Читать книгу Handbuch Messer: 101 Dinge, die Sie schon immer über Messer wissen wollten. - Oliver Lang - Страница 10

5 Kulturübergreifend Messerzentren der Welt

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Deutsche Scharfsinnigkeit Neben Solingen verblassen die anderen Messerorte Deutschlands – zumindest fast alle. Denn die weltweit wohl legendärsten Messer zur Obstbaumveredelung stammen aus Reutlingen von der Tina Messerfabrik, deren Ursprünge sich bis 1845 zurückverfolgen lassen – ja, die Baden-Württemberger können es halt auch.

Französische Lebensart Frankreich hat eine immense regionale Messervielfalt, und natürlich gibt es auch in Nontron, in Nogent, auf Korsika und in anderen Städten exzellente Schmieden. Doch die meisten Messer Frankreichs stammen aus der im Zentralmassiv gelegenen Stadt Thiers. Die Stadt klebt förmlich an einem steilen Berghang. Das starke Gefälle, mit dem das Flüsschen Durolle hier herunterrauscht und in die Dore mündet, wurde zum Antreiben der Schleifsteine, Fallhämmer und später auch der Generatoren genutzt. Vom Dore-Hafen aus konnten die Schneidwaren in die übrigen Landesteile verschifft werden.

Die Messerausstellung Coutellia (www.coutellia.fr) zieht jedes Jahr hunderte Messerschmiede aus Frankreich und der Welt an. Ein ganzes Wochenende lang spiegeln die kunstvollen Messer die Kultur ihrer Herkunftsländer wider und werden in der Ausstellung auch zum Kauf angeboten. Die Atmosphäre hier ist ganz besonders lebhaft.

Englische Ingenieurskunst Das zentral in England gelegene Sheffield war lange Zeit die größte Konkurrenz für Solingen. Bereits 1297 wurden hier Messer geschmiedet. Im »Zeitalter der Wasserkraft« war Sheffield mit seinen zahlreichen Flüssen und dem Vorkommen von Kohle und Sandstein, der zur Herstellung hochwertiger Schleifsteine geeignet war, geradezu privilegiert. Auch Feilenschmiede, Nägel-, Knopf- und Scherenmacher siedelten sich hier an. Die ganze Stadt war damals einer riesigen Fabrik ähnlich, deren einzelne Abteilungen die Stadtbezirke waren. Als es den Engländern um 1740 gelang, den für damalige Zeiten unübertroffenen Gussstahl zu produzieren, wurde Sheffield zur Welthauptstadt des Stahls.

Amerika war der wichtigste Markt für die Sheffielder Messerhersteller. Sogar für den Handel mit den amerikanischen Ureinwohnern wurden spezielle Messer gefertigt. In Aufzeichnungen aus den 1830ern werden »Skalpier-Messer« aus Sheffield genannt. Auch das uramerikanische Barlow-Taschenmesser, das durch Mark Twains Roman »Huckleberry Finn« zu Ruhm gelangte, ist ursprünglich ein Sheffielder Messertyp.


Italienische Eleganz: Das von Fantoni gefertigte Dweller ist ein Slipjoint, das mit Understatement und Funktionalität punktet.

Heute ist von dieser Pracht und Macht kaum mehr etwas erkennbar. Dank des Know-hows eingewanderter Messerprofis aus Solingen und Sheffield fertigten die Amerikaner bald ihre eigenen Messer. Und in den Weltkriegen wurde Sheffield als Zentrum der britischen Waffenindustrie fast völlig zerstört und hat sich davon nicht mehr erholt. Heute gibt es nur noch wenige Hersteller.

Italienischer Stil In der Kleinstadt Maniago im Nordosten Italiens wurden schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts Messer in größerem Maßstab gefertigt. Heute ist Maniago einer der Produktionsstandorte mit der weltweit höchsten Fertigungsqualität. Scarperia befindet sich 300 Kilometer weiter südlich bei Florenz. Das Messerhandwerk lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Von den teilweise stark handwerklich ausgerichteten Unternehmen wie Coltellerie Berti (seit 1895), der Coltellerie Consigli und der Coltelleria Saladini werden zahlreiche historische Taschenmessertypen Italiens gefertigt sowie eine kleine Auswahl an schönen Kochmessern.

Spanischer Esprit Im »Handbook for Travellers in Spain« des englischen Autors Richard Ford aus dem Jahr 1855 wird eindrucksvoll geschildert, wie die spanischen Klappmesser zur Lebenskultur Albacetes und ganz Spaniens gehören. Sie seien dazu da, das »Brot zu teilen und Männer zu töten«. Sie sind »wie die Zunge einer Frau geformt – lang, scharf und spitz«, so Ford. Die Messerherstellung im zentral gelegenen Albacete ist seit dem 16. Jahrhundert gut dokumentiert und kann heute in ihrer ganzen Vielfalt im Museo de la Cuchillería de Albacete bestaunt werden. In Santa Cruz de Mudela werden Messer seit Jahrhunderten – und auch heute noch – mit besonders hohem Handarbeitsanteil hergestellt. Die Kanaren haben mit dem feststehenden Naife einen ganz eigenen Messertyp und in Asturien wird mit dem Taramundi ein ebenso charakteristisches Klappmesser gefertigt. Beim Familienbetrieb Pallarès Solsona in Katalonien werden ebenfalls einfache, aber tolle Arbeits- und Kochmesser gefertigt. Das mittelalterliche Toledo in Zentralspanien ist Unesco-Weltkulturerbe und seit dem Mittelalter berühmt für seine Schwertschmiede. Der Toledo-Stahl ist bekannt dafür, extreme Federkraft zu besitzen.


