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Kapitel X SIEBENBÜRGEN ALS HORT UNGARISCHER STAATLICHKEIT

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Es besteht kein Zweifel, dass das von Frater Georg, diesem unermüdlichen Verfechter der Einheit Ungarns, mitgeschaffene autonome Siebenbürgen zu einem äußerst wichtigen Zentrum ungarischer Staatlichkeit zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich und darüber hinaus zu einem für die Zukunft der Nation sehr bedeutenden Zufluchtsort der ungarischen Kultur und Staatsidee wurde.

Die Dreiteilung Ungarns brachte auch eine Spaltung der Nation in zwei Lager mit sich, wozu noch die unter diesen Umständen besonders brisante Scheidung nach Religionen kam. Das Fürstentum Siebenbürgen war unter der Herrschaft ungarischer, vom Sultan eingesetzter oder von ihm bestätigter Fürsten zweifellos ein Sprungbrett für die weltpolitische Strategie des Osmanenreiches. Da die Isolierung und Schwächung der Habsburger den türkischen Interessen diente, konnte sich Siebenbürgen vor allem unter Fürsten europäischen Formates, wie István Báthory (der zum polnischen König gewählt wurde), István Bocskai und Gábor Bethlen, zur Bastion des doppelten Widerstandes gegen die Habsburger und die vom Haus Habsburg forcierte Gegenreformation entwickeln.

Siebenbürgen war Ende des 16. Jahrhunderts flächenmäßig größer als das heutige Ungarn: 100 000 Quadratkilometer versus 93 000 Quadratkilometer. Das Fürstentum umfasste auch das sogenannte »Partium«, jene nord- und südöstlich angrenzenden Komitate, die durch einen mächtigen, türkisch kontrollierten Keil vom Rumpfkönigtum Ungarn abgetrennt waren. Diese fruchtbaren und dicht bevölkerten Randgebiete trugen zum ungarischen Übergewicht maßgeblich bei. Nach Schätzungen lebten im Fürstentum Siebenbürgen damals 955 000 Menschen; zu rund einer halben Million Ungarn – darunter 250 000 Szekler – kamen 280 000 Rumänen, 90 000 Sachsen und etwa 85 000 »Sonstige«, überwiegend Serben und Ukrainer. Man muss allerdings darauf hinweisen, dass das eigentliche Siebenbürgen, das heißt ohne die zum »Partium« gehörenden Komitate oder Städte, nur etwa 60 000 Quadratkilometer groß war und die Einwohnerzahl dort auch nur knapp 650 000 betrug. Diese Klarstellung ist deshalb wichtig, weil im Laufe der innenpolitischen Wirren und Angriffe von außen die reichen Gebiete des »Partiums« im 17. Jahrhundert von den Türken zeitweilig wieder besetzt wurden.63

Nur vor diesem multinationalen und multikulturellen Hintergrund kann man verstehen, welche Bedeutung diesem relativ kleinen Fürstentum gerade in jener Zeit zukam. Als das Geistesleben des Ungartums in den von den Habsburgern und Türken beherrschten Teilen nahezu versiegte und die Existenz der Nation und ihrer Kultur einer tödlichen Gefahr ausgesetzt war, erwies sich Siebenbürgen als Bastion der Toleranz und der nationalen Kultur.

In der Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts waren die Sache der Religionsfreiheit und der Kampf zwischen Reformation und Gegenreformation von der Frage des politischen Selbstbestimmungsrechtes und den politischen Aspekten des türkischen Vasallenstaatensystems nicht zu trennen.

