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Was der Veganismus nicht ist
ОглавлениеImmer wieder wird eine vegane Ernährung von ihren Vertreter*innen als die gesündeste unter allen Ernährungsweisen beworben, als wäre sie tatsächlich nur eine Ernährungsweise unter vielen, deren primäres Ziel die optimale Gesundheit des Menschen ist. So liest sich etwa in einer veganen Infobroschüre: »Eine richtig durchgeführte, abwechslungsreiche vegane Ernährung ist die gesündeste Kostform und die einzige wirklich gesunde Ernährung.«30 Derartige Aussagen lassen sich allerdings anhand der ernährungswissenschaftlichen Datenlage in dieser Deutlichkeit nicht belegen und bergen zudem mehrere Probleme.
Zum einen leidet die Glaubwürdigkeit des Veganismus unter derart übertriebenen und nicht belegbaren Aussagen und zum anderen lenkt sie den Fokus von den Interessen der Opfer (den Tieren) auf die Gesundheit der Tierprodukte essenden Menschen, die durch den Umstieg auf eine vegane Ernährung angeblich zur einzig gesunden Ernährungsweise wechseln. Eine gut geplante vegane Ernährung (inklusive angereicherter Lebensmittel oder Supplemente) kann durchaus den Nährstoffbedarf des Menschen in jeder Lebensphase decken und somit als eine gesunde Ernährung deklariert werden.31 Aber die Aussage, dass eine vegane Ernährung die gesündeste bzw. sogar die einzig wirklich gesunde Ernährung wäre, entbehrt jeglicher Evidenz. Die Suche nach der gesündesten Ernährung ist ohnehin zum Scheitern verurteilt, da es nicht nur die eine gesündeste Ernährung gibt, sondern zahlreiche unterschiedliche Ernährungsweisen, die bei guter Kostzusammenstellung ähnliche gesundheitliche Auswirkungen haben können.32 Die Vorstellung, dass jegliche Menge an tierischen Produkten in jedem Fall zu einer Ernährungsweise führt, die weniger gesund ist als eine Ernährung, die ohne Tierprodukte auskommt, ist ernährungsphysiologisch ebenfalls nicht plausibel. Dennoch kann eine vollwertige und bedarfsgerechte vegane Ernährung gesünder als die derzeit übliche westliche Mischkost sein, und Ernährungsfachgesellschaften empfehlen ohnehin auch Mischköstler*innen eine überwiegend pflanzliche Ernährung.33,34
Die Suche nach soliden Studien, die belegen, dass beispielsweise der Verzehr einer einzigen Hühnerbrust im Monat einen nachteiligen Effekt auf die Gesundheit hat, wird aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dauerhaft ergebnislos verlaufen. In anderen Worten: Es lässt sich kein evidenzgestütztes Argument anführen, warum der Konsum jeglicher Menge an tierischen Lebensmitteln aus gesundheitlichen Gründen in Gänze gestoppt werden müsste. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass tierische Lebensmittel eher gesundheitsschädlich sind (was nicht unbedingt in allen Fällen zutrifft) führt kein Weg an dem Zugeständnis vorbei, dass eine Hühnerbrust pro Monat gesundheitlich bedeutungslos, der Verzehr aber aufgrund dieser ernährungsphysiologischen Bedeutungslosigkeit als Ausbeutung und damit als unethisch einzustufen und demnach nicht vegan ist – sofern keine zwingende gesundheitliche Notwendigkeit davon ausgeht. Das Gesundheitsargument kann folglich nur für eine starke Reduzierung des Konsums von tierischen Lebensmitteln eintreten. Eine Vermeidung, die im Sinne der Veganismus-Definition so weit wie möglich bis hin zur Vollständigkeit geht (was das Optimum wäre), ist in dieser Hinsicht jedoch argumentativ grundsätzlich nicht von Belang.
