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Gerechtigkeit als Willkürausschluss

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Da Willkür zu unbegründeter Schlechterbehandlung führen sowie einem funktionierenden Miteinander im Wege stehen kann, ist es im Interesse aller Menschen, die nicht vollständig isoliert und völlig unabhängig von anderen leben, Willkür zu vermeiden, solange sie über das weitsichtige Verständnis verfügen, welchen Preis es haben kann, es nicht zu tun. Der Ausschluss von Willkür ist daher eine wesentliche Grundlage für ein gutes Leben. Infolgedessen stellt der Grundsatz, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, für die Ethik den zentralen Aspekt der ersten Minimalanforderung der Wissenschaftlichkeit (Konsistenz) dar. Die beiden folgenden Beispiele dienen zur Illustration, was genau darunter zu verstehen ist.

Man stelle sich einen Vater vor, der mit seinem Sohn ein Würfelbrettspiel spielen möchte. Der Vater nimmt sich hierfür von den zwei vorhandenen Würfeln den roten und gibt den grünen seinem Sohn. Nach einem kurzen Zögern klagt sein Sohn, dass er lieber den roten Würfel haben möchte, da es mit diesem doch vermeintlich einfacher sei, eine Sechs zu bekommen, obwohl die Würfel, von der Farbe abgesehen, identische Eigenschaften haben.

Wie hinlänglich bekannt, hat die Farbe eines Würfels keinen Einfluss darauf, welche Zahl gewürfelt wird. Wenn das Ziel darin besteht, einen Würfel zu wählen, der häufiger eine Sechs ergibt, wäre das entscheidende Kriterium für die Wahl, ob bei einem der Würfel ein Ungleichgewicht im Material vorliegt, das die Wahrscheinlichkeit für eine Sechs erhöht. Daraus folgt, dass in diesem Kontext kein Anlass für eine Ungleichbehandlung der beiden Würfel vorliegt. Besteht hingegen der Wunsch, einen Würfel zu wählen, den man besonders schön findet, kann die Farbe eine wichtige Rolle spielen, denn eine Ungleichheit der beiden Würfel in Bezug auf ihre Farben wäre in diesem Kontext ein Anlass für eine Ungleichbehandlung.

Abb. 3: Roter und grüner Würfel


Ist die Farbe des Würfels für die Ergebnisse des Würfelns relevant?

Als ein zweites Beispiel kann das nachstehende Szenario dienen: Eine junge Frau hat gerade ihre neue Wohnung bezogen und mit der Hilfe einer Freundin frisch möbliert. Einen Tag nach dieser Großaktion merkt sie, dass sie doch lieber eine Sitzecke haben möchte, statt die Couchmöbel recht mittig stehen zu haben. Während sie den Couchsessel schon einmal selbst zur Seite stellt, rührt sie die Couch nicht an und ruft noch einmal ihre Freundin an, um sich Hilfe zu holen.

Abb. 4: Couch und Couchsessel


Gibt es einen relevanten Unterschied zwischen der Couch und dem Sessel, der dazu führen kann, dass nur der Sessel problemlos alleine umgestellt werden kann?

In diesem Fall ist augenscheinlich ersichtlich, warum die Frau den Sessel und die Couch unterschiedlich behandelt, obwohl es sich bei beiden um Sitzgelegenheiten handelt. Während der Sessel sowohl von der Größe als auch vom Gewicht her gut alleine getragen und umgestellt werden kann, ist die Couch für eine einzelne Person zu schwer und zu unhandlich, um sie einfach anzuheben und an eine andere Stelle zu stellen. Im Vergleich zu dem Würfel-Szenario liegt also hier ein sinnvoller Grund für eine Ungleichbehandlung in Bezug auf das angesprochene Kriterium vor.

