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Farben- und Malrezepte
ОглавлениеDer erwähnte Mappae-Clavicula-Traktat mit seinen 294 Vorschriften zur Metallkunde, Alchemie und Kunsttechnik zählt im ersten Abschnitt De diversis coloribus die für Malerei in pergameno (für Buchmalerei auf Pergament) üblichen deckenden und durchscheinenden Farben auf. Es folgen zwei Abschnitte, die die Kombination meist dreier Farbschichten – eines flächigen Substrats und zweier modellierender Lagen – beschreiben.
Theophilus Presbyter
Vieles, was dieser Traktat thematisiert, findet sich früher in der ebenfalls bereits erwähnten Handschrift in Lucca mit dem Titel Compositiones ad tin-genda musiva. Neben dem nach einem ansonsten unbekannten Autor benannten Heraklius-Traktat (erhalten in einer Fassung des 13. Jahrhunderts, aber ins 11. Jahrhundert zurückreichend) ist es insbesondere die um 1100 von Theophilus Presbyter (wahrscheinlich identisch mit dem niedersächsischen Bronzekünstler Roger von Helmarshausen) niedergeschriebene Abhandlung De diversis artibus (Schedula diversarum artium), die sich als ausnehmend wertvolle Quelle für die unterschiedlichsten Kunstbereiche und somit eben auch für die Buchmalerei erweist.
Musterbuch des Stephan Schriber
Völlig anders angelegt als diese frühen Abhandlungen sind die Musterbücher des ausgehenden Mittelalters, etwa das mittelrheinische (vielleicht in Mainz entstandene) Exemplar in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (8o Cod. Ms. Uff. 51 Clm) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, oder, vom Ende desselben Jahrhunderts, das Musterbuch des Stephan Schriber in München (Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 420). Beide bedienen sich nicht mehr des Lateinischen, sondern der deutschen Sprache, richten sich also an die Werkstattpraxis weltlicher Künstler und enthalten Muster zum Nachmalen, etwa von Ranken oder strukturierten Hintergründen, welche in verschiedenen Arbeitsstadien präsentiert werden.
Die prächtige Gesamterscheinung eines mittelalterlichen Buches, in dem Schrift und Bild, das Braun oder Schwarz der Tinte mit dem Rot der Rubriken, dem funkelnden Kolorit der Initialen und Miniaturen und endlich mit dem Glanz des Goldes und – seltener – des Silbers symphonisch zusammenstimmen, beruht also auf einer ausgefeilten Technik, ja mehr noch, auf einem technologischen Wissen. Dieses gehörte keineswegs zu einem alltäglichen Rüstzeug, sondern streifte vielmehr oft die Grenzen der Geheim-, der Arkanwissenschaften wie der Alchemie oder spezieller Zweige der Medizin. Der Arzt Matthäus Platearius beispielsweise hatte im 12. Jahrhundert in Salerno ein bahnbrechendes Werk über Botanik (Circa instans) geschrieben. Hier und in einer Reihe anderer seiner Schriften führt er zu Heilzwecken benötigte Pflanzen, aber auch Mineralien auf, die teilweise ebenso im Laboratorium der Farbenherstellung und -Zubereitung begegnen. Bis ins Hochmittelalter geht also die technische Überlieferung der Farbstoffe mit dem Magischen und Naturkundlichen konform. Um 1500, als eine schön illustrierte französische Platearius-Ausgabe ediert wurde (St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek, Fr. F. v. VI, 1), war ein solcher Konnex freilich überholt. Bereits seit Längerem beschritten spätmittelalterliche Malerbücher sowie chemisches, botanisches und medizinisches Schrifttum getrennte Wege.