Solche Argumente führen außerdem dazu, das Hauptproblem – den unethischen Umgang mit (Nutz-)Tieren – zu marginalisieren, indem suggeriert wird, dass überhaupt noch ergänzende Aspekte notwendig seien, um den Veganismus zu legitimieren – als wäre das eigentliche Problem nicht Grund genug, eine Handlung zu unterlassen oder sein Handeln zu ändern. Aber wenn eine Handlung an sich verwerflich ist, dann sollte sie schon unterlassen werden, eben weil sie verwerflich ist, und nicht erst, weil irgendein zusätzlicher positiver Nebeneffekt bei Unterlassung lockt. Das soll nicht heißen, dass es nicht wichtig ist, im Kontext des Veganismus über Ernährung zu sprechen und etwaige Bedenken über Nährstoffmängel oder gesundheitlich abträgliche Effekte durch vegane Kost auszuräumen. Außerdem ist es sowohl für einen selbst als auch (indirekt) für die Tiere wichtig, dass man als vegan lebende Person auf die eigene Gesundheit achtet. Denn kränkliche Veganer*innen können nicht nur abschreckend wirken, sondern sie sind auch schnell wieder Ex-Veganer*innen und werden in beiden Fällen nicht das für die vegane Bewegung erreichen können, was sie als rundum gut versorgte Veganer*innen hätten bewirken können. Der Veganismus benötigt Fürsprecher*innen, die als Vorbild dienen können. Sie müssen ausreichend informiert sein, um angemessen auf die in der Bevölkerung weit verbreiteten gesundheitlichen Bedenken reagieren zu können. Aber sie sollten sich nicht dazu verleiten lassen, übertriebene Gesundheitsversprechen mit dem Veganismus zu verknüpfen in der Hoffnung, so noch mehr Menschen für eine vegane Ernährung (aus den falschen Gründen) zu begeistern.
Ähnlich verhält es sich mit dem Umweltargument. Vegane Websites bezeichnen die vegane Ernährung zwar immer wieder als die nachhaltigste Ernährungsweise,35 aber ebenso wie beim Gesundheitsargument reicht das Umweltargument nur für eine sehr starke Reduzierung tierischer Lebensmittel aus Umweltschutzgründen. Es würde eine detaillierte und umfassende Betrachtung der für die Landwirtschaft sowie für das Klima relevanten chemischen Prozesse erfordern und somit den Rahmen einer kurzen Einführung in den Veganismus sprengen; dass aber der Veganismus für die Umwelt streng genommen nicht die beste Lösung sein kann, lässt sich an einem simplen Beispiel festmachen: Die Tötung eines einzelnen Fisches beim Angeln kann genauso wie der Abschuss eines einzelnen Rehs bei ausreichenden Beständen nur tierethisch, nicht aber ökologisch kritisiert werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen landwirtschaftlichen Methoden ließen sich durch Jagen und Angeln Kalorien gewinnen, die umweltschonender als ein kalorisch identischer Einkauf bei den ressourcenschonendsten Händlern sind. Das Ziel der veganen Ernährung muss es allerdings auch nicht sein, Superlative wie die gesündeste oder die umweltfreundlichste Ernährung zu bedienen, sondern den Superlativ in ethischen Fragestellungen zu leben, um Tierausbeutung auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren. Es steht außer Frage, dass eine vegane Ernährung durchschnittlich dennoch deutlich umweltschonender als eine westliche Mischkost ist,36,37 aber ebenso wie die Diskussion um die gesündeste Ernährung geht auch die Diskussion um die nachhaltigste Ernährung am eigentlichen Ziel vorbei. Dass man im Rahmen des Veganismus gesund essen und etwas Gutes für die Umwelt tun kann, steht dabei keineswegs im Widerspruch, ist aber nicht der Kern des Veganismus. Wird stattdessen dieser ethische Kern fokussiert, so laufen Gespräche über die vegane Ernährung nicht Gefahr, durch übertriebene Darstellungen gesundheitlicher oder ökologischer Vorteile in die Kritik zu geraten. Außerdem wird so verhindert, dass sich Diskussionen über den Veganismus in ökologischen oder gesundheitlichen Debatten verlieren, sodass am Ende oft sogar jene unerwähnt bleiben, um die es eigentlich geht: die Tiere.
