Читать книгу Der Neiding - Michael J. Awe - Страница 16
ОглавлениеGezählte Wunden
Irgendwelche Toten?«, fragte Arbogast und setzte sich Manfred gegenüber an den langen Tisch.
»Werden wir sehen«, antwortete der Schmied. »Wer heute Abend noch hier liegt, ist wahrscheinlich tot.«
Sie lachten und Arbogast schüttete sich etwas Bier ein. Um sie herum lagen die Gäste auf dem Boden und die Halle war erfüllt vom Schnarchen und dem Geruch von Fleisch und Bier. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist Rolants Gesicht, als ich rücklings auf dem Boden lag.«
»Ja, der kleine Wicht hat uns alle unter den Tisch getrunken«, sagte Manfred und wischte sich kauend über den Mund.
»Wo steckt er?«, fragte Arbogast, der seinen Gesippten unter den Umliegenden nicht sehen konnte.
Manfred zuckte mit den mächtigen Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht rausgegangen zum Pissen? War jedenfalls schon weg, als ich aufstand.«
Arbogast gähnte und streckte seine müden Knochen. Er leerte das Horn mit einem Zug und atmete erleichtert auf. Die Halle schien immer noch von dem Gesang und dem Lärm der Nacht zu vibrieren. Es war ein großes Fest gewesen, lebendig und laut, und oftmals in der Nacht wurde die Freigiebigkeit von Arbogast gelobt. Im Laufe des Tages würden sich die ersten Besucher auf den Weg zu ihren heimatlichen Höfen machen, aber es würde noch einige Tage dauern, bis auch die letzten aufbrachen.
»Du solltest dir ein Weib suchen«, sagte Manfred kauend.
»Was?« Arbogast wandte sich seinem Freund zu, der mit einem abgenagten Knochen auf ihn zeigte.
»Warum hast du heute Nacht nicht bei einem Weib gelegen?«
Arbogast lachte. »Soweit ich mich erinnere, lagst du heute Nacht auch nicht bei Wilburga.«
Manfred warf den Knochen zu den anderen. »Zu besoffen«, sagte er.
Arbogast fuhr sich lächelnd durch den roten Bart. »Du oder sie?«
Manfred sah zu Wilburga hinüber, die in der Nähe auf dem Rücken lag, die jüngste Tochter Herta im Arm. »Schwer zu sagen!«
Sie lachten beide aus vollem Halse und Arbogast wäre beinahe nach hinten von der Bank gefallen. Ihr Gelächter hallte von der rußgeschwärzten Decke wieder, bis Manfred plötzlich verstummte. Arbogast, der den ernsten Gesichtsausdruck seines Gesippten bemerkte, sah ihn fragend an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Blick Manfreds auf etwas in seinem Rücken gerichtet war. Arbogast drehte sich herum.
Langsam trugen Eckart und Rolant die leblosen Körper zweier Menschen herein. Friedegard folgte ihnen mit unsicheren Schritten.
Eckart hielt den schlaffen Körper seiner Tochter in den Armen, aus ihrer Kleidung tropfte Wasser. Das Gesicht Rolants war zerkratzt und starr wie eine Maske. Manfred schmetterte mit einem Krachen das Trinkhorn auf die Tischplatte ab, das sich mit dem Aufschrei von Aleke vermischte. Männer fuhren aus dem Schlaf hoch und griffen zu ihren Waffen.
Isberts weißes Haar hing zu Boden, während Rolant ihn zum Tisch trug.
»Macht Feuer!«, rief Arbogast und fegte mit beiden Armen den Tisch leer, damit man die Toten betten konnte. Das Gepolter weckte die übrigen Gäste, sie erhoben sich langsam und ohne ein Wort. Arbogast spürte ihre schweigende Gegenwart, die ernsten Blicke, die das Unheil mit sich brachte. Allmählich bildete sich ein Kreis um den hellerleuchteten Tisch.
Sarhilds Zähne waren im Tode gebleckt, die Lippen verfärbt. Ihr Kleid war heil, kein Blut war zu sehen. Arbogast bemerkte die Male an ihrem Hals und die eingedrückte Kehle.
»Wir fanden sie am Bach!«, sagte Rolant.
Der Kreis der Menschen brach auf und sie ließen eine Frau hindurch. Die Züge Alekes waren unbewegt, während sie an den Tisch trat. Nur einmal atmete sie hörbar ein. Unwillkürlich suchte Arbogasts Blick seine Mutter und fand sie in der Nähe des Eingangs stehen, das Gesicht im Dämmerlicht kaum zu erkennen. Das angezündete Herdfeuer trieb Arbogast den Schweiß auf die Stirn, doch es war wichtig, alles genau zu sehen.
»Und Isbert?«, fragte er.
Keiner antwortete. Er blickte Rolant an, dessen raue Worte wie Schläge auf einem Amboss klangen: »Er wurde von Farold erstochen. Ich sah es mit meinen eigenen Augen!«
»Farold?« Arbogast trat zu seinem toten Bruder. Kälte kroch durch seine Glieder und machte die Hand schwer, mit der er die Tunika Isberts öffnete. Das blutige Fleisch der linken Brust zeigte eine tiefe Wunde. Er drehte den Leichnam um, die Klinge war im Rücken wieder ausgetreten. »Womit?«
»Mit Isberts Sax«, antwortete Rolant.
Arbogast wog Rolants Worte, er wusste, wie viel davon abhing. Er konnte die Furcht der Anwesenden spüren, die Furcht vor etwas, das schlimmer war als der Tod, eine Furcht, die wie Abscheu in der Kehle brannte. Isberts Züge waren verzerrt, die Augen aufgerissen, so plötzlich war der Hieb gekommen. Arbogast stützte sich auf den Tisch und blickte in der Halle umher, auf die ein Fluch gefallen war.
