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1.3.3Risiken und Hemmnisse

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Die Beschreibung von Risiken, Grenzen oder gar Nachteilen von ITIL erfolgt in der Originalliteratur nicht auf übergreifender Ebene. Angerissen werden diese Aspekte lediglich als Erfolgsfaktoren für die unterschiedlichen Practices, die ITIL beschreibt. Es ergeben sich aber durchaus Punkte für eine kritische Analyse des Gesamtansatzes, die ich an dieser Stelle aufgreife und durch Best Practices und Erfahrungen aus der Praxis ergänze. Die nachfolgend beschriebenen Risiken und Herausforderungen können als kritische Erfolgsfaktoren für die Implementierung und Nutzung des ITIL Frameworks angesehen werden.

Die Punkte beziehen sich zum einen auf die unterschiedlichen Ebenen in der IT-Organisation sowie zum anderen auf organisatorische und technologische Aspekte.

Entscheidet sich eine IT-Organisation für eine ITIL-Prozessimplementierung, die Ausweitung oder eine Reifegraderhöhung der bestehenden ITSM-Landschaft, sind mindestens die folgenden Aspekte für das Management und die Beteiligten relevant. Es sind wichtige Erkenntnisse, deren Verständnis einen Erfolgsfaktor für die Etablierung des IT Service Management darstellt:

 Die Einführung von ITIL geschieht nie aus Selbstzweck, sondern dient stets als Mittel zum Erreichen übergeordneter Zielsetzungen (»pain and gain«). Was diese Ziele sind sowie ob und wie ITIL die jeweilige Zielerreichung unterstützen kann, beantwortet das Management (sich) in einer ausgeprägten Initiierungsphase. Geschieht dies nicht, geht dem Projekt erfahrungsgemäß schon bald die Luft aus. Spätestens beim Thema Finanzierung (Budgetierung, Business Case) oder später bei der Kommunikation mit Beteiligten und Betroffenen im Mitarbeiterkreis und anderen Stakeholdern bspw. hinsichtlich der Ziele oder des Nutzens des Vorhabens wird dann deutlich, dass essenzielle Voraussetzungen fehlen.Dem Nutzen stehen entsprechende Kosten der Investition gegenüber, die über Finanzmittel zu decken sind. Die wirtschaftliche Darlegung über einen Business Case ist notwendig, um auch im späteren Verlauf rechtzeitig gegensteuern zu können, falls sich Probleme abzeichnen.Und, nein, ein Business Case, der für ein solches Unterfangen nur Kostenersparnisse ausweist, ist weder korrekt noch zielführend.

 Für die Umsetzung des Vorgehens ist ein Programm oder ein Projekt aufzusetzen, das nach einer geeigneten Projektmanagement-Methode und einem passenden Projektmanager verlangt. Die entsprechenden Aufwände und die Dauer werden transparent geplant. »Einfach mal nebenbei, husch, husch« oder durch ein »magisches Fingerschnippen« im Management wird ein solches Projekt nicht realisiert.

 Für die Definition und die Implementierung der Practices und Prozesse und weiterer Themen ist entsprechendes Wissen notwendig. Dazu sind (rechtzeitig geplante und zielgruppengerechte) Schulungen notwendig – auch für das Management. Dies ist mit entsprechenden Kosten und Zeit für den Besuch der Schulungen verbunden.

 Ohne das entsprechende Wissen fehlen korrekte und konsistente Begriffsverwendungen, Abstimmungen zwischen den Beteiligten, Erfolgsfaktoren – und vieles mehr, was ITIL und seine Vorteile ausmacht.

 Auch Erfahrungen sind notwendig, um eine erfolgversprechende kontextgebundene Übertragung der theoretischen Inhalte in die unternehmensindividuelle Praxis umzusetzen. Sind diese nicht vorhanden, ist eine Unterstützung durch Berater sinnvoll.

 Einer der häufigsten Faktoren, die zum Scheitern oder zu enttäuschenden Ergebnissen bei der ITIL-Umsetzung führen, ist ein gewisser »Perfektionismus«, ein allzu starres Festhalten an den angeblichen »ITIL-Regeln«. Wer hier die ITIL-Inhalte ohne Anpassung der IT-Organisation »überstülpt«, läuft Gefahr, sich zu verrennen oder bürokratische Strukturen aufzubauen, die im Alltagsgeschäft eher hinderlich als fördernd sind.

 Es empfiehlt sich, nicht zu viel auf einmal zu wollen. Auf die Organisationskultur und -reife sollte Rücksicht genommen werden, um die Beteiligten mitzunehmen und sie nicht zu überfordern. Auch ein schrittweises Vorgehen, um neue Herangehensweisen zu erproben und mit Hilfe von Feedback und Anpassungen weiter voranzuschreiten, ist ein wichtiges Grundprinzip (siehe Kapitel 6 bzw. Abschnitt 6.5).

 Prozesse, die nicht in den situationsspezifischen Kontext passen, unabgestimmt definiert oder nicht geschult wurden, werden später in der Regel einfach ignoriert.

 Die Unterstützung durch das Management und das Business, das den potenziellen Mehrwert erkennen und dahinterstehen muss, sind essenzielle Erfolgsfaktoren.

 ITIL beinhaltet nicht nur spezifische Practices und Prozesse, denen im Zuge der Implementierung oder Professionalisierung Beachtung geschenkt wird. Vielmehr sind, bevor die Practices und Prozesse in den Fokus rücken, einige übergreifende Aspekte zu klären. Dazu gehören bspw. die Rollen und Verantwortlichkeiten oder die Modellierungs- und Dokumentation(sform) für Prozesse und IT Services.

