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Hat er die Türkengefahr für Ungarn und für Europa später doch unterschätzt? Oder waren die immer wieder aufflammenden Kriege und die schweren Auseinandersetzungen mit Böhmen, Polen und Österreich Teil seiner imperialen Ambitionen? Schwebte Matthias letzten Endes der Griff nach der Krone des Heiligen Römischen Reiches vor? Es ging ihm jedenfalls in erster Linie um die Vorherrschaft in Mitteleuropa. Die administrativen, politischen und finanziellen Reformen dienten vor allem der innenpolitischen Absicherung seiner gewagten und selbst unter seinen treuesten Anhängern umstrittenen Außenpolitik. Das war der Grund für die Entfremdung zwischen dem König und seinem einstigen Erzieher und engsten Berater, dem inzwischen zum Erzbischof und Kanzler ernannten János Vitéz, sowie dessen Neffen, dem berühmten Dichter und Bischof von Pécs (Fünfkirchen), Janus Pannonius (János Csezmicei). Beide wollten 1471 mit anderen Adligen und Prälaten den König stürzen und den polnischen König Kasimir IV. auf den Thron heben. Doch konnte Matthias die Verschwörung, wie manche andere Rebellionen, im Keim ersticken.

Mit dem Umbau des gesamten Steuersystems und der Förderung des sogenannten Komitatsadels, dessen Vertreter in rund 80 Gespanschaften gewählt wurden, schuf sich der König eine Art politische »Hausmacht« und zugleich die Basis für die Aufstellung und Erhaltung des berühmten »Schwarzen Heeres«, benannt angeblich nach der schwarzen Farbe ihrer Schilde und Helme. Diese nur dem König unterstehende Söldnerarmee machte Mátyás einerseits von den Privatarmeen der Magnaten weitgehend unabhängig; andererseits wurde sie durch ständige Überprüfung ihrer Disziplin und Ausrüstung sowie durch die Ernennung von begabten Kommandanten die vielleicht schlagkräftigste Armee Europas. Außer dem böhmischen Königstitel verdankte Mátyás seiner militärischen und diplomatischen Überlegenheit jedenfalls auch die Eroberung von Mähren, Schlesien, Steiermark, Kärnten und Niederösterreich mit Wien (1485) und zwei Jahre danach der Residenz Friedrichs III. in Wiener Neustadt.

»In jeder Beziehung hochtalentiert, war er ein tüchtiger Soldat, ein erstklassiger Verwaltungsmann, sehr sprachbegabt – er beherrschte ein halbes Dutzend Sprachen –, ein gelehrter Astrologe, ein aufgeklärter Mäzen und ein hervorragender Kunstkenner«, so beschrieb Macartney den König.49 Als er sich 1476 in zweiter Ehe mit Beatrice, der Tochter König Ferdinands von Neapel, vermählte, öffnete sich Ungarn der italienischen Renaissance. Nie zuvor und wohl nie danach war der kulturelle und künstlerische Einfluss Italiens so intensiv wie in den letzten 15 Jahren der Herrschaft dieses echten Renaissancefürsten.

Antonio Bonfini, der italienische Hofhistoriker, betont in seinem Werk über Ungarn, dass nach der Ankunft Beatrices der König seinen Lebensstil vollkommen änderte:

Nach der Ankunft der Königin Beatrice siedelte der König in Ungarn Künste an, die früher hier unbekannt gewesen waren, und berief unter großen Kosten bedeutende Künstler an seinen Hof. Er ließ aus Italien gegen guten Lohn Maler, Bildhauer, Graveure, Zimmerleute, Goldschmiede, Steinmetzen und Baumeister kommen. Zur Hebung des Gottesdienstes dienten in der Kapelle des Königspalastes Sänger aus Deutschland und Frankreich. Ja, er rief sogar Kunstgärtner, Obstzüchter und ausgebildete Landarbeiter an seinen Hof, die Käse auf italienische, französische und sizilianische Weise bereiteten. Dazu kamen Spaßmacher und Schauspieler, für die besonders die Königin viel übrighatte, weiterhin Bläser, Zitherspieler und andere Musikanten. Seine Geschenke lockten Dichter, Redner und Sprachgelehrte an. Matthias liebte und unterstützte all diese Künste mit bewundernswerter Freigiebigkeit; er strebte danach, Ungarn zu einem zweiten Italien zu machen. Die Ungarn aber verurteilten seine große Verschwendung; sie beschuldigten die Königliche Hoheit täglich, leichtfertig mit dem Gelde zu spielen, die für bessere Zwecke bestimmten Steuern für unnütze Dinge zu verschwenden, von der Sparsamkeit der alten Könige abgekommen zu sein, die strengen alten Sitten vernachlässigt, die alten Gebräuche vergessen und die italienischen und spanischen Vergnügungen und verdorbenen Sitten an ihre Stelle gesetzt zu haben. Der göttliche Fürst hingegen bemühte sich, wie jeder Beschützer der Künste und Förderer des Talentes, die Bildung langsam heimisch zu machen; den hohen und niederen Adel eiferte er an, kultiviert zu leben. Er verlangte von ihnen, dass sie ihrem Vermögen entsprechend glänzend bauen, wie Bürger leben und mit den Fremden, die sie früher unerhört verachteten, besser umgehen möchten. Er eiferte in erster Linie alle durch sein eigenes Beispiel an.50 (aus dem Lateinischen, 15. Jahrhundert)

Der königliche Hof wimmelte von Ausländern, und der König gab in der Tat Unsummen für seine aufwendige Hofhaltung aus, nicht zuletzt für die von italienischen Künstlern gefertigten illuminierten Handschriften, die insgesamt 2500 Bände der international berühmten Bibliotheca Corviniana. Mátyás’ Sammlungen enthielten Gemälde, Plastiken, Juwelen, Goldschmiedearbeiten und andere Kunstgegenstände. Rund 20 Architekten, die besten seiner Zeit, haben in den Residenzen in Visegrád und Buda sowie nach der Eroberung auch in Wien Gärten und Teiche angelegt, prunkvolle Gänge und Hallen, Türme, überdachte Gänge und Springbrunnen aus rotem Marmor, mit Silberplatten gedeckte Dächer errichtet, prunkvolle Empfangs- und Speisezimmer eingerichtet. Bonfini erwähnt auch ein großes Denkmal im Hof des Palastes in Buda: in der Mitte Mátyás, behelmt, auf Schild und Lanze gestützt, in Gedanken vertieft; rechts sein Vater, links sein Bruder László. »Seine Paläste dürften, was ihren Pomp anbelangt, kaum hinter dem Luxus der Römer zurückstehen«, meinte Bonfini.

Unter Mátyás wurde die zweite ungarische Universität in Pressburg (Pozsony) gegründet; diese blieb aber, wie seinerzeit die erste in Pécs, nicht lange bestehen. