Читать книгу Der Neiding - Michael J. Awe - Страница 19
ОглавлениеDer Überfall
Bei Tagesanbruch brachen sie in aller Frühe auf. Während sie durch den Wald marschierten, sah sich Farold die Männer genauer an. Es schien sich bei ihnen um Sachsen, Franken und Chatten zu handeln, eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die sich nicht um die kriegerischen Auseinandersetzungen ihrer Völker kümmerten. Mit dem Heil hatten sie auch den Sinn für ihr Volk verloren. Sie existierten nur für sich, entwurzelt und fern aller Formen. Das Bier war nur noch Bier, der Nebenmann nur noch ein Fremder, keine Ahnen standen ihnen bei. Und wenn sie dereinst starben, würden sie mit leeren Händen in das Reich der Toten einkehren, kein Platz erwartete sie unter ihren Vorfahren. Niemand würde sich ihrer Taten erinnern, keiner würde sie besingen. Sie lebten, kämpften und starben nur für sich.
Farold stolperte über eine Baumwurzel und fing sich nach einigen Schritten wieder, den Blick jetzt zu Boden gerichtet. Die Männer waren früh am Morgen noch schweigsam, aber er bemerkte ihre Anspannung, die mit dem anstehenden Überfall zu tun hatte. Keiner sagte ihm, was sie zu tun beabsichtigten, aber aus einigen Wortfetzen am Lagerfeuer vergangene Nacht setzte sich ein ungefähres Bild zusammen. Ein einsamer Hof, nicht weit entfernt, von dem die meisten wehrhaften Männer im Krieg gegen die Franken waren, versprach eine leichte Beute zu werden. Alte, Frauen und noch nicht wehrfähige Jungen würden ihnen nicht viel entgegenzusetzen haben. Es war ein Kampf ohne Ruhm, den kein Mann, der über einen Funken von Ehre verfügte, auch nur in Betracht ziehen würde.
Als jemand neben ihn trat, wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
Ein schwarzhaariger, bärtiger Mann, der ein Schwert und ein Schild trug, musterte ihn von der Seite. »Gleich werden wir sehen, ob du deinen Worten auch Taten folgen lassen kannst. Solltest du fliehen, freut sich mein Schwert auf eine Bekanntschaft mit deinem Rücken. Ich werde dich erschlagen wie einen tollen Hund.«
Farold sah den Mann nur ruhig an, dieser lachte bösartig und entfernte sich wieder.
Es ist gegen meinen Willen, gemeinsam mit diesen Übeltätern zu plündern und zu zerstören, dachte er, und doch bleibe ich bei ihnen. Ich habe keine Macht mehr über mich.
In der Nacht hatte er Sarhild gesehen und beim Aufwachen blieb nichts als Wut in ihm zurück. Sollte sich der schwarzbärtige Mann ihm in den Weg stellen, würde er ihn erschlagen, es würde der Flamme Nahrung geben, die in ihm brannte.
Eine dicke Wolkendecke hing tief über ihren Köpfen, als sie an den Rand des Waldes kamen. Vor sich sahen sie einige Langhäuser auf einer gerodeten Fläche stehen, Schweine liefen umher und drei Frauen waren auf einem Feld beschäftigt. Ein Langhaus wendete ihnen seine Längsseite zu, vor der Tür saß ein alter Mann auf einer Bank, neben der Kinder spielten.
Brandolf, der jetzt einen alten Brustharnisch trug, ließ seine Männer anhalten. Interessiert sah er zu den Gebäuden hinüber und musterte die Menschen. Nach einiger Zeit zeigte sich auf seinem Gesicht ein zufriedener Ausdruck.
»Nur Frauen, Kinder und Alte«, sagte Brandolf. »Sie haben ihren Hof schutzlos zurückgelassen, wie man es mir berichtet hat.«
Er sah sich zu seinen Leuten um, die seinen Blick erwartungsvoll erwiderten, dann zog er sein Schwert und ging voran.
Die Männer schienen es nicht eilig zu haben und es war Farold, als sei er in einem Traum gefangen, während er hinter den Räubern her schritt. Die Frauen auf dem Feld wurden auf die Männer aufmerksam und rannten zum Hof zurück. Der alte Mann stand unsicher auf und scheuchte die Kinder in das Haupthaus. Sie hörten, wie er mit heller Greisenstimme irgendetwas rief. Zwei Jünglinge, die ihr Haar noch ungeschnitten trugen, liefen vor die Tür und sahen den Männern entgegen. In ihren Händen hielten sie Hiebschwerter, die sie in aller Eile geschnappt haben mussten.
Farold erinnerte sich, dass er ungefähr in ihrem Alter gewesen war, als Rolant damit begonnen hatte, ihn im Waffenkampf zu unterrichten. Sie würden keine Chance haben, trotzdem bauten sie sich vor der Türe auf und warteten, bis die Männer herangekommen waren.
»Ich bin Adalbert!«, rief der Jüngling ihn entgegen, »Und das ist der Hof Luitgers. In welcher Absicht kommt ihr in Waffen an unsere Tür?«
Die beiden Jünglinge waren bleich im Gesicht und ihre Hände, die die Waffen hielten, zitterten, doch wichen sie nicht von der Schwelle der Tür.
»Sind keine Männer im Haus, dass ich schon mit Kindern sprechen muss?«, rief Brandolf, als sie den Hof erreichten und sich vor den beiden aufstellten.
»Ihr müsst mit uns vorliebnehmen, denn die Männer unserer Sippe kämpfen gegen die Franken, die unser Land und unseren Glauben bekriegen.« Die Stimme des Jünglings schwankte merklich.
»Dann müssen die Männer eurer Sippe dumm sein, wenn sie ihren Hof, ihre Frauen und Kinder alleine zurücklassen.«
»Dieser Hof ist nicht schutzlos!«, hörten sie eine Frauenstimme aus dem Inneren des Hauses, bevor eine hochgewachsene Gestalt mit Schild und Sax aus der Öffnung der Tür trat. Langes, blondes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und ihre Haltung war aufrecht und der eines Mannes in Waffen ebenbürtig.
Ein breites Lächeln malte sich auf Brandolfs Gesicht, während er die vor ihm stehende Frau betrachtete.
»Ich bin Dietlind, Tochter von Luitger«, sagte sie mit klarer Stimme, »aber ich habe dich nicht deinen Namen nennen hören. Schämst du dich dessen und deiner Sippe, dass du ihn verstecken musst?«
Brandolfs Lächeln verschwand, sein Gesicht lief dunkelrot an. »Bevor ich dich töte, wirst du mir und meinen Männern zu Diensten sein. Und damit du dich an deine Worte lange erinnerst, wird man sie dir jede Nacht mit einem glühenden Dolch in Erinnerung bringen.«
Dietlind sah ihm in die Augen. Obwohl sie eine Frau war, reichte sie dem bärenhaften Mann bis an die Schultern. »Wo ist der Mann, der das vollbringen will? Ich sehe nur Neidinge und Unholde, aber keine Männer.«
Einige der Räuber sprangen vor. Dietlind schlug dem ersten ihr Sax mit einer schnellen Drehung in die Seite. Der Mann torkelte mit einem überraschten Gesichtsausdruck noch einige Schritte und brach an der Hauswand zusammen. Die anderen Räuber sprangen zurück. Stille kehrte ein, als die Männer abwarteten, was ihr Anführer als Nächstes tun würde. Farold beobachtete, wie sich ihre Hände fester um die Waffen schlossen, und doch verharrte alles in angespannter Erwartung. Er erinnerte sich daran, von Theodard einmal den Namen Luitger gehört zu haben, sein Vater sprach voller Achtung von diesem Mann und seiner Sippe. Zweimal war Theodard Gast in diesem Hause gewesen, hatte das Willkommensbier getrunken und einen Platz am Herdfeuer erhalten, Brot und Fleisch gegessen, und nun stand er, Farold, mit Waffen vor dem Haus inmitten von menschlichen Wölfen. Hatte sich Theodard wirklich so sehr in ihm geirrt? Als der Blick der Frau ihn streifte, senkte er beschämt die Augen.
»Wisset, mein Vater Luitger lehrte mich den Gebrauch von Wörtern und von Waffen!«, rief die Frau mit blitzenden Augen. »Kehret um und verlasst diesen Hof, oder ihr sollt verflucht sein und niemals sollt ihr mehr Ruhe finden im Licht der Sonne. Ihr sollt gezwungen sein zu wandeln bei Nacht.« Alle Männer schienen bei ihren Worten zu erstarren und auch Farold spürte, wie sich die Schwere des Fluchs auf seine Schultern legte und ihn lähmte. Sie fixierte Brandolf, der bleich geworden war. »Mag das Sax nicht schneiden, das du führst, außer wenn es auf deinen Kopf niederstößt. Mag das Pferd nicht springen, das unter dir ist, wenn du auch vor deinen Feinden fliehst. Auf dem Lande soll dein Fuß straucheln und ein Sturm soll immer um dich heulen. Kein Dach soll dir Schutz gewähren. Deine Lenden sollen erlahmen und bei keiner Frau sollst du Befriedigung empfangen. Alles soll welken, was dein Atem berührt. Du sollst von Heil und Segen gemieden sein, je länger du lebst, und alle schützende Kraft soll dich verlassen.«
Als ihre Worte verklungen waren, schüttelte sich Brandolf, als würde er aus einem Alp erwachen, und in seinen Augen begann eine Wut zu funkeln, die seine Gesichtszüge verzerrte. Die Worte waren gesprochen und der Schaden angerichtet, aber seine Hände hielten noch immer eine Waffe. Der Hüne spannte seine Muskeln. Mit einem gewaltigen Satz sprang Brandolf auf sie zu und schwang das Schwert zu einem mächtigen Schlag, um der Frau den Kopf vom Rumpf zu trennen. Dietlind riss ihren Schild hoch und lenkte den Hieb zur Seite ab. Mit einer Drehung des Handgelenks ließ sie ihr Sax auf die ungeschützte Seite Brandolfs zufliegen. Brandolf erkannte gerade noch rechtzeitig die Gefahr und wich dem Schlag mit einer Behändigkeit aus, die seiner Körperfülle Lügen zu strafen schien.
In diesem Moment stürmten die Männer nach vorne und Farold verlor die beiden Kämpfenden aus den Augen. Er hörte einen der Jungen schrill aufheulen, bevor sein Schrei schlagartig verstummte, und zog dann selbst sein Hiebschwert. Die Lähmung, die alle Männer erfasst hatte, war von ihnen abgefallen und zur Raserei geworden. Sie schrien und schlugen auf alles ein, was sich an Hofgesinde in der Nähe befand, die Hiebe wurden blind und voller Wut geführt. Blut spritzte, als die Bewohner zu Boden sanken und wieder und wieder auf sie eingehackt wurde, bis das Leben sie endlich verlassen hatte.
Farold stand inmitten des Gedränges und eine merkwürdige Lähmung befiel seine Hand, so dass er beinahe das Sax hätte fallen lassen. Gegen wen sollte er seine Waffe richten? Er sah nur Frauen, Kinder und alte Männer, die sich mit dem Mut der Verzweiflung wehrten. Zum Glück achtete keiner der Räuber auf ihn.
Die ersten Männer stürzten in das Haus und er sah einen der Jünglinge leblos am Boden liegen, das Gesicht kaum zu erkennen. Der andere, der sich als Adalbert vorgestellt hatte, war nicht zu sehen. Die Luft war erfüllt von Schreien und Scheppern. In der Halle gingen Dinge zu Bruch und eine Greisenstimme schrie einen Fluch, bevor auch sie verstummte.
Farold erblickte die hünenhafte Gestalt Brandolfs, der etwas hinter sich her zog, was von den anderen Männern verdeckt wurde. Einer der Räuber lag tot am Boden, eine klaffende Schnittwinde quer über das Gesicht. Farold lief auf Brandolf zu, der die blutüberströmte Gestalt Dietlinds an den Haaren hinter sich herzog.
»Keine Angst!«, knurrte er, »sie lebt und sie wird lange genug Zeit haben, ihre vorlauten Worte zu bereuen.«
Dietlinds Augen waren geschlossen, die hellblonden Haare und der Hals dunkel von Blut.
»Es ist nicht ihres!«, erklärte Brandolf. »Die Hündin hat um sich geschlagen wie eine Walküre und so manchen meiner Männer verletzt. Ich bin sicher, dass der eine oder andere sich gerne revanchieren wird.«
Aus dem Eingang stürzte eine Frau mit einem Speer in der Hand, die Haare aufgelöst, doch mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht. Ihr Blick fiel auf sie. Drohend senkte sie die Speerspitze und instinktiv hob Farold sein Sax. An ihrer Schulter vorbei sah Farold in das Innere der Halle, wo die verbliebenen Frauen sich mit grimmigen Mienen gegen die Übermacht der Männer verteidigten und langsam zur hinteren Wand zurückwichen. Ihr Schicksal war unausweichlich, und sie wussten das.
»Das ist doch eine angemessene Gegnerin für dich, kleine Katze!«, brummte Brandolf. »Jetzt kannst du zeigen, ob du den Umgang mit der Waffe beherrscht.«
Als die Frau einen Schritt auf sie zu machte, bemerkte Farold, dass sie das linke Bein weniger belastete, und sah einen sich ausbreitenden Blutfleck knapp unter ihrer Hüfte, wo der Stoff des Kleides zerschnitten war.
Einen Augenblick sah sie ihm in die Augen, das bleiche Gesicht schweißglänzend, die zu einem Zopf gesteckten Haare, die sie als eine verheiratete Frau kennzeichneten, aufgelöst. Jung war sie nicht mehr, die Spuren des Alters hatten sich in ihr Gesicht gegraben und das braune Haar zeigte die eine und andere graue Strähne.
Im Hintergrund wurde eine der Frauen niedergehauen, ihr Todesschrei ließ die Frau die Augen zusammenkneifen. Sie wusste, dass sie mit ihrer Verletzung nicht entkommen konnte. Farold schüttelte unmerklich den Kopf, doch in diesem Augenblick ging sie zum Angriff über.
Die Spitze des Speeres verfehlte seine Brust nur knapp, als er etwas zu lange zögerte und erst im letzten Augenblick ihre Waffe zur Seite ablenkte. Die Schneide seines Saxes hieb eine Kerbe in das Holz, so dass sie Mühe hatte, den Speer zu halten. Von dem Schwung nach vorne getragen erlangte sie viel zu spät ihr Gleichgewicht wieder. Als sie den Speer ein weiteres Mal gegen ihn richten wollte, stand er neben ihr und schlug den Griff des Saxes gegen ihre Schläfe. Ohne ein Wort stürzte die Frau zu Boden.
Benommen starrte Farold auf die zu seinen Füßen liegende Frau, während Brandolf an seine Seite trat.
»Wir können keine Gefangenen gebrauchen!«, sagte er.
Bevor Farold der Sinn seiner Wörter klar wurde, zertrümmerte Brandolf ihr mit einem kräftigen Hieb seines Schwertes den Schädel.
»Du hast dich bewährt, fürs Erste!«, sagte der Räuberanführer und entfernte sich.
Mühsam wandte Farold den Blick von der Frau ab und schritt hinter Brandolf her, eine Leere in seinem Inneren spürend, wie er sie noch nie empfunden hatte.