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Die territoriale Einheit des christlichen Königtums in Ungarn wurde erst in einer Serie von blutigen Auseinandersetzungen erzwungen. Nach dem Tode des Großfürsten Géza beanspruchten zwei Mitglieder der Arpadendynastie die Nachfolge: Koppány, der Fürst von Somogy, der im Gebiet südlich des Plattensees herrschte, pochte auf die Tradition des aus dem Geblütsrecht folgenden Senioritätsprinzips, das dem ältesten Mitglied der Sippe die Erbfolge zusprach. Gegenspieler dieses heidnischen Stammeshäuptlings war der noch sehr junge Sohn Gézas, Wajk, der damals aber bereits den christlichen Namen Stephan (István) trug. Sein Geburtsjahr wird mit 967, 969 oder 975 unterschiedlich angegeben. Auch wissen wir nicht genau, wann er getauft wurde. Sicher ist jedoch, dass Stephan seine Ansprüche auf die unentwirrbare Verflechtung zwischen Christentum und Staat gründete und sich auf das Prinzip der Primogenitur berief, auf das Recht des Großfürsten beziehungsweise späteren Königs, seinen Erben nach dem Prinzip der Erstgeburt selbst zu bestimmen.

Obwohl Großfürst Géza auch nach seiner Taufe im Jahr 973 im Grunde Heide geblieben war, hatte er dafür gesorgt, dass sein Sohn Stephan eine christliche Erziehung erhielt. Knapp vor seinem Tod warb der schwer kranke Großfürst noch für seinen Sohn um die Tochter des bayerischen Herzogs. Mit Erfolg: Die Verehelichung Stephans mit Gisela, der Schwester des jungen Bayernherzogs und späteren Kaisers Heinrich II., fand 996 statt. Als Géza 997 starb, war Stephan – vor allem unter dem Einfluss Bischof Adalberts von Prag – ein zutiefst frommer Herrscher und, im Gegensatz zu seinem Vater, Christ nicht aus Taktik, sondern aus Überzeugung.

Mit der bayerischen Herzogstochter Gisela kamen zahlreiche deutsche Missionare und Priester, aber auch adlige Ritter und Beamte nach Ungarn. Schon Géza hatte sich in der Ausübung seiner Herrschaft zum Teil auf eine aus bayerischen Rittern bestehende Leibgarde gestützt. Nun war dies im zunehmenden Maße der Fall.

Jenő Szűcs hat darauf hingewiesen, dass dem Wort und dem Kreuz das Schwert den Weg geebnet hatte. Vieles war aber davon abhängig, wer das Schwert schwang und welches Konzept er vertrat. Zum entscheidenden Kampf um die Zukunft des Landes kam es 998 in der Nähe der malerischen Stadt Veszprém in Westungarn. In erster Linie waren es deutsche Ritter, die – neben Stephans »Hausmacht« aus seinem eigenen Stamm – den Ausschlag gaben und den Stammeshäuptling Koppány entscheidend schlugen. Legenden und Chroniken berichten über eine zutiefst symbolische Szene: Vor der Schlacht habe der junge Stephan seine Gefolgsleute und die deutschen Ritter zusammengerufen. In ihrer Mitte kniete er nieder, um den Patron von Pannonien, Sankt Martin, um den Sieg anzuflehen. Dann ließ er sich von den Rittern nach deutscher Sitte das von der Kirche gesegnete Schwert umgürten, das er im Interesse der weiteren Christianisierung führen sollte (und wollte).18

Als Befehlshaber des Heeres standen Stephan zwei Ritter aus Schwaben und der berühmte Wezellin aus Wasserburg in Bayern zur Seite. Der Feind war eindeutig definiert: als heidnisch-barbarischer Stammeshäuptling des Traditionalismus. Fürst Koppány, Stephans Blutsverwandter, der Gézas Witwe Sarolta heiraten wollte, um nach Nomadenart seinen Anspruch auf die Nachfolge zu legitimieren, verlor gegen die gepanzerten Ritter Stephans die Schlacht und sein Leben.

Für Stephan ging es in Wirklichkeit darum, die Macht der Stammeshäuptlinge und der in den Beutezügen reich gewordenen, heidnischen Gefolgsleute zu brechen und die Autorität der Nachfolger Árpáds über alle Stämme wiederherzustellen. Wenn auch der Kampf bei Veszprém in der nationalen Tradition als »Schlacht zwischen Teutonen und Ungarn« verewigt wurde, so war der mit unbarmherziger Schonungslosigkeit erfochtene Sieg gegen Koppány und seine Anhänger der Ausgangspunkt, um aus einem lockeren halb nomadischen Personenverband einen fest gefügten christlichen Staat der Ungarn zu schaffen.

Die Niederwerfung des Herausforderers war zugleich aber auch der Auftakt zu späteren Feldzügen Stephans gegen die großen, beinahe unabhängig agierenden Fürsten in Siebenbürgen (wie etwa seinen Onkel Gyula) und im Süden Fürst Ajtony, der sich mit den »Griechen« verbündet haben soll. Die militärische Vernichtung widerspenstiger Sippenhäupter erfolgte parallel zum Kampf gegen die sogenannten »schwarzen Ungarn«, die in den Jahren 1004 bis 1006 »mit Gewalt und Liebe«, wie es bei Bruno von Querfurt heißt, bekehrt wurden. »Schwarze Ungarn« nannte man die mit den ungarischen Stämmen verbündeten Szekler und Turkvölker wie die Kawaren und Petschenegen, deren Angehörige als Hilfssoldaten in Siebenbürgen und Südungarn lebten.

Das Bild Stephans in der ungarischen Geschichte ist widersprüchlich. War er gütig und »der Frömmste«, wie seine deutschen Hofchronisten ihn charakterisierten, oder eher unbarmherzig und grausam? Hat er Koppány, seinen Blutsverwandten, nicht nur getötet, sondern auch noch seinen Leichnam gevierteilt? Die schaurige Überlieferung, nach der Stephan drei Teile des Fürsten an die Tore der nahe gelegenen Bischofsstadt Veszprém, von Györ (Raab) und Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) habe nageln lassen, während der vierte als Warnung an seinen trotzigen Onkel Gyula nach Gyulafehérvár (Weißenburg in Siebenbürgen) geschickt worden sei, scheint die zweite Version, somit seine Unnachgiebigkeit und Härte, zu bestätigen. Zeitpunkt und Ablauf der einzelnen Gefechte sind ebenso umstritten wie so vieles andere in der Frühgeschichte des ungarischen Staates. Fest steht nur, dass Stephan auch als König und noch im hohen Alter schnell und rücksichtslos gegen wirkliche oder vermutete Widersacher vorging.

Stephan, der 1083 heiliggesprochen wurde (als erster von acht Heiligen aus dem Hause Árpád), gilt ausländischen wie ungarischen Historikern als eine der beliebtesten und glücklichsten, möglicherweise bedeutendsten Persönlichkeiten überhaupt, zumindest aber als der »erfolgreichste und gewissenhafteste Arbeiter an der Staatlichkeit Ungarns« (Gyula Szekfű). Man hat ihn wegen seines Eifers, mit dem er sein Volk zum Christentum bekehrte, sogar mit Karl dem Großen verglichen. Zweifellos war Stephan I. tiefreligiös und zugleich entschlossen, mit unbeugsamer Willenskraft sich und sein Volk von der barbarischen Vergangenheit und den heidnischen Traditionen zu befreien. Seine Krönung zum ungarischen König, höchstwahrscheinlich am ersten Tag des Jahres 1001 (manche Quellen sprechen vom Weihnachtstag des Jahres 1000), wurde zum Wendepunkt in der Geschichte Ungarns, wenngleich die genaue Vorgeschichte und die internationalen Zusammenhänge dieses Ereignisses umstritten bleiben. Die einzige von der ungarischen Geschichtsschreibung allgemein akzeptierte zeitgenössische Quelle ist der Bericht des deutschen Bischofs Thietmar von Merseburg, wonach Stephan, der Schwager des Bayernherzogs Heinrich, »durch die Gunst und auf Drängen« Kaiser Ottos III. von Papst Silvester II. die Krone und den Segen erhielt. Noch vor einigen Jahrzehnten tobten »staatsrechtliche« Debatten zwischen deutschen und ungarischen Wissenschaftlern, ob die Stephanskrone vom Papst oder vom Kaiser verliehen wurde. Inzwischen ist man sich einig: Stephan erhielt die Krone vom Papst, im Einvernehmen mit Otto III.