Moderner Klassiker: Das in den USA gefertigte Benchmade Griptilian, hier ganz »State of the Art« mit »CPM 20CV«-Klinge, ist eine Empfehlung.

The Easy Way Die Ostküste war für Immigranten aus Europa – darunter auch Messerspezialisten aus Sheffield und Solingen – die erste Anlaufstation bei der Besiedelung der USA. Die Tidioute Cutlery Company aus der später unter anderem Ka-Bar hervorging, wurde 1898 in New England gegründet. George Schrade, der Gründer des legendären Messerherstellers Imperial Schrade, war ein Ingenieur aus Sheffield und fertigte in New York seine ersten Messer. Auch die Geschichte von W. R. Case & Sons Cutlery Co. begann im Bundesstaat New York. Erst später siedelte man in den benachbarten Bundesstaat Pennsylvania um. Dieser Bundesstaat im Nordosten der USA ist auch heute noch Sitz traditioneller Messerhersteller wie der Great Eastern Cutlery. In Oregon, auf der anderen Seite des Kontinents am Pazifik, sitzen mit Leatherman, Columbia River Knives and Tools, Gerber, Benchmade und Kershaw gleich fünf aktuelle Größen der US-amerikanischen Messerherstellung. Direkt nebenan im Bundesstaat Idaho wird das legendäre Buck Knives 110 gefertigt, zwei Ecken weiter in Golden, Colorado, sitzt mit Spyderco einer der innovativsten Messerhersteller des Kontinents.


Archaisch: eine japanische Kiridashi-Klinge im gefalzten Messinggriff mit nachträglich angebrachter Paracord-Wicklung

Asiatische Vielfalt Zu den wichtigsten Messerlandschaften Japans gehören Sakai, Takefu, Kyoto und Seki. Sakai liegt in der Nähe von Osaka, dem traditionellen Handelszentrum Japans. In Sakai wurden schon ab dem 14. Jahrhundert Schwerter hergestellt.

Die Fertigung von Messern – zunächst vor allem für die Tabakverarbeitung, denn die Portugiesen hatten den Tabak nach Japan eingeführt – begann im 16. Jahrhundert. Heute ist Sakai wichtigster Standort für die klassischen Kochmesser Japans, die Wabocho. Das ist auch auf die Nähe zu Osaka und Kyoto zurückzuführen. Beides sind traditionelle Zentren der japanischen Esskultur. Takefu gilt wie Sakai als überwiegend handwerklich orientierter Standort und hat ebenfalls eine lange Tradition der Messerfertigung.

Von China nach Japan

Nicht nur die Schwerter der japanischen Clans kamen ursprünglich aus China oder waren nach chinesischem Vorbild gefertigt, auch die ersten Kochmesser zeugen vom chinesischen Einfluss. Aus diesen »abgekupferten« Anfängen hat sich allerdings etwas Besonderes entwickelt: Die japanischen Klingenwaffen der Samurai-Krieger sind längst legendär – wie die Kochmesser auch.


Moderner Fertigungsstandort: Die technischen Möglichkeiten Chinas werden inzwischen auch von anspruchsvollen internationalen Messerherstellern genutzt. Hier der technisch perfekte Slipjoint »Paragon« von Amare Knives aus Deutschland.

Kyoto, die alte Kaiserstadt Japans, spielt heute keine große Rolle mehr, war historisch jedoch ein wichtiger Schmiedestandort für die Kohlenstoffstahlmesser Japans. Seki ist weltweit vielleicht der bekannteste Name, wenn es um Klingen aus Japan geht. Im Land selbst gilt Seki als hochmechanisierter Industriemesser-Standort, wo Haushaltsmesser, aber auch hochwertige Messer für den Export gefertigt werden.

China ist inzwischen einer der maßgeblichen Player in der Produktion von Messern. Einer der bekanntesten Messerhersteller Japans ist kai. Zum 1908 in Seki gegründeten Unternehmen gehören auch die renommierten Messerhersteller Kershaw und Zero Tolerance. Noch ein Jahr länger besteht der Messerhersteller Moki, der für seine eleganten und perfekt verarbeiteten Serienmesser bekannt ist. Auch renommierte internationale Messerhersteller aus Europa oder den USA lassen eigene Designs in China fertigen oder ordern bestehende Designs wie Böker, PumaTec, Spyderco oder Ka-Bar. Die Fertigung ist dort auf zahlreiche Standorte verteilt und findet überwiegend industriell statt. Seit einigen Jahren produzieren immer mehr chinesische Messerhersteller, die zuvor ausschließlich im Auftrag ausländischer Messerhersteller fertigten, unter eigenem Namen. Die Botschaft lautet: »Wir können nicht nur billig, sondern auch extrem hochwertig. Wir fertigen nicht nur im Auftrag bekannter Marken, sondern kommen ganz selbstverständlich auch mit unseren eigenen Produkten auf den Markt.« Dazu gehören Firmen wie Realsteel Knives, Kizer, Bestech, Tuya oder WE Knife, die auf höchstem technischen Niveau produzieren. Wer auf technisch anspruchsvolle Messer steht, darf China mittlerweile nicht mehr außer acht lassen.

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