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Pergament
ОглавлениеZur Herstellung von Pergament wurden Tierhäute in einer Lösung aus Kalkwasser von allen groben fleischlichen Rückständen befreit. In große Rahmen gespannt, erfolgte anschließend ihre Feinbearbeitung durch Glätten und Abreiben mit Bimsstein.
Die Pergamentherstellung ist alt. Seine lateinische Bezeichnung charta perga-mena erhielt der Beschreibstoff nach der wichtigsten Produktionsstätte der Antike, dem kleinasiatischen Pergamon. Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere berichtet in seiner 77 n. Chr. beendeten Naturalis historia von der berühmten pergamenischen Bibliothek, die im Ruf stand, nach Alexandria die zweitgrößte zu sein. Und er überliefert, dass die Ptolemäer die Ausfuhr des ägyptischen Papyrus verboten, um mit diesem Embargo den Vorrang der heimischen Bibliothek zu sichern. Daraufhin habe man in Pergamon unter König Eumenes II., also in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, die Pergamentbereitung perfektioniert. Ihre Erzeugnisse besaßen einen unschätzbaren Vorteil: Pergament war zwar keineswegs billiger, aber wesentlich haltbarer als Papyrus, war geschmeidiger und weniger brüchig. Während die Lebensdauer einer Papyrusrolle im Durchschnitt nur ein oder zwei Jahrhunderte umfasste, kannte Pergament in der Regel kein vergleichbares materialbedingtes Handicap.
Im Mittelalter war die Pergamenterei oft ein klösterlicher Betrieb und unterstand den sogenannten fratres pergamentarii. Es existierten jedoch auch gewerbsmäßige Unternehmen, deren Produkte von Händlern vertrieben wurden. Fast immer war die Pergamenterei in abgelegenen Gegenden angesiedelt, verbreitete sie doch einen fürchterlichen Gestank.
Pergamentherstellung
In einer Ambrosius-Handschrift des 12. Jahrhunderts aus dem Kloster Michelsberg in Bamberg (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Patr. 5) schildert die Federzeichnung fol. lv einzelne Etappen der Buchherstellung. Der als Perga-mentierer tätige Mönch bearbeitet gerade eine aufgespannte Tierhaut mit dem Schabeisen. Ihm gegenüber schneidet ein Mitbruder die Pergamentblätter zurecht. Im 13. Jahrhundert beschrieb Conrad von Mura die Pergamentproduktion und schloss mit der Parabel, der gläubige Christ solle seine Existenz von allen fleischlichen Gelüsten befreien, so wie der Pergamenthersteller die Tierhaut vom Fleisch abzieht und von dessen Resten reinigt.
Muras ansonsten sachgemäße Schilderung konzentriert sich auf die Haut, die man Kälbern abzog. Doch man verarbeitete auch Felle ausgewachsener Rinder sowie vornehmlich in Südeuropa, in Spanien, Italien, Südfrankreich, Schaf- und Ziegenhäute. Da Letztere kleiner waren als Rinderhäute, bedurfte man etwa, wie sich errechnen ließ, für den Codex Amiatinus (vollendet vor 716; Florenz, Biblioteca Medicea-Laurenziana, Ms Amiatinus I) über fünfhundert Schafhäute! Ein Sonderfall war vor allem in Frankreich anzutreffen. Obwohl man dort für die vom 13. bis zum 15. Jahrhundert beliebten kleinformatigen Andachtsbücher fast durchweg hochwertiges Pergament benutzte, reservierte man doch die dünnsten und geschmeidigsten Häute in der Regel für Kleinstbibeln, in denen der Schreiber einen gewaltigen Text unterzubringen hatte. Diesen sehr feinen, fast durchsichtigen Beschreibstoff hat die Fachliteratur gerne als „Gebärmutter-Pergament“ tituliert, in der Annahme, er stamme von früh- oder totgeborenen Kälbern. Doch ist kaum vorstellbar, dass eine ausreichende Menge von Häuten von früh- oder totgeborenen Tieren den Werkstätten das ganze Jahr über zur Verfügung stand. Wahrscheinlich hat man für die meisten dieser ungewöhnlich dünnen Pergamente extrem junge Tiere geschlachtet, die noch keinen Monat alt waren, aber eben nicht dem Mutterleib entnommen. Ein berühmtes Beispiel für dieses feine Material ist das 1325–1328 entstandene, nur 9,4 × 6,4 Zentimeter messende Stundenbuch der Jeanne d’Evreux (die Miniaturen stammen nach fast einhelligem Forschungsurteil von Jean Pucelle; New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters, Acc. 54 [1.2]) (vgl. Abb. 25).
Der große Bedarf an Tierhäuten trug selbstverständlich zu den immensen Kosten solcher Bücher bei. Für das Book of Kells (vgl. Abb. 1) war in den Jahren kurz vor 800 eine Herde von mehr als 150 Kälbern zu schlachten, für eine monumentale Vollbibel, gleich welcher Epoche, mussten circa 500 Tiere ihr Leben lassen.
Beim fertigen Pergament unterscheidet man zwischen der leicht gelblichen und porösen Haar- und der weißen bis weißlichgrauen Fleischseite. Die Rezepturen für das letzte „finish“ des Materials wurden als Geheimnis gehütet. Um beim Beschreiben das Auslaufen der Tinten zu verhindern, überzog man jedenfalls die Haut mit einem feinen Kreidegrund. Man zerschnitt sie dann in große Bögen, die zu Heften (Lagen) gefalzt und zwischen Holzdeckeln zum Buch gebunden wurden.
