Читать книгу Buchmalerei verstehen - Norbert Wolf - Страница 9
Definition
ОглавлениеKunstwissenschaftlich formuliert, versteht man unter Buchmalerei eine eigenständige Bildgattung. Ihre Besonderheit entspringt im Unterschied zu den sonstigen bildnerischen Bereichen aus der Notwendigkeit, mit dem Text, dem Satzspiegel, der Buchstabengestaltung, gegebenenfalls auch mit der Ornamentik jeder Buchseite zu kooperieren und am Gesamtlayout mitzuwirken.
Die Gattung operiert mit Deckfarben-Malereien oder Federzeichnungen – seien es partiell kolorierte (lavierte), seien es monochrome – in gebundenen Handschriften (Manuskripten). Mit wenigen Ausnahmen konzentriert sich die Gattung also auf Bücher, die vom Einband über die Schrift bis zur Bebilderung manuelle Unikate und nicht „technisch reproduziert“, also nicht gedruckt sind. Nicht zu vergessen ist auch jene Buchmalerei, der man auf spätantiken und vereinzelt noch auf mittelalterlichen Buchrollen (Rotuli) begegnet. Buchmalerei ist der integrale Bestandteil eines ästhetisch gestalteten und inhaltlich wie formal durchkomponierten Gesamtorganismus. Zu dieser Einheit zählen auch Buchkästen, Buchdeckel mit Elfenbeinschnitzereien beziehungsweise Treibarbeiten und kostbarem Steinbesatz sowie unterschiedlich dekorierte Ledereinbände. Diese Buch-„hüllen“ sind für eine Analyse der Miniaturen wissenschaftlich freilich nur dann heranzuziehen, wenn ikonografische Querverbindungen existieren.
„minium“ – Miniatur
Synonym zum Terminus „Buchmalerei“ verwendet man den Begriff „Miniaturmalerei“. Ursprünglich leitet er sich vom Berufsnamen der Miniatoren ab, der seinerseits auf das lateinische Wort minium, die Bezeichnung für Zinnoberrot, rekurriert, einen Farbstoff, den man unter anderem für Federzeichnungen oder für Punktmotive, die die Konturen von Initialen säumen, verwendete. Schon gegen Ende des Mittelalters weitete sich allerdings der Sprachgebrauch – dann an den lateinischen Wortstamm min anknüpfend, der das Moment der Verkleinerung assoziiert – zur Bezeichnung kleinformatiger Bildkunst, eben der Miniaturmalerei in Handschriften aus: Sie umfasst schmückende Marginalien ebenso wie figurative Malereien, die einen Text begleiten, illustrieren, interpretieren. In wenigen Beispielen gewinnen die Bilder (Miniaturen) das Übergewicht über den Text, verdrängen ihn zwar nicht ganz, doch weitgehend, sodass man im Ergebnis von Bilderbüchern sprechen kann. Bemerkenswerterweise greift die moderne Wissenschaftssprache immer dann auf Dantes Schilderung zurück, wenn sie statt von Miniatoren und Miniaturen von Illuminatoren und vom Illuminieren spricht, um die Gesamtheit der figürlichen, dekorativen und ornamentalen Besilderung einer Handschrift zu benennen.
Das Layout eines Manuskripts und damit auch der Charakter der Bebilderung sind selbstverständlich maßgeblich beeinflusst durch die Funktion und den Adressatenkreis des jeweiligen Buches. Mit Bildern ausgestattete Handschriften sind ja in den Spätphasen der hier zur Diskussion stehenden Epochen der Buchmalerei zunehmend eine „Privatangelegenheit“, und deshalb auf die individuelle Lektüre und Rezeption eines einzelnen Lesers und Betrachters abgestimmt. Zuvor waren sie hingegen eher für die kollektive Rezeption konsipiert. Häufig finden sich auch Übergangsbereiche bezüglich der Rezeption. Anders formuliert: Die Bestimmung einer Handschrift für die private Lektüre und Betrachtung respektive für eine mehr oder weniger „öffentliche“ Wirkung ist häufig nicht eindeutig: So dienen liturgische Bücher des Mittelalters beispielsweise nicht nur einem einzelnen Kleriker (oder einer Klerikergruppe), sondern vielmehr auch als „Ausstattungselemente“ des Sakralraums oder als „Akteure“ bei Prozessionen der breitenwirksamen Repräsentation; spätmittelalterliche Andachtsbücher sind gleichermaßen Instrumentarien privater Frömmigkeit und Bedeutungsträger höfischen und aristokratischen Mäzenatentums; wissenschaftliche Bücher können einerseits in den Dienst individuellen Studierens, andererseits vor die Anforderungen überindividueller Bildungsinteressen gestellt sein. All das wirkt sich naturgemäß auf den Inhalt der Bücher aus, ebenso aber auch auf die Ansprüche an ihre Gestaltung: Groß- oder Kleinformat, Opulenz oder Dezenz der Buchhüllen, Reichhaltigkeit der Ausstattung samt der Bebilderung (die bei Gebrauchshandschriften oder gar „Billigausgaben“ völlig fehlen kann) et cetera.