Im Großen und Ganzen stand das Osmanische Reich dem religiösen Konflikt gleichgültig gegenüber, doch beinhalteten die jeweiligen Positionen auch eine außenpolitische Problematik. Zugleich spielte aber der Wunsch nach Wiedervereinigung mit dem Königlichen Ungarn in der Außenpolitik des Fürstentums, vor allem im 16. Jahrhundert, eine herausragende Rolle. Allerdings hat die Hohe Pforte die katholische Position mit den Habsburgern, also dem gefährlichsten Gegner, und die protestantische mit der des siebenbürgischen Protektorates identifiziert. Dass es später auch zu zeitweiligen Allianzen zwischen siebenbürgischen Fürsten, die gegen die Habsburger rebellierten, und den französischen Königen mit der wohlwollenden Unterstützung des Sultans kam, war schlicht damit zu erklären, dass die Türken die Feinde ihrer Erbfeinde als Freunde betrachteten.

Fast zwei Jahrhunderte lang, zwischen der Tragödie von Mohács 1526 und dem nach dem verlorenen Freiheitskampf von Ferenc II. Rákóczi erzwungenen Frieden von Szatmár 1711, versuchten die größten und mutigsten Fürsten und Magnaten, Kämpfer und Denker, aber auch Geistliche und Studenten, Soldaten und Dichter zwischen den beiden mächtigen Herrschern, dem Kaiser und dem Sultan, die nationale Existenz des Ungartums zu retten. Es war ein ständiger Konflikt, ein verwirrendes Tauziehen zwischen Realismus und Illusion, zwischen Anerkennung der Lage und Aufrechterhaltung des Anspruches auf die alte Größe. Während des Zeitalters der Fremdherrschaft und inneren Anarchie waren Begriffe wie Treue und Verrat, Freiheit und Unterdrückung nicht nach dem Schwarz-Weiß-Schema, hier Christentum, dort heidnischer Islam, klar zu trennen. Gerade während der Periode der Reformation und der Gegenreformation war zum Beispiel das Gefühl der christlichen Gemeinschaft nicht immer stärker als die Abneigung, ja sogar der Hass gegen »die Deutschen«, »die Habsburger«. In der Not verbündeten sich die Athletae Christi, die Beschützer des Christentums, sogar mit dem türkischen Erbfeind gegen Wien, gegen die Maßlosigkeit der Gegenreformation habsburgischer Prägung, gegen die Grausamkeit der fremden Söldner.64

Gerade im Kampf gegen die katholisch-germanisierenden Tendenzen waren im 16. und 17. Jahrhundert die ungarische Nationalität und die religiöse Freiheit untrennbar miteinander verwoben. Die Wahl zwischen dem zeitweiligen Ausgleich mit den Türken oder dem kompromisslosen Kampf gegen die Heiden war eine Fragestellung, die unter anderen Verhältnissen und in anderer Ausprägung die politische und geistige Elite der Ungarn mehr als einmal teilte. Wenn es um das Überleben der Nation, ihrer Kultur und ihrer Staatlichkeit ging, war die große nationale Aufgabe die Wiedervereinigung des dreigeteilten Ungarns. Die Option zwischen selbstständigem und weniger selbstständigem Handeln, zwischen schlechten und weniger schlechten Lösungen, zwischen dem größeren und kleineren Übel erforderte dramatische Richtungswechsel, manchmal tragische Wenden und uneingeschränkte Manövrierfähigkeit. Die Osmanen und die Habsburger waren für das geteilte Ungartum gleichzeitig Feinde und Verbündete. Die in den beiden Lagern kämpfenden Ungarn trugen mehrmals blutige Kämpfe gegeneinander aus. Die Zeitgenossen interpretierten die Begriffe Freund und Feind sehr unterschiedlich. In beiden Lagern waren Verfechter der »wahren Sache der geliebten Heimat«, die jene im jeweils anderen Lager als Verräter betrachteten. Vor allem während der Reformation und Gegenreformation waren die Helden und Apostel der religiösen Freiheit in und aus Siebenbürgen nicht nur im königlich-habsburgischen Ungarn, sondern auch in der deutschen Literatur der Zeit als »Hochverräter«, »machtgierige Abenteurer«, »Söldner der Türken« und »Feinde der Christenheit« gebrandmarkt.