Im Gegensatz zu Böhmen, Mähren und Polen geriet also das ungarische Königreich in kein Lehnsverhältnis zum römisch-deutschen Kaisertum, sondern blieb faktisch unabhängig. Und in vollständiger Unabhängigkeit vollzog Stephan auch die Umstellung seines Landes und seiner Macht auf das christlich-monarchische Prinzip. Es war eine souveräne politische Handlung, deren Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Der britische Ungarnspezialist C. A. Macartney bemerkt dazu: »Die Bekehrung zum Christentum bewirkte, dass das ungarische Volk aus einer außerhalb des damals gültigen Rechtes stehenden Horde, gegen die ins Feld zu ziehen ein christlicher Fürst nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hatte, ein Mitglied der christlichen Völkerfamilie wurde, dessen König ein durch Gottes Gnade zu seinem Amt bestimmter Herrscher war, gegen dessen legitimes Recht die Mitfürsten nicht verstoßen durften, ohne sich einer Sünde schuldig zu machen.«19 Und er verweist darauf, dass der ungarische König zwar nicht mit dem Kaiser gleichrangig, doch ihm auch nicht untertan gewesen sei. Die apostolischen Symbole (die Nachbildung der heiligen Lanze und das apostolische Kreuz) zeigten an, dass die ungarische Kirche nur der Autorität Roms unterstand, und das war laut Macartney »eine ungeheure Stärkung der realen Unabhängigkeit des Landes«.

Auf diese Weise wurde ein kurz zuvor noch halb nomadisches heidnisches Volk unter Beibehaltung seiner politischen und ethnischen Existenz zu einem Bestandteil des christlichen Europas. Nicht nur die schonungslose Abrechnung mit den Anhängern des Heidentums, sondern auch die radikale Umgestaltung des Staates legen den Schluss nahe, dass es sich bei Stephans Staat eigentlich nicht um die Übernahme eines von seinem Vater vererbten Gemeinwesens, sondern um dessen Verneinung handelte (Gyula Kristó).20

Stephan wollte nie Lehnsmann, sondern souveräner Herrscher sein, und die Stephanskrone war seit seiner Krönung stets das Symbol der ungarischen Selbstständigkeit und Freiheit. Auf ihre wechselvolle Geschichte und staatsrechtlich-politische Bedeutung kommen wir später noch zurück. Es darf aber schon jetzt festgestellt werden, dass Stephan die seit Jahrhunderten verehrte und jetzt im Budapester Nationalmuseum ausgestellte Krone nie getragen haben kann, da der untere, der sogenannte »griechische« Teil erst 1074, also fast vier Jahrzehnte nach seinem Tod, angefertigt wurde, der »lateinische« obere Teil wahrscheinlich gar erst im 13. Jahrhundert. Ungarische Historiker verschwiegen beharrlich, dass Kaiser Heinrich III. nach Unruhen in Ungarn und nach seinem Sieg über die Aufständischen (1044 in der Nähe von Raab) die Krone erbeutet und nach Rom zurückgeschickt hatte.