Das Ergebnis der Analyse der Definition der Vegan Society und der damit am weitesten verbreiteten sowie anerkanntesten Definition lässt sich somit wie folgt zusammenfassen: Der Veganismus ist eine tierethisch begründete Lebensweise, die sich darum bemüht, Ungerechtigkeiten gegenüber Tieren so weit wie nur irgendwie möglich zu vermeiden. Sie setzt sich gleichzeitig dafür ein, ethische, nachhaltige und gesunde Alternativen zu tierischen Produkten zu fördern.
Die vegane Bewegung hat sich gerade in den letzten Jahren in vielen Fällen sehr darauf konzentriert, Menschen über Gesundheits- und Umweltargumente zu überzeugen. Dies war mitunter sehr erfolgreich und hat viele Menschen zumindest temporär für eine vegane Ernährung begeistern können, aber es hat auch dazu geführt, dass immer wieder (und nicht selten berechtigte) Kritik zu diversen veganen Büchern38 oder Dokumentationen39,40 veröffentlicht wurde, in denen übertriebene gesundheitsbezogene Aussagen getätigt wurden, was der Glaubwürdigkeit der veganen Bewegung äußerst abträglich war. Dies führte außerdem dazu, dass viele primär gesundheitsorientierte Menschen (in einigen Fällen mit sehr großer Social-Media-Reichweite) sich dem Veganismus zuwandten, aber sich nach einiger Zeit wieder öffentlichkeitswirksam davon abwandten, da sie nicht die gewünschten (oft überzogenen) gesundheitlichen Erfolge erzielen konnten oder noch schlimmer – aufgrund einer falschen Vorstellung, wie eine gesunde vegane Ernährung zusammengestellt werden muss – häufig rigide und nicht bedarfsdeckende vegane Ernährungsweisen praktiziert haben, die ihrer Gesundheit geschadet haben (siehe Kapitel 7). Diese Menschen haben dann in vielen Fällen dem Veganismus – und damit den Tieren – mehr geschadet als geholfen. Als tierethisch motivierte Bewegung sollte der Veganismus auch hinsichtlich anderer Aspekte ein redliches Verhalten forcieren und es sollte nicht weggesehen werden, wenn Falschinformationen unter dem Deckmantel des veganen Aktivismus verbreitet werden.
Virginia Messina, eine amerikanische Diätologin und überzeugte Veganerin, schrieb diesbezüglich in ihrer Kritik an der veganen Dokumentation »What the Health« Folgendes: »Als eine vegane Gesundheitsfachkraft bin ich manchmal beschämt, wenn ich mit der schlechten ›Wissenschaft‹ unserer Community in Verbindung gebracht werde. Als Tierrechtsaktivistin bin ich entmutigt von solchem [veganen] Aktivismus, der uns wissenschaftlich ungebildet, unehrlich und zeitweise wie eine Sekte von Verschwörungstheoretiker*innen aussehen lässt. […] Wir müssen die nicht-vegane Welt wissen lassen, dass es möglich ist für Tierrechte einzustehen und dennoch wissenschaftliche Integrität zu bewahren.«41
Wenn nun also festzuhalten ist, dass es streng genommen weder ein veganes Umwelt- noch ein Gesundheitsargument, sondern in dieser Hinsicht jeweils nur ein Reduktionsargument geben kann, dann bleibt für die redliche Überzeugungsarbeit »nur« der tierethische Blickwinkel. Argumente wie das Risiko für das Auftreten von Zoonosen und Antibiotikaresistenzen können ebenfalls nicht als Begründung für eine völlige Abkehr der Tierausbeutung genutzt werden, da diese bereits mit einer drastischen Reform der »Nutztierhaltung« beseitigt werden könnten und es ergo weiterhin Tierausbeutung geben könnte. Auch die Begründung, dass der Veganismus aus einer Welternährungsperspektive die beste Ernährungsform wäre, scheitert schlicht und ergreifend daran, dass Tiere mit uns nicht zwangsläufig in Nahrungskonkurrenz stehen (obwohl dies in der Intensivtierhaltung häufig der Fall ist) und Tiere unter den richtigen Umständen somit Kalorien nutzbar machen können, die für uns sonst nicht zur Verfügung stehen würden. Auch das Bejagen von Wildtieren ließe sich wie erwähnt auf dieser Basis nicht kritisieren.