Die Reformation breitete sich in Ungarn nach der Schlacht von Mohács wie ein Lauffeuer aus. Noch ein Jahr vor der schicksalhaften Niederlage hatte der Reichstag die Verbrennung als Todesstrafe für die Anhänger der lutherischen Konfession (damals fast nur Deutsche) gefordert. Die Vermittler des Protestantismus waren ungarische und deutsche Studenten aus Ungarn. Allein an der Universität in Wittenberg zählte man zum Beispiel im Jahr 1616 340 Studenten aus Ungarn. Andere studierten in Basel und Genf, Leiden und Utrecht, ja sogar in Oxford. Bis Ende des 16. Jahrhunderts registrierte man insgesamt 2850 Studenten aus Ungarn an ausländischen Universitäten; allerdings gab es damals keine Angaben über die ethnische Zugehörigkeit.65

Fest steht jedenfalls, dass in den von Deutschen und zum Teil von Slowaken bewohnten Bezirken und Städten in Nordungarn und in Transdanubien das Luthertum vorherrschte, während sich die Ungarn, vor allem in Siebenbürgen, dem Calvinismus zuwandten. Wer sich als Ungar fühlte, wurde Calvinist. Nationalität und religiöses Bekenntnis deckten sich, und so entstand ein Bollwerk gegen den Islam, also die Türken, gegen den Katholizismus, also die Habsburger, und gegen die Orthodoxie, also Rumänen und Serben. Die Reformation erhält dadurch ein nationales Gepräge. Die Geistlichkeit wurde zur Vorhut und zur Stütze des nationalen Gedankens. Auch die aus der Schweiz und Holland zurückgekehrten Studenten wurden Schöpfer einer zunächst durch religiöse Schriften und Bibelübersetzungen entstandenen Nationalliteratur.

In seinem bereits zitierten Werk Die drei historischen Regionen Europas wies Jenő Szűcs auf die Gründe für die verspätete Umstellung von der lateinischen auf die ungarische Sprache hin: »Das Fehlen der Lehnshöfe und des ritterlichen Milieus hatte letztlich zur Folge, dass die ungarische Sprache im Vergleich zum Westen mit einer Verspätung von fast drei Jahrhunderten zur Schriftsprache wurde.« In einem lateinischen Kodex vom Ende des 12. Jahrhunderts findet sich erstmals ein zusammenhängender Text – eine Leichenrede – in ungarischer Sprache. Die Altungarische Marienklage, eines der schönsten Gedichte in ungarischer Sprache, entstand zwar bereits um 1300; auch die Legende von der (heiligen) Königstochter Margarete und die Legende des heiligen Franciscus wurden um 1310 und 1370 niedergeschrieben; beide sind aber nur in späteren Abschriften überliefert. Sie dürften einige der ältesten ungarischen Übersetzungen sein. Erst am Ende des 15. Jahrhunderts begannen die Autoren religiöse Texte und Gedichte auf Ungarisch zu verfassen.

Die ersten ungarischen Bücher wurden in Krakau (1527) und Wien (1536) gedruckt. Die erste ungarische Druckerei entstand Ende der 1530er-Jahre. Das vielleicht wichtigste Buch war die von Gáspár Károly 1590 fertiggestellte, erste vollständige ungarische Bibelübersetzung.

Es gehört zu den erstaunlichen Begleiterscheinungen der Geburt und des Aufschwunges der ungarischen Kultur, dass so viele der besten Köpfe zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert kroatischer und deutscher, slowakischer und jüdischer Herkunft waren. Ihr Ungartum war die Folge eines Wollens und nicht der Gnade der zufälligen Geburt. Dies galt zum Beispiel für den lutherischen Pfarrer Caspar Helth, der in der bereits mehrheitlich ungarischen Stadt Kolozsvár (Klausenburg) wirkte. Der sächsische Geistliche lernte Ungarisch erst als Erwachsener, und aus Liebe zur ungarischen Sprache wurde der begeisterte Lutheraner der erste große Stilist und zugleich Drucker und Verleger ungarischer Bibelübersetzungen und anderer Werke (1552–1566). Unter dem Namen Gáspár Heltai ging er in die ungarische Literaturgeschichte ein. Der erste Bischof der ungarischen Calvinisten in Kolozsvár hieß ursprünglich Franz Hertel; als protestantischer Denker und Prediger bekannt wurde er dann als Ferenc Dávid.

