Читать книгу Der Neiding - Michael J. Awe - Страница 14
ОглавлениеAm Bach
Sarhild drehte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Im Raum waren nur die leisen Atemgeräusche von Eckart und Aleke zu hören, die in der Ecke hinter dem Herdfeuer auf ihrer Bettstatt lagen. Sarhild führte ihre Fingerspitzen an die Lippen, die sich verändert anfühlten. Mit einem Lächeln fuhr sie deren Konturen ab und dachte an Farold, der sie so zärtlich liebkost hatte. Jetzt, wo das eingetreten war, was sie sich so lange ersehnt hatte, fühlte es sich wie ein Traum an. Und doch war es real gewesen, die Nacht im Wald unter dem Sternenhimmel, die sie zur Frau gemacht hatte. Leise setzte sie sich auf und sah zu ihren Eltern hinüber.
Barfuß schlich sie in ihrem einfachen Leinenkleid zur Tür und trat hinaus. Nach der stickigen Halle war die laue Nachtluft erfrischend. Der Himmel war noch dunkel, doch deutete sich am Horizont schon der neue Tag an. Sarhild blickte zu der großen Halle hinüber, wo Farold ruhte. Ob er auch keinen Schlaf finden konnte? Sie überlegte kurz, zu ihm zu gehen, schüttelte sdann aber lächelnd den Kopf. Wenn er wirklich schlief, wollte sie ihn nicht stören, und außerdem gefiel es ihr unter dem freien Himmel gut.
Der volle Mond stand über dem Dach des Langhauses und warf scharfe Schatten auf die Erde. Sarhild hielt ihr erhitztes Gesicht in den kühlen Wind und strich sich eine ihrer blonden Haarsträhnen zurück. Die Gedanken an Farold ließen auch die letzten Spuren der Müdigkeit verfliegen, sie spürte ihr Herz lebendig in der Brust schlagen und ein nie gekanntes Gefühl durchströmte sie.
Langsam ging sie an dem niedrigen Vorratshaus vorbei und folgte dem Pfad zum Tor des Palisadenzaunes, das wegen der Feierlichkeit offenstand. Außer ihr schien keine Menschenseele hier draußen zu sein. Auf dem Acker rauchte das verkohlte Holz der Sommersonnenwendenfeuer und der Wald lag dunkel und friedlich dar. Leise summend ging sie den Pfad zum Waldrand hinüber und lenkte ihre Schritte in den Wald hinein. Sie hatte den Wald nie als Bedrohung empfunden, sie kannte jede Pflanze und jedes Tier und wusste, dass die Gefahr nur für die Uneingeweihten bestand. Jeder Strauch, jeder Baum, jede Quelle und Flusslauf besaß einen eigenen Geist und alles war aus dem Körper des Urriesen Ymir entstanden. »Aus seinem Fleisch wurde die Erde geschaffen und aus seinem Blut das Meer, die Bäume aus seinem Haar und aus der Hirnschale der Himmel«, sagte Sarhild langsam auf. Sogar die riesenhaften Berge, die sie noch nie gesehen hatte, wurden von Ymirs Söhnen aus seinen Knochen erschaffen.
Am Ufer des Baches blieb sie stehen, wo sie die Wäsche zu waschen pflegten. Sie hockte sich hin und hielt eine Hand in das ruhig fließende Wasser. Der Mond schimmerte auf der gekräuselten Wasseroberfläche und das Silber ihre Ringe blitzte kurz auf. Leise summte sie ein Lied, während sie abwesend mit den Fingern durch das klare Wasser fuhr. Das Bier war ihr etwas zu Kopf gestiegen und sorgte für ein angenehmes Gefühl der Schwere in ihren Gliedern. Einige Blätter und Äste trieben an ihr vorüber und sie sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. In diesem Moment vernahm sie leise Schritte hinter sich, die abrupt verstummten.
Sarhild drehte ihren Kopf und sah den Pfad entlang, auf dem sie den Schatten eines Mannes erkennen konnte, den matt schimmernden Griff eines Saxes an seiner Seite. Er war unter den ausladenden Ästen einer großen Eiche stehen geblieben und setzte sich nun wieder in Bewegung. Langsam kam er den Pfad hinunter. Als er in das Mondlicht trat, leuchtete sein weißes Haar auf.
»Hallo Isbert«, grüßte sie ihn.
Ohne Hast erhob sie sich. War es Zufall, dass sie sich hier trafen, oder war er ihr gefolgt? Sie musterte sein Gesicht, das im bleichen Schein des Mondlichtes fremd wirkte. Arbogasts Bruder sah sie kurz an und blickte dann auf den breiten Bach. Er ist auch Farolds Bruder, dachte sie.
Seine Stimme klang flach und schien aus weiter Ferne zu kommen. »Ich stehe gerne hier. Früher haben wir mit unserem Vater an den Sommerabenden lange am Ufer gesessen, während er uns die Geschichten unserer Sippe lehrte. Er kannte viele Gesänge und ich lauschte ihnen, obwohl der Körper schwer von der Arbeit war.«
Sarhild erinnerte sich, dass Theodard einige Male mit den Kindern hier gewesen war, doch viel seltener, als es für Isbert den Anschein hatte. An den langen Sommertagen war jeder vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang mit der Feld- und Hausarbeit beschäftigt, so dass man abends wie ein Stein auf sein Lager fiel. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Sie waren keine Edelinge, sie hatten nicht viel Zeit, alte Geschichten zu erzählen. Nur im Winter, wenn die Abende lang und die Felder kalt und öde waren, saßen sie am Herdfeuer zusammen.
»Ich vermisse ihn auch«, sagte Sarhild.
Isbert hockte sich an das Ufer, sein weißes Haar strahlte wie eine kalte Fackel im Mondlicht.
»Er stellte sich allein einer Überzahl von fränkischen Kriegern, um euch die Flucht zu ermöglichen«, fuhr Sarhild fort. »Er gab sein Leben für das seiner Kinder, er war ein tapferer Mann!«
»Ja, es gelang ihm, Zeit zu gewinnen, bis wir in die Wälder fliehen konnten. Die Leiche meines Vaters ließ man liegen. Rolant und die anderen Männer brachten seinen Leichnam zurück. Es heißt, mein Vater habe solange gekämpft, bis die Klinge seines Saxes zerbrach.«
Sarhild beobachtete sein Profil im Mondschein. Sie kannte die Geschichte, sie war dabei gewesen wie er, als man Theodards Leichnam auf einem Pferd wieder nach Hause brachte.
Isbert schwieg eine Weile und betrachtete den Lauf des Wassers. »Ich habe dich heute mit Farold gesehen!«, sagte er.
Farold. Beim Klang seines Namens tat ihr Herz einen Sprung. Sie sah sein Gesicht ganz nahe vor sich, spürte die Wölbung seiner Rippen und den sanften Schwung seiner Schlüsselbeine, das leise Lachen. Lächelnd schloss sie für einen Moment die Augen. Die ersten Vögel im Wald begannen zu singen und der Tag dämmerte heran, mit dem sich für sie alles ändern würde. Sie wusste, dass Eckart Farold niemals abweisen würde, auch wenn er dem neuen Gesippten immer ein wenig Misstrauen entgegengebracht hatte. Es war Aleke, die Farold von Anfang an gemocht und unterstützt hatte. Sogar damals, als Eckart vom Dach gestürzt war, sich das Bein verrenkte, und mit jedem Atemzug schwor, dass es der Blick von Farold gewesen war, der dieses Unglück verursacht hatte. Hätte Aleke nicht für Farold gesprochen, wer weiß, wie die Angelegenheit ausgegangen wäre?
Sarhild schreckte auf, als Isbert sich erhob. Sie sah ihm an, dass er eine Antwort erwartete. »Und ich sah dich mit vielen Frauen. Sie redeten und reckten die Hälse nach dir, wenn du vorüber gingst.«
»Was sollen mir diese Weiber!«, rief er. »Mich interessieren sie nicht.«
Sarhild schüttelte den Kopf, sie hatte Isbert seit Jahren kein Interesse mehr entgegengebracht und nichts unternommen, um seine Hoffnung zu wecken. Es stand ihm nicht zu, einen Besitzanspruch auf sie geltend zu machen. Seine Eifersucht ließ Geringschätzung in ihr aufkeimen. »An mir hat es nicht gelegen, dass du heute Nacht bei keinem Weibe lagst. Viele Möglichkeiten standen dir offen und prächtige Frauen hätten mit dir den Sommer willkommen geheißen.«
»Nun«, sagte Isbert und sein Gesichtsausdruck wurde kalt. »So denkst du also? Waren wir nicht einander versprochen, seit wir Kinder waren? Es hat sich nichts geändert, du bist immer noch die Frau …«
»Nein!«, unterbrach sie Isbert und Zorn belegte ihre Stimme. »Was denkst du, um was es sich handelt? Hältst du meine Liebe für ein Kraut, was man im Vorübergehen pflückt und zum Trocknen an die Decke hängt, um es Jahre später zu verwenden?«
»Schweig!«
Der Schrei hallte durch den Wald und einige Vögel erhoben sich flügelschlagend aus den Baumkronen über ihren Köpfen. Noch nie hatte Sarhild Isbert so außer sich gesehen, aber sie verspürte keine Angst vor ihm, nicht jetzt, wo die Liebe stärkend durch ihre Glieder rann. Isbert konnte sie anschreien und sogar schlagen, aber sie würde nicht von ihrer Meinung abweichen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kräftig. Isbert stand nur wenige Schritte vor ihr, er war groß, überragte sie um zwei Haupteslängen, und konnte sie mit einem Schlag niederstrecken, aber sollte er Hand an sie legen, würde Farold es ihm bitter vergelten.
»Deine Worte«, sagte Sarhild und betonte jedes Wort, »stehen dir nicht an. Du bist ein Gesippter und wir sind verbunden durch gemeinsames Heil, aber vergiss nicht, dass meine Ehre auch deine Ehre ist, und was du tust, fällt auf uns alle zurück.«
Während ihrer Worte war Isbert immer blasser geworden und lauschte mit sichtbarer Ungeduld. »Du wirst mich nicht zum Gespött der Leute machen«, sagte er mit drohendem Unterton. »Ich bin Isbert, Sohn des Theodard, und ich lasse nicht zu, dass man mir meinen Anspruch aus den Händen nimmt!«
»Es gibt keinen Anspruch, Isbert!«
»Wir werden die Hände binden«, sagte er und trat einen Schritt auf sie zu. »So, wie es uns bestimmt ist!«
Isbert legte ihr die Hand auf die Schulter und sah sie bewegt an. »Sarhild, du bist eine ehrenhafte Frau, deren Schönheit nicht ihres Gleichen hat. Von dem ersten Tag an, als ich dich sah, war ich von dir verzaubert!«
Sarhild fühlte ihre Finger kalt werden. Langsam nahm sie seine Hand von ihrer Schulter.
Regungslos standen sich die beiden Gestalten am Ufer des Baches gegenüber und ein zufälliger Beobachter hätte sie leicht für etwas anderes halten können.
Isberts Blick brannte sich in ihre Augen und langsam trat sie zurück.
»Noch keiner Frau trug ich meine Liebe an, Sarhild. Was lässt dich zögern? Rede mit mir und schau mich nicht so merkwürdig an ...«
»Isbert, du bist ein ehrenvoller Mann und deine Worte reichen mir zum Wohl, doch können sie keine Früchte tragen.«
»Werde meine Frau, Sarhild!«, stieß Isbert hervor, »Sei mein Weib und Hüterin des Heims.« Er machte einen wankenden Schritt auf sie zu, die Arme ausgebreitet, sie mit seinen Augen in den Bann schlagend.
Sarhild gelang es nicht, ihren Blick zu senken, sie wich nur langsam einen weiteren Schritt zurück. Ihre Hand umfasste die Silberkette mit dem kleinen Anhänger des Weltenbaumes an ihrem Hals. »Glücklich wird dein Weib sein und viel Heil über die deinen kommen, aber ich werde es nicht sein.«
Er hob beide Hände, als wollte er sie anflehen, und sie bemerkte, dass seine kräftigen Hände zitterten. »Was ist es für ein Grund, der dich hindert, was ist es, was zwischen uns steht? Ist es Farold?«
Sein Gesicht glühte. Als er ihre Schulter zu fassen bekam, drückte er so fest zu, dass sie ein Aufstöhnen nur mühsam unterdrücken konnte.
»Lass mich los, Isbert, du rennst in dein Unglück!«
Isbert lachte leise. »Ich bin lieber mit dir unglücklich als ohne dich glücklich!«
Als sie sein freudloses Lachen hörte, überlief sie eine Gänsehaut. Er ist wie von Sinnen, dachte sie. Sarhild versuchte, seinen Griff auf ihrer Schulter zu lockern, aber es gelang ihr nicht. Seine Finger hatten sich tief in ihr Fleisch gegraben, er schien ihren Befreiungsversuch nicht einmal zu bemerken.
»Ich frage dich noch einmal, Sarhild, wer ist es?«
Sarhild nahm einen leichten Blutgeschmack in ihrem Mund wahr. »Wir kennen uns schon so lange und ich schätzte die Zeit mit dir, aber er ist nicht immer die freie Entscheidung von uns Menschen, wie Freya ihre Gaben verteilt, und hat nichts mit den Gefühlen zu tun, die ich dir gegenüber hege ...«
Sie keuchte, als sich seine kräftigen Hände um ihren Hals schlossen und zudrückten. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie konnte ihren Blick nicht von dem vertrauten Gesicht abwenden. Hinter sich hörte sie den Bach ans Ufer plätschern und der Herzschlag begann in ihren Ohren zu pochen.
»Isbert!«, stieß sie hervor und legte ihre Hände um seine Arme. Sie konnte den Griff nicht lösen. Sie schlug ihm ins Gesicht. Er knurrte nur. Sarhild riss an seinen Armen, trat nach ihm.
Isbert torkelte zurück. Sie bekam wieder Luft.
Sarhild tauchte unter seinen Armen hinweg und rannte vom Ufer weg. Ein Schritt, zwei Schritte, drei. Etwas traf sie im Rücken. Der Schlag warf sie zu Boden, Erde füllte ihren Mund. Isbert kniete auf ihr, sein Gewicht presste sie zu Boden. Sie schlug aus, bäumte sich auf. Seine Hände schlossen sich von hinten um ihren Hals, drückten zu. Ihr ganzer Körper zog sich zusammen. Sie versuchte, wegzukriechen. Der schwere Körper auf ihr nagelte sie fest. Seine Knie bohrten sich in ihre Rippen. Das Blut dröhnte in ihren Ohren.
Die Luft begann ihr knapp zu werden, ein schmerzhafter Druck lastete auf ihren Schläfen. Das Bild Farolds tauchte vor ihr auf, wie sie im Lichtschein der Flammen um das Feuer getanzt hatten, die Zärtlichkeit seiner Berührung und das leise Lächeln, als sie sich auf den weichen Moosboden gebettet hatten. Farold, der jetzt nicht weit entfernt auf seinem Lager lag.
Sie wollte rufen, doch brachte sie nur ein schrecklich klingendes Röcheln hervor. Nein, es konnte nicht sein, sie würde nicht in diesem Moment am Bach sterben, nicht durch Isberts Hand ...
Schatten verdunkelten ihre Sicht und sie schlug um sich, traf etwas Weiches. Ihr ganzer Körper gierte nach der Luft, die auf ihrer Haut brannte. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, als würde sie schnell rennen ... Rennen, einen Abhang hinunter, das warme Gras unter ihren Füßen, den Duft der Blumen, als sie sich auf die Wiese bettet, Farold an ihrer Seite, sein Gesicht, so nah, sie würde einen Kranz für seine dunklen Locken flechten ...
Sein Gesicht, so nah. Der Duft des Bodens. Farold.
Sie flüsterte seinen Namen, ohne es zu merken.