Die Stephanskrone in ihrer heutigen Form ist ein Mythos. Doch warum wird sie dann noch immer so genannt? Auf diese Frage antworten die Autoren des Standardwerkes Tausend Jahre Stephanskrone, die Professoren Kálmán Benda und Erik Fügedi, mit bestechender Offenheit: »Dieser Glaube behauptete sich über die Jahrhunderte unzerstörbar. Dem Historiker bleibt da nichts anderes übrig, als einzugestehen: Wesentlich in diesem Fall ist nicht, ob die Krone als Gegenstand tatsächlich Stephans Krone war, sondern der unerschütterliche Glaube aller, sie sei es gewesen.«21

Im Gegensatz zur Frage der Herkunft der Krone bestehen keine Zweifel an der Tatsache und den Auswirkungen der von Stephan durchgeführten Reformen. Sie betrafen nicht nur die Verwaltung, sondern auch den Aufbau der kirchlichen Organisation im ganzen Land. Mit der Krönung wurde Stephan König von Gottes Gnaden und unumschränkter Herrscher. Somit konnte er alle dem mittelalterlichen Königtum zugestandenen Hoheitsrechte praktisch nach Gutdünken ausüben. Dazu zählten zum Beispiel die Außenpolitik und das Recht, jeden ihm genehmen Mann, selbst von niedrigster Herkunft, als Vertreter des königlichen Willens in ein öffentliches Amt zu berufen, Würdenträger nach Belieben ein- und abzusetzen sowie Gesetze zu erlassen. Ferner charakterisierten seine Autokratie ein unermesslicher königlicher Grundbesitz und die unbedingte Oberhoheit über die kirchliche Organisation.

Außenpolitisch gelang es dem König, den Aufbau der rechtsstaatlichen, christlichen Ordnung durch seine feste, aber maßvolle Haltung gegenüber den Nachbarn abzusichern. Nach erfolgreicher Abwehr der Bulgaren im Süden und der Polen im Norden konnte Stephan bis 1018 die ungarische Kontrolle über den gesamten Karpatenraum zurückgewinnen. Während seiner über 40-jährigen Herrschaft kam es zu einer einzigen ernsthaften bewaffneten Auseinandersetzung, als Kaiser Konrad II. 1030 mit starken Truppen in Ungarn einfiel. Ohne große Verluste und taktisch überlegen schlug Stephan den Angriff zurück und besetzte im Gegenzug sogar Wien.

Innenpolitisch blieb die Autorität der Krone nach den Siegen über die Stammeshäuptlinge unangetastet. Die starke Zentralisierung des frühen ungarischen Königtums verhinderte die Herausbildung von lehnsrechtlichen Verhältnissen. Stephan enteignete systematisch die Sippen, die den Großteil ihres Besitztums abgeben mussten – nur ein Drittel beließ er bei den sich unterwerfenden Sippenhäuptern. De facto bedeutete dies, dass er das Besitzrecht auf das gesamte von den Ungarn bewohnte Gebiet auszudehnen vermochte. Die Macht der Stammesverbände ging über an politisch-militärische und polizeilich-administrative Einheiten. Der König setzte rund 40 Burgkomitate ein, denen von ihm ernannte »Gespane« (Burggrafen, von ungar. ispán, aus dem Slaw. župan entlehnt) vorstanden.

Das königliche Komitat, also die territoriale Organisation mit einer Königsburg als Mittelpunkt der lokalen Verwaltung, war in den meisten Fällen mit dem früheren Siedlungsgebiet einer Sippe identisch. Hand in Hand mit der Zerschlagung der traditionellen gesellschaftlichen Verbände ging die Errichtung der königlichen Burgdomänen einher, mit je einem Mitglied des engsten Gefolges des Königs an der Spitze. Obgleich dem König deutsche Institutionen als Vorbild dienten und er Anregungen aus dem Deutschen Reich erhielt, wurde in der Praxis alles den spezifischen ungarischen Bedingungen angepasst. »Nicht die feudale Hierarchie, sondern das unmittelbare, persönliche Verhältnis zum König ist zum neuen Ordnungsprinzip in der Gesellschaft des christlichen Ungarnstaates geworden«, so Thomas von Bogyay.22 Das bedeutete jedoch nicht die rücksichtslose Zerschlagung des alten sozialen Gefüges. Die Gemeinschaft der »Freien«, das heißt die Nachkommen der entmachteten Stammesfürsten und Sippenhäuptlinge in männlicher Linie, behielten, soweit sie an keinem Umsturzversuch teilnahmen oder durch ein persönlich begangenes Verbrechen ihrer persönlichen Rechte nicht verlustig gegangen waren, zusammen mit den aus dem Westen und den slawischen Nachbarländern zugewanderten Rittern ihre Vorrechte. Die Gemeinschaft der »Freien« war als privilegierte Schicht das einzige aktive politische Element in der Gesamtbevölkerung. Nur sie durften an politischen Beratungen teilnehmen und öffentliche Ämter bekleiden. Sie allein unterstanden direkt der königlichen Rechtsprechung. Überdies zahlten sie, abgesehen von Abgaben an die Kirche, keine Steuern. Ihre Pflicht und ihr Privileg war es, Militärdienst zu leisten.