Die Etablierung und die Unterstützung der Practices (»Capabilities« als Fähig-/Fertigkeiten) und die Gestaltung neuer Prozesse sowie die Verbesserung der bestehenden Prozesslandschaft sowie der damit verbundenen Themenfelder setzt eine Analyse der bestehenden Abläufe voraus. Dies gestaltet sich in vielen Fällen schwierig bzw. aufwendig, wenn die Verfahrensweisen bisher gar nicht oder nur unzureichend dokumentiert sind. Zusätzlich erschwert wird dies, wenn unterschiedliche Begriffswelten verwendet wurden. Hier sind entsprechende Aufwände einzuplanen.

Hinsichtlich der Einführung und Verwendung ist Folgendes zu beachten:

 Das Tool folgt stets dem Prozess, da es die Umsetzung der Prozessaktivitäten und die Realisierung des Outputs unterstützt.

 Zuerst werden die Ziele, Anforderungen und der Scope definiert, bevor es an die Diskussion von Details geht.

 ITSM-Tools sind nicht nur mit Anschaffungs-, sondern auch mit Lizenz- und Wartungs-/Supportkosten und ggf. mit Implementierungs-/Customizing-Kosten (höchstwahrscheinlich durch externe Berater) verbunden. Diese werden im Business Case dargestellt.

 Datenschutzbeauftragte und Betriebsrat bzw. Personalvertretung sind frühzeitig hinzuzuziehen. Geschieht dies nicht oder nicht rechtzeitig, droht nicht nur Ärger, sondern es können massive Hemmnisse für das Projekt bis hin zum Scheitern auftreten.Dies bezieht sich auch auf das Hosting der Service-Management-Applikationen und die verarbeiteten Daten, v.a. wenn ein externer Dienstleister oder ein ausländischer Sourcing-Partner für die Applikation verantwortlich ist. Das Einbeziehen der relevanten Interessengruppen ist aber auch deswegen relevant, weil bezogen auf das Arbeitsverhalten von Anwendern und IT-Mitarbeitern sowie ihren individuellen Leistung Auswertungen erstellt werden können.

Jeder neue oder angepasste IT-gestützte Prozess, jeder Ausbau der Practices greift in der Regel in das Unternehmen und seine Abläufe ein. Deshalb wird die Implementierung vom Management initiiert. IT Service Management überschreitet Abteilungsgrenzen und führt oft zum Aufbrechen von »Fürstentümern« im Unternehmen. Um dies erfolgreich umsetzen zu können, sind eine rechtzeitige Initiierung, Steuerung und adäquate Begleitung der organisatorischen Entwicklung (Organizational Change) und die Unterstützung durch das obere und mittlere Management notwendig. Letzteres stellt bei organisatorischen Veränderungen für die Einführung, aber auch für die langfristige Etablierung einen wichtigen Erfolgsfaktor dar. Dies kann durch die Teilnahme an relevanten Meetings, Treffen von Entscheidungen oder die Beteiligung an Kommunikationsmaßnahmen erfolgen. Der Organisationskultur ist in diesem Zusammenhang Beachtung zu schenken. Die Ausrichtung auf Prozess- und Service-Gedanken fordert zudem oft einen Wandel in der Kultur und kann Widerstände hervorrufen.

Denn: Der digitale Wandel ist kein technischer, sondern insbesondere ein kultureller Wandel im Unternehmen. Spannend ist dabei die Frage, wie eine mitarbeiterorientierte und inspirierende Kultur entstehen kann, die nicht (nur) auf eine Arbeitskraftnutzung spekuliert, sondern auf Potenzialentfaltung. Ein Kulturwandel ist keine Kleinigkeit. Aber wer möchte, dass sich Mitarbeiter engagiert für Organisations- und Projektziele einsetzen, muss eine Arbeits- und Führungskultur fördern, die die Beteiligten zu neuem Verhalten einlädt, ermutigt und inspiriert. Das funktioniert nur, wenn es entsprechende Freiräume, Entwicklungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten gibt, was im Gegenzug einen klar definierten Rahmen und eine gemeinsame Ausrichtung benötigt.

Striktes Prozessdenken birgt die Gefahr, dass Prozessschnittstellen und eine übergreifende Steuerung vernachlässigt werden. Wo früher »Abteilungssilos« das integrierte Zusammenwirken der IT-Abteilungen und -Teams bremsten, gibt es heute oft Prozesssilos. Im Extremfall werden die einzelnen ITIL-Prozesse mit großem Aufwand eingeführt und in mehreren Schritten optimiert, während gleichzeitig das Zusammenwirken aller Beteiligten durch die entstehenden Prozesssilos gehemmt wird. Als Reaktion auf die Klagen der Anwender oder IT-Kollegen wird häufig die Prozessdefinition noch verschärft. Damit steigt die Tendenz zur Überregulierung.

Dies macht eine Philosophie oder ein Denken in Organisationen deutlich, die aufgrund von andauernden Umstrukturierungen, häufigen Wechseln im Management, steigendem Kostendruck oder internen Machtkämpfen stark mit sich selber beschäftigt sind: Sie verlieren den Blick auf ihre Kunden! Bei aller Diskussion um Prozessverbesserungen, KPIs und Effizienz, die nicht per se schlecht ist, sollte die Kunden- und Wertorientierung im Hinblick auf Service-Qualität, Nutzenbereitstellung oder Kundenzufriedenheit nicht verloren gehen. Indikatoren, dass hier bereits etwas im Argen liegt, sind bspw. die fehlende Kenntnis über die Kunden und das Verständnis für den Mehrwert, der über das Service-Angebot für sie bereitgestellt wird. Entscheidungen werden nicht aus Kundensicht getroffen, oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können nicht ihren Beitrag an den Ergebnissen darlegen, die sie für die Kunden erbringen.

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