In Siebenbürgen gab es nicht nur nie eine religiöse Verfolgung; das Fürstentum wurde als Bollwerk der religiösen Toleranz sogar eine Rarität im damaligen Europa. Der erste Fürst, Johann Sigismund, wechselte viermal seinen Glauben. Seine großen Nachfolger sorgten für ein friedliches Nebeneinander der Religionen. Mehrere Landtage (1550, 1564, 1572) verkündeten das Recht auf freie Religionsausübung zuerst für Katholiken und Protestanten, später, nach der Spaltung der Protestanten in Lutheraner, Calvinisten und Unitarier, auch für alle Glaubensbekenntnisse. Während der »Goldenen Zeit« von Gábor Bethlen (1613–1629) lieferte Siebenbürgen sogar ein einzigartiges Beispiel für Toleranz. So holte Bethlen die aus dem Fürstentum vertriebenen Jesuiten wieder zurück, und die Bibelübersetzung des Jesuiten György Káldi unterstützte er auch finanziell. Der Fürst gründete für seine eigene reformierte Konfession eine Hochschule, eine Druckerei und eine Bibliothek. Zugleich genehmigte er aber den Katholiken einen Generalvikar, den griechisch-orthodoxen Rumänen einen Bischof, die rumänischen Geistlichen befreite er von den »Leibeigenen-Leistungen«, die Juden vom Tragen des gelben Davidsternes. Eine Gruppe der überall verfolgten Anabaptisten siedelte er in Siebenbürgen an. Der orthodoxe Glaube der Rumänen galt als »geduldete« Religion, weil die Rumänen keine ständische Nation (wie seit 1437 die Ungarn, die Szekler und die Sachsen) bildeten; das heißt, die Orthodoxie konnte zwar frei praktiziert werden, aber ihren Anhängern verweigerte man die politische Gleichberechtigung.66

Im Königreich Ungarn lief indessen die habsburgische Gegenreformation mit voller Wucht an. Die zentrale Gestalt und der Architekt der erfolgreichen Rekatholisierung war der Jesuit Péter Pázmány, Erzbischof von Esztergom und Kardinal (1570–1637). Er hat mit den protestantischen Predigern lateinisch und ungarisch in bestechendem Stil die Klingen gekreuzt und 30 ungarische Magnatenfamilien für den Katholizismus zurückgewonnen. Oft musste ihnen nach dem grausamen Prinzip cuius regio eius religio (»wem das Land gehört, der bestimmt die Religion«), Faustregel nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, das gesamte Volk ihrer Ländereien folgen. Pázmány gründete auch 1635 in Tyrnau (Nagyszombat, slowak. Trnava) die in Budapest noch heute bestehende Universität.