So trivial diese Beispiele auch erscheinen mögen: Sie können helfen zu verstehen, worauf es in der Ethik ankommt, wenn es zu klären gilt, ob eine Gleich- oder Ungleichbehandlung angemessen ist. Wenn entschieden werden muss, welchen Menschen es ermöglicht werden soll, einen Führerschein zu erwerben, sind das Geschlecht oder die Hautfarbe einer Person unerheblich, da diese Eigenschaften für die Frage irrelevant sind, ob ausreichende Fähigkeiten dafür vorliegen, ein Fahrzeug sicher führen zu können. Die Begriffe Sexismus und Rassismus zielen genau auf solche nicht begründbaren Ungleichbehandlungen ab, und vegan lebende Menschen möchten mit dem Begriff Speziesismus darauf hinweisen, dass derartige Ungleichbehandlungen nicht nur zwischen Geschlechtern oder Ethnien bzw. »Rassen«, sondern auch zwischen ganzen Spezies stattfinden. Wenn Gleiches gleich zu behandeln ist, dann kann das Ziel, jemandem nicht ohne vernünftigen Grund Leid zuzufügen, nicht auf Menschen alleine beschränkt werden, da die Fähigkeit zu leiden nicht an der Artengrenze Halt macht. Wer diese Form der Berücksichtigung auf Menschen beschränken will, müsste im Sinne der Willkürvermeidung aufzeigen können, welche in dieser Hinsicht relevante Eigenschaft alle Menschen von anderen Tieren bezüglich des Zufügens von Leid trennt.

Die bloße Spezieszugehörigkeit kann für sich kein ausreichendes Kriterium sein, um eine klare Mensch-Tier-Grenze zu ziehen. Man stelle sich folgende Situation vor: Aufgrund einer technischen Panne hat sich der Feierabend eines Büroangestellten bis tief in die Nacht verzögert, sodass der Weg nach Hause anders als sonst durch menschenleere Straßen und einen um diese Zeit verlassenen Park führt. Im Zentrum des Parks lauert eine vermummte Person mit einer Waffe, die nun ihre Chance nutzen möchte, sich unter Androhung von Gewalt zu bereichern. Ausgerechnet an diesem Tag befindet sich in der Brieftasche des Angestellten jedoch nur noch das magere Wechselgeld des letzten Einkaufs. Ein Umstand, der die Situation völlig eskalieren lässt. Der Räuber brüllt: »Du hast jetzt 30 Sekunden, mir einen guten Grund dafür zu geben, warum ich dich jetzt nicht einfach erschießen sollte!« – Was würde der Büroangestellte wohl sagen? Welche Gründe würde man selbst in einer solchen Situation anführen?

Die Antwortmöglichkeiten sind natürlich vielfältig, jedoch wird man kaum erwidern: »Weil ich ein Mensch bin.« Würde man dies dem Räuber antworten, würde er es nicht für eine angemessene Begründung halten. Menschen wollen nicht bloß deshalb fair behandelt oder verschont werden, weil sie Menschen sind. Das Mensch-Sein ist jedoch mit Eigenschaften verbunden, die ihnen etwas bedeuten: Menschen haben Interessen, deren Durchkreuzung als unangenehm empfunden wird, sie haben Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen, sie können leiden, weswegen sie ein Interesse daran haben, Leid zu vermeiden – kurz: Menschen liegt aufgrund dieser Eigenschaften etwas an einem fairen und schonenden Umgang. Diese Interessen sind ebenso bei anderen Tieren vorhanden, auch wenn der Umfang oder die Ausprägung nicht immer identisch ist.

Obgleich Menschen soziale Wesen und im Normalfall auf irgendeine Weise auf andere Menschen angewiesen sind, lässt sich in vielen Situationen das Vorhandensein des Hangs, selbst dann den eigenen Vorteil zu suchen, wenn er nicht nötig wäre, kaum bestreiten. Philosophen haben daher im Verlauf der Geschichte immer wieder versucht, Gedankenexperimente zu formulieren und Vergleiche anzustellen, die dazu dienen könnten, diesen Hang zum Wohle aller zu überwinden. Einige dieser Versuche haben eine explizit »tierethische Stoßrichtung«, andere lassen sich durch geringfügige Abwandlungen hinsichtlich der Tierethik verständlich machen. Sie sind im Folgenden in einer knappen Auswahl als Mittel des Willkürausschlusses und im Dienste der Gerechtigkeit skizziert.

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