Purpurpergament
Der mit Abstand kostbarste Schreib- und Malgrund spätantiker, byzantinischer, karolingischer und frühmittelalterlicher Handschriften war vollständig oder teilweise mit Purpur eingefärbtes Pergament. Außerordentlich selten blieb das schwarz gefärbte Pergament, über das lediglich fünf (zwei davon nur fragmentiert erhaltene) Prunkcodices (Gebet-, Stundenbücher) verfügen: Sie sind alle in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den südlichen Niederlanden hergestellt.
Das Drüsensekret der vor allem im Mittelmeerraum, aber auch an den Küsten der Britischen Inseln vorkommenden Purpurschnecke ist zunächst wasserklar und verändert sich dann unter Lichteinwirkung von Hellgelb über Grün und Braun zu herrlichem Rotviolett, Blauviolett oder Schwarzviolett. An etwas weniger wichtigen Stellen einschlägiger Manuskripte wurden nur einzelne Pergamentpartien mit Purpur ausgemalt (zumal sich Purpur besser zum Färben als zum großflächigen Malen eignet). Diese Felder rahmte man, wie etwa beim Gebetbuch Ottos III. aus dem späten 10. Jahrhundert (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30.111), gerne mit Goldleisten.
Obwohl die Christen den Purpur zunächst als heidnischen Luxus und als paganes Teufelszeug abgelehnt hatten, konnten sie sich seiner Schönheit auf Dauer nicht verschließen. Er wurde als Zeichen numinoser Macht gewertet, galt gemeinsam mit Gold als Farbe der göttlichen Majestät, als visuelles Äquivalent himmlischer Größe und Gerechtigkeit. Keine angemessenere Verwendung schien frühen christlichen Auftraggebern und Künstlern denkbar als eben die, ihm Gottes Wort anzuvertrauen: Es entstanden sakrale Texte, mit Goldtinte auf purpurgefärbtes Pergament geschrieben. Berühmte Beispiele sind unter anderem der aus dem 6. Jahrhundert stammende Codex Rossanensis (Rossano in Kalabrien, Erzbischöfliche Bibliothek), die ebenfalls ins 6. Jahrhundert datierte Wiener Genesis (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. theol. gr. 31), das nach seinem Schreiber benannte frühkarolingische Godescalc-Evangelistar in Paris und das kurz vor 800 fertig gestellte karolingische Krönungsevangeliar, heute in der Wiener Schatzkammer.
Seit dem 12. Jahrhundert gab man die Purpurfärbung des Pergaments so gut wie ganz auf. Lediglich im 15./16. Jahrhundert griffen Werkstätten in Brügge ausnahmsweise wieder auf das Purpurpergament zurück. Gelegentlich fand dieser Usus auch in Italien Nachahmung (etwa im Missale des Florentiner Bap-tisteriums, um 1494–1510 illuminiert, Biblioteca Apostolica Vaticana, Barb. lat. 610: Gold und Deckfarben auf stellenweise purpurgetränktem Pergament).
schwarzes Pergament
Noch seltener waren, wie erwähnt, die schwarz eingefärbten Pergamenthandschriften. Die Herstellungskosten schwarzer Handschriften, die zumeist mit Gold- und Silbertinten beschrieben wurden, lagen weit über denen der sonstigen Prunkcodices. Die Kombination des Schwarz mit den edlen Metallen der Schrift und den Illuminationen ruft den Eindruck exquisiter Kostbarkeit hervor, der sich schwerlich mit der von der älteren Forschung postulierten Symbolisierung von Buße und Tod in Einklang bringen lässt. Stattdessen verweist der Akkord von Schwarz, Gold und Silber auf eine speziell am burgundischen Hof entwickelte, auch in der höfischen Mode und von anderweitigen Luxusgütern angestrebte exklusive Ästhetik. Es ist bezeichnend, dass nach dem Fall des Burgunderreiches 1477 keine schwarzen Handschriften mehr nachweisbar sind.
Sforza-Gebetbuch
Die schwarze Einfärbung, zu der sich seltsamerweise kein einziger technologischer Traktat des Spätmittelalters äußert, wurde auf chemischem Wege erzeugt, indem das Pergament in ein Bad aus Kupfer-Eisen-Lösung getaucht und anschließend aufgeweicht wurde. Diese Lösung greift das Pergament jedoch im Laufe der Jahrhunderte derart an, dass es bei leisester Berührung splittert oder bricht. Deshalb mussten zwei der drei komplett erhaltenen Exemplare aus konservatorischen Gründen auseinandergenommen und Blatt für Blatt zwischen Acrylplatten montiert werden – so auch das zwischen 1466 und 1476 in Brügge vollendete Schwarze Gebetbuch des Galeazzo Maria Sforza (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1856): Reich von Gold durchsetzt, erstrahlen hier 14 ganzseitige Miniaturen auf den schwarz tingierten Seiten, zusätzlich 136 vierseitige Bordüren, die in brillantem Blau grundiert und durchgehend mit goldenen Ornamenten gemustert sind. 14 große und zahlreiche kleine Initialen, alle in glänzendem Blattgold ausgeführt und von leuchtendem Smaragdgrün hinterlegt, komplettieren den Ausstattungsluxus dieser Handschrift.