Die Christianisierung erneuerte nicht nur die Grundlage der Autorität der herrschenden Dynastie. Die Bekehrung zum römischen Christentum und damit die Übernahme der lateinischen Sprache und Schrift führten, über die Zerstörung der alten heidnischen Gepflogenheiten hinaus, zu einer Integration der Ungarn in ein Netz sprachlicher, kultureller und politischer Abhängigkeiten. Zu Stephans Konzeption gibt es eine außerordentlich wichtige direkte Quelle: Die Ermahnungen des heiligen Stephan an seinen Sohn. Diese Schrift wurde im Namen und nach Weisungen Stephans etwa um 1015 von einem unbekannten (nach manchen Quellen einem süddeutschen) Geistlichen an seinem Hof verfasst.

Die Hauptfunktion des christlichen Herrschers bestehe, heißt es da, im Schutz der Kirche, in der Überwindung des Heidentums. »Behältst Du den Schild des Glaubens, so ziehst Du auch den Helm der Seligkeit an. Mit diesen Waffen kannst Du Deine unsichtbaren und sichtbaren Feinde auf legitime Art bekämpfen.«23

Mit Recht betonte Jenő Szűcs, dass die territoriale Einheit des ungarischen Königtums durch das Schwert im Zeichen einer Idee zusammengeschmiedet wurde: Der Begriff »Feind« habe keinen ethnisch-»nationalen« Charakter, sondern sei gleichbedeutend mit Heide. In der zitierten Schrift spricht Stephan vom Glauben als wichtigster Grundlage der königlichen Macht; die Kirche nennt er an zweiter, den Klerus an dritter Stelle. Die bewusste Unterordnung unter den christlichen Universalismus war Teil seiner Staatsauffassung. Stets hat sich König Stephan eher auf die Geistlichkeit als auf Laien gestützt. Allerdings musste der Klerus zunächst einmal von außen kommen. Um die heidnischen Priester durch den christlichen Klerus ablösen zu können, forderte der König fremde Vikare und Mönche an, zumindest bis sich genügend junge Ungarn theologisches und administratives Wissen angeeignet hatten. Die bewusste Anlehnung an germanische Institutionen fand ihren Niederschlag in der lateinischen Terminologie von Gesetzen und Verwaltung, aber auch in der Münzprägung. So bezog Stephan die Muster der ersten ungarischen Münzen und die Arbeiter zur Münzprägung aus Regensburg.

Es war sicher kein Zufall, dass gerade im wichtigsten Kapitel der Ermahnungen der unbekannte Autor den zunehmenden Einfluss einer fremden Geistlichkeit und eines fremden Hochadels gerechtfertigt hat. Die oft zitierte Maxime lautet: »Schwach und gebrechlich ist das Land mit einer Sprache und einer Gewohnheit.« Stephan betont, dass die »Ansiedler aus verschiedenen Ländern und Provinzen verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene lehrreiche Dinge und Waffen mit sich bringen, welche den königlichen Hof zieren und verherrlichen, die auswärtigen Mächte aber erschrecken. Darum, mein Sohn, trage ich Dir auf, begegne ihnen wohlwollend und behandle sie anständig, damit sie mit und bei Dir lieber verweilen als anderswo, denn wenn Du das, was ich erbaute, zerstören und, was ich ansammelte, auseinanderstreuen wolltest, dann würde Dein Reich ohne Zweifel erheblichen Schaden leiden.«

