben wurde ihr gewaltsam genommen, die Male an ihrem Hals sind deutlich zu erkennen. Es ist nun eine Sache, die uns alle angeht.«

Fredegard zeigte auf Farold, der immer noch regungslos neben Sarhild kniete. »Dann befrage ihn, er kennt alle Antworten.«

»So sprich denn«, forderte Rolant ihn auf.

Farold schmeckte Blut in seinem Mund und spuckte aus. Hilflos hob er Sarhilds Hand hoch und ließ sie dann langsam sinken. Alles in ihm war erstarrt.

»Er kann nicht sprechen«, hörte er Fredegards harte Stimme, »denn er ist nachts umhergegangen und hat sein Neidingswerk vollbracht. Nun versperrt ihm der böse Zauber den Mund.«

Farold bettete Sarhilds Hand auf der Brust und griff dann behutsam nach der linken. Sie war zur Faust geballt, vorsichtig bog er ihre Finger auseinander, als etwas Helles zum Vorschein kam. Sarhild hielt ein Haarbüschel in den Händen. Farold nahm es empor und betrachtete die Haare, die Sarhild ihrem Töter in ihren letzten Momenten abgerissen haben musste. Im Morgenlicht war ihre Farbe gut zu erkennen.

Langsam hob Farold die Hand mit den weißblonden Haarsträhnen und sah, wie Isbert unter seinem flammenden Blick erbleichte. Wut schoss heiß durch seinen Körper.

Schneller, als er es je für möglich gehalten hatte, sprang er auf Isbert zu, rammte ihn mit dem Gewicht seines gesamten Körpers zu Boden. Er hörte Friedegard aufschreien, sah aus den Augenwinkeln Rolant wie erstarrt zu ihm hinüberblicken. Dann war er über Isbert und riss ihm das Sax aus dem Gürtel. Schon immer war Isbert der Langsamere von ihnen beiden gewesen. Als dieser mit aufgerissenen Augen zu ihm hochstarrte, sah Farold einen Augenblick lang das Gesicht eines Kindes, das Isbert gewesen war, als sie mit Stöckern fochten, bis einer schrie: Du bist tot. Doch die Wut fegte dieses Bild schneller weg, als es gekommen war. Mit einem Knurren rammte er ihm das Sax durch das Herz.

Isbert blickte ihn erstaunt an und umgriff die Klinge, die aus seiner Brust ragte. »Der Fellschuh!«, flüsterte er.

Der Aufschrei von Fredegard steigerte sich zu einem schrillen Gellen, wie das eines verwundeten Tieres. Dann schien der Schrecken von Rolant abgefallen zu sein und er zog Bleicher aus der Scheide. Ohne innezuhalten, wirbelte Farold herum und riss das Sax aus dem leblosen Körper seines Halbbruders.

Das Wasser des Baches dröhnte in seinen Ohren, als er mit langen Sätzen davonrannte. Er hörte, wie Rolant hinter ihm herlief und irgendetwas rief. Er verstand es nicht, alles was er wusste, war, dass der Mensch, der ihm am meisten bedeutete, tot am Ufer des Baches lag und dass er ihren Töter erschlagen hatte. Wilde Wut lies sein Herz jubeln. Er setzte über einen umgefallenen Baumstamm hinweg und stürzte tiefer in den Wald.

Zwischen den Bäumen war es finster, aber seine Augen vermochten die wenigen Umrisse zu erkennen. Im letzten Augenblick erkannte er einen Baumstamm vor sich und wich ihm aus, schrappte aber hart mit der Schulter über die Rinde. Ein Ast schlug ihm ins Gesicht und er taumelte weiter, während er hinten Rolant laut knackend durch das Dickicht stürmen hörte. Er wusste, dass Rolant der bessere Kämpfer von ihnen war und nie hätte er gedacht, dass sie einmal auf Leben und Tod gegeneinander kämpfen könnten. Er duckte sich unter einem andern Ast hindurch und gelangte auf einen schmalen Pfad, von dem er wusste, dass er von den Gehöften wegführte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und das Blut brannte wie Feuer in seinen Adern. So schnell er konnte, lief er los und sprang über einen Busch, kam stolpernd auf und wäre beinahe gestürzt, als sein Zeh schmerzhaft gegen eine Wurzel stieß. Er taumelte weiter und es gelang ihm, sich auf den Beinen zu halten. Das Knacken hinter ihm war merklich leiser geworden. Er kam auf einen weiteren schmalen Pfad, dem er geräuschlos folgte, bis er sicher war, Rolant entkommen zu sein, aber rannte noch lange weiter.

Sarhild war tot. Isbert war tot.

Sarhild!

Er rannte so lange, wie er konnte und ließ sich unter einem Baum zu Boden fallen, wo der Boden unter ihm schwankte, bis er in einen tiefen Schlaf fiel.

Der Neiding

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