Aleke ging langsam um den Tisch herum, auf dem ihre tote Tochter lag, und stellte sich neben Eckart. »So sag, Rolant«, sprach sie, »wer tötete unser Kind?«
Alle Augen richteten sich auf Rolant, dessen Hand auf dem Griff von Bleicher ruhte. »Es war Farold, Aleke. Wir fanden ihn an ihrer Seite.«
Eckart rührte sich nicht und es war nicht zu erkennen, ob er Rolants Worte gehört hatte. Aleke schüttelte den Kopf, dass ihre roten Locken aufblitzten. »Nein!«
Rolants Gesicht verfinsterte sich. »Stellst du meine Worte infrage?«
»Nicht die Worte …«, sagte Aleke. Sie strich ihrer Tochter durchs Haar, ihre Hand verharrte an den Würgemalen.
»Fredegard und ich sahen Farold mit eigenen Augen neben Sarhild knien«, sagte Rolant. »Als wir ihn ansprachen, war er der Sprache nicht mächtig und Blut floss aus seinem Mund.« Gemurmel ertönte in der Halle und einige Gäste schlugen Schutzzeichen. »Farold sprang auf und erschlug Isbert, nachdem er eine Locke von Sarhilds Haar in die Höhe gehalten hatte. Ich verfolgte Farold durch den Wald, aber verlor in der Dunkelheit seine Spur.«
Manfred beugte sich über Isberts Körper. »In der Dunkelheit durch Wälder streifen. Bei Nacht einen Menschen erschlagen. Keine Spuren für das menschliche Auge hinterlassen. Ihr wisst, was das heißt!«
Die Worte des Schmieds hingen wie Unheil in der Luft. Arbogast sah, wie einige der Anwesenden die Halle verließen. »Eine rasche Zunge spricht sich oft Unheil an!«, sagte Arbogast.
»Was wissen wir schon von Farold?«, fragte Rolant. »Wir retteten ihn vor Räubern im Wald, seine Herkunft ist nicht sicher. Es war Theodards Entscheidung. Du weißt es. Du warst dabei.«
Zwei Zeugen haben es gesehen, dachte Arbogast, es ist schwer von der Hand zu weisen. Das Wort Rolants wog viel, ein verlässlicherer Zeuge ließe sich kaum anführen, um eine Tat zu beschwören.
»Wir wissen nichts über Farolds Wesen«, fuhr Rolant fort, als Arbogast zögerte. »Ein Wolf kann mit dem Schwanze wedeln, und wird doch kein Hund!«
»Es war eine Neidingstat«, sagte Manfred. »Es lässt sich nicht absprechen!«
Die Worte trafen Arbogast wie ein Schlag ins Gesicht. Er ging langsam um den Tisch herum, die gehörten Aussagen wägend. Was würde Theodard jetzt tun? Sein Vater war immer ein besonnener Mann gewesen, freigiebig zu seinen Freunden und unnachgiebig den Feinden gegenüber. Doch nun? Wenn Rolant und Manfred recht hatten, war die Entscheidung, Farold aufzunehmen, eine schlechte gewesen.
Fredegard humpelte vor, ein Bein nachziehend. Der Feuerschein flackerte auf ihrer faltigen Haut. »Unheil traf unser Geschlecht! Was zögerst du? Bist du nicht der Sohn deines Vaters?«
Arbogast blieb neben Isberts Leichnam stehen. »Es scheint mir sonderbar.«
Rolants Stimme erklang scharf in der Halle. »Du siehst es: Dort liegt der Körper deines Bruders, noch warm … Erschlagen von dieser Schlange, die wir aufnahmen.«
»Lug und Trug ist das Wesens des Neidings.« Manfred nahm den Blick nicht vom Gesicht des toten Gesippten.
Arbogast, der dem hünenhaften Schmied auf der anderen Seite des Tisches gegenüberstand, schüttelte den Kopf. »Es ist niemand ein Geächteter, solange eine Schar von Verwandten willens ist, ihn zu halten. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen.«
Fredegard begann zu lachen, ein kalter freudloser Laut, wie ein Wintersturm, der um die Langhütte heult. Arbogast zuckte mit keiner Miene, aber er hatte seine Mutter noch nie so lachen gehört. »Du warst immer schon der kräftigste meiner Söhne gewesen, doch niemals schnell von Entschluss. Isberts Verstand war klar wie das Wasser im Bach, rasch und beweglich …« Fredegard verstummte und Arbogast schien es, als würde sie den Anblick Isberts meiden. Plötzlich ergriff sie seine Schulter und sah ihm fest in die Augen. »Blut ist geflossen und kann nur von Blut gereinigt werden. Isbert, dein Bruder, dein Gesippter, wurde erschlagen und wir müssen unsere Ehre zurückholen, und sei es durch den Tod eines Gesippten!«
Rolant blickte Arbogast eindringlich an: »Ich sah die Tat! Nur ein Neiding erschlägt einen Verwandten. Wir müssen ihn aus unserem Kreis herausreißen, bevor wir alle zur Unehre hinabsinken.«
»Schau!«, sagte Fredegard, »Sieh! Hier ist die Wunde!«
Plötzlich trat sie dicht an ihn heran, ihr Kopf reichte ihm nur bis zur Brust und ihre Augen glühten. Ihre Worte waren ein heiseres Flüstern. »Bring mir Farolds Kopf! Ich will in seine toten Augen sehen.«