Beim Aufbau einer vollständig neuen kirchlichen Organisation standen dem aufrichtig gläubigen König nicht nur die Schüler Sankt Adalberts von Prag, sondern auch eine große Zahl von hohen Geistlichen und Missionaren aus Deutschland, Italien, Frankreich und den umliegenden slawischen Ländern zur Seite. Die Ausbildung einheimischer Priester ging übrigens so zügig voran, dass bereits von 1040 an gebürtige Ungarn in den Episkopat aufstiegen. Die in Ungarn lebenden Südslawen (Kroaten und Slowenen) übten einen großen Einfluss auf die Kirchensprache aus, die durch zahlreiche Lehnwörter slawischen Ursprunges durchsetzt wurde. Im Gefolge des Königs und in seinem Heer waren auch England, Kiew und Byzanz vertreten. So lautete der Titel des Kommandanten seiner Leibgarde Dux Ruizorum, worin die Benennung »Rus« (ungar. orosz) auf ein ethnisch buntes Gefolgschaftselement schließen lässt.

Als Stephan am 15. August 1038 starb, gab es in Ungarn zwei Erzdiözesen – Györ und Kalocsa – sowie acht Bistümer. Auf Anordnung des Königs hatten jeweils zehn Dörfer eine Kirche zu bauen und einen Priester zu unterhalten. Die Diözese Veszprém dürfte bereits vor der Krönung von Großfürst Géza eingerichtet worden sein. Unter den Klostergründungen war die Benediktinerabtei Pannonhalma (Martinsberg) wohl die herausragende, der erhebliche Privilegien zugestanden wurden: etwa die freie Wahl des Abtes und die direkte Unterstellung unter den Erzbischof von Esztergom. Stephan wies ihr den Zehnten der Länder des von ihm besiegten und hingerichteten Vetters Koppány zu. Die Diözesen und die während seiner Regierungszeit gegründeten Klöster gehörten zu den reichsten Grundbesitzern Ungarns. König Stephan, der mit seinem früh verstorbenen Sohn Imre und dem Märtyrer des Heidenaufstandes von 1046, Bischof Gerhard von Csanád, 1083 heiliggesprochen wurde, hatte ein »staatskirchliches« System nach karolingischem Vorbild, ein stark zentralistisches und autokratisches Königtum errichtet, das in inneren wie in äußeren Angelegenheiten, sogar dem Kaiser gegenüber, seine Souveränität behaupten konnte.

Stephan der Heilige als Staatsgründer und Großfürst Árpád als Eroberer haben stets eine gewisse Polarisierung, einen Dualismus im ungarischen historischen Bewusstsein verkörpert. Der gevierteilte Fürst Koppány blieb der ewige Prototyp des rebellischen Ungarns, und der Turul-Vogel wurde zum heidnischen Gegenstück der heiligen Stephanskrone. »Stephan versus Árpád« lautete in verschiedenen Perioden der ungarischen Geschichte auch der Konflikt zwischen katholischem Universalismus eines christlichen Königtums, eingegliedert in den westlichen Kulturkreis, und dem sich auf eigene Kräfte stützenden heidnischen Fürstentum, legitimiert durch die Eroberung des Landes und geprägt von östlichen Wurzeln. Hier der christliche Universalismus, verbunden mit dem testamentarischen Bekenntnis König Stephans zum multinationalen und multikulturellen Charakter des frühen ungarischen Königtums; dort der Mythos der homogenen Nation ohne Beachtung der nationalen Minderheiten, mit dem Kult Árpáds als Symbol des Nationalen und der angeblichen Kontinuität seit dem Hunnenkönig Attila.24

Die Ungarn

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