Die Rekatholisierung vertiefte die Spaltung zwischen den Ungarn in West und Ost sowohl konfessionell als auch hinsichtlich der Haltung gegenüber den Türken. Das 17. Jahrhundert nannten die ungarischen Dichter, Philosophen und Politiker »das Jahrhundert des ungarischen Verfalles«. Wenngleich die Türkenzeit der entscheidende Faktor im Niedergang Ungarns war, dürfen auch die folgenschweren Auswirkungen der intoleranten, ja oft grausamen Herrschaft der Vertreter des Hauses Habsburg im Königreich Ungarn wie in Siebenbürgen nicht übersehen werden. Die von den Beauftragten der Gegenreformation bedrängten Protestanten im Königlichen Ungarn nannten ihre Verfolger manchmal »schlimmer als die Türken«. Der sogenannte Fünfzehnjährige Krieg, der zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich 1591 ausbrach, stürzte auch Siebenbürgen in ungeheure Verwirrung und fürchterliches Elend. Kaiser Rudolf und der junge Fürst Zsigmond (Sigismund) Báthory (1581–1597), Neffe des ersten gewählten Fürsten und späteren großen Polenkönigs István Báthory, haben zuerst mit vereinten Kräften große Erfolge gegen die Türken errungen. Der mutige, attraktive und athletische junge Fürst erwies sich aber bald als eine finstere und abartige Gestalt, wie aus einem Shakespeare-Drama. Sein Abstieg zu einem völlig unberechenbaren und grausamen Psychopathen wurde durch die unglückliche Eheschließung mit der Habsburger Prinzessin Maria Christina sogar beschleunigt. Sigismund war nämlich impotent, und die Ehe wurde nie vollzogen. Um dies zu verheimlichen und zugleich zu verdrängen, war der Fürst ständig auf der Flucht vor seiner Frau und seiner Heimat, die er durch bizarre Eskapaden in ein unbeschreibliches Chaos stürzte. Nicht weniger als fünfmal kündigte der unzurechnungsfähige Herrscher seinen Rücktritt an, um bald danach immer wieder zurückzukehren. So lieferte Sigismund Siebenbürgen zuerst der Schreckensherrschaft des kaiserlichen Befehlshabers General Giorgio Basta, dann dem nicht weniger grausamen Eingreifen Michaels des Tapferen, des Woiwoden der Walachei, und schließlich auch den rachedurstigen Türken aus.67

Kaiser Rudolf II. hat indessen versucht, die Rekatholisierung des überwiegend protestantisch gewordenen Siebenbürgens mit Gewalt, vor allem mit Zwangsbekehrungen und der Enteignung des Besitzes von angeblichen Hochverrätern, durchzusetzen. Sein General Basta errichtete eine wahre Terrorherrschaft gegen die Ungarn Siebenbürgens. Die größtenteils aus Wallonen, Italienern und Spaniern rekrutierten Söldnertruppen waren eine Landplage und ein Gräuel für die leidgeprüfte Bevölkerung. Gewiss benahmen sich die fremden Söldner auch in Westeuropa während des Dreißigjährigen Krieges nicht viel besser, doch hatten die Menschen in Siebenbürgen und im Königreich Ungarn länger als ein Jahrhundert darunter zu leiden. Zwar verehrten auch die Bewohner der deutschen Städte in Oberungarn in den Fürsten Bocskai, Bethlen, Rákóczi die Vorkämpfer konfessioneller Freiheit, doch steigerte das unerträgliche Verhalten der Söldnerheere und ihrer Generäle die Abneigung und später den blanken Hass gegen die Deutschen schlechthin, also auch gegen die Habsburger.

Es waren die bereits erwähnten grausamen Strafen und die Gewaltherrschaft kaiserlicher Behörden, die den Aufstand unter der Führung von General István Bocskai, dem einstigen Anhänger Kaiser Rudolfs und Onkel Fürst Sigismunds, entfesselt haben. Der calvinistische Großgrundbesitzer mit einer außerordentlichen militärischen Begabung stellte mitten im blutigen Chaos ein Heer aus verwegenen Kriegern auf, die man Heiducken nannte. Diese waren ursprünglich slawische wilde Hirten der Ebene, später aber überwiegend vertriebene, heimatlose ungarische Flüchtlinge. Wenn auch die Verbreitung des lutherischen Glaubens die Abneigung der Ungarn gegen den deutschen Einfluss hervorrief, traf die rücksichtslose Gegenreformation der Habsburger die deutschsprachigen Bürger der Städte in Oberungarn besonders schwer. Bocskais Kampf für politische und Religionsfreiheit gewann deshalb nicht nur die Unterstützung der Ungarn, sondern genauso der deutschen Bürger und des Kleinadels.

Da Bocskai zunächst als einer der treuesten Gefolgsleute Habsburgs und als Türkenhasser galt, lieferten seine Seitenwechsel und seine flammenden Aufrufe an die Adligen auch in Transdanubien die überzeugendsten Argumente dafür, dass im Interesse der Verteidigung der Heimat, des Ungartums und der religiösen Freiheit ein Patriot sogar mit den Türken gemeinsame Sache machen kann. Dass der Angriff des neuen Befehlshabers Barbiano auf Bocskais Güter seinen Frontenwechsel direkt auslöste, ändert nichts an den historisch bedeutsamen Folgen. Die ungarischen Heiducken wechselten vom Kaiser auf die Seite Bocskais, der bald zusammen mit türkischen und tatarischen Einheiten überwältigende Siege errang. 1605 zum Fürsten Siebenbürgens und auch Ungarns gewählt – die ihm angebotene Krone wies er zurück –, erzwang Bocskai einen Friedensschluss mit dem Kaiser. Darin wurde der widerspenstige Magnat auf Lebenszeit als Fürst eines durch vier Komitate vergrößerten Siebenbürgens anerkannt. Darüber hinaus musste die kaiserliche Seite weitgehende religiöse Freiheit für den hohen und niederen Adel sowie für die freien Städte und Märkte, ferner die Erweiterung des adligen Mitspracherechtes und die Wiederherstellung der Funktion des Palatins gewähren.

Im November 1606 vermittelte er auch den Frieden von Zsitvatorok zwischen dem Kaiser und der Pforte auf der Grundlage des Status quo. Kurz nach dem Friedensschluss starb Bocskai, wahrscheinlich vergiftet durch seinen ehrgeizigen Kanzler, der einige Tage später von Bocskais Heiducken umgebracht wurde.

Bocskais Siege und diplomatische Erfolge eröffneten eine neue Phase in Ungarns Geschichte. In einem eindrucksvollen und erst rund 200 Jahre später veröffentlichten Testament ermahnte der Fürst »die Siebenbürger …, sich von Ungarn, auch wenn sie einen anderen Fürsten haben, niemals loszureißen; die Ungarn aber, dass sie die Siebenbürger nicht von sich stoßen, sondern als ihre Brüder, als ihr Blut, als ihre Glieder betrachten« sollten. Das Gleichgewicht zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich erachtete er als lebenswichtig für Ungarn, und so sprach er sich klar und eindeutig für ein starkes Fürstentum Siebenbürgen unter dem Schutz des Sultans aus: »Solange sich die ungarische Krone dort oben in den Händen einer stärkeren Nation, der deutschen, befindet und solange auch das ungarische Königtum von den Deutschen abhängt, wird es immer nötig und nützlich sein, in Siebenbürgen einen ungarischen Fürsten zu haben, da er auch den Ungarn Schutz und Schirm sein wird.« Siebenbürgen als Hort ungarischer Eigenstaatlichkeit, bis ein ungarisches Königtum entsteht, und dann eine Konföderation zwischen Ungarn und Siebenbürgen, so lautete die Grundkonzeption István Bocskais, dessen Statue am Denkmal der Reform in Genf neben derjenigen Calvins zu sehen ist.68

Den Habsburgern gelang zwar die Rekatholisierung des Königlichen Ungarns, doch blieb die Reformation östlich der Theiß im Zeichen des friedlichen Zusammenlebens der drei anerkannten Nationen und der Respektierung ihrer diversen Glaubensbekenntnisse fast unangetastet. Wie es ein unbekannter Autor in einem Pamphlet Das Zeter- und Wehgeschrey Ende des 17. Jahrhunderts formulierte, gelang es den Habsburgern nicht, den Ungarn die »böhmischen Hosen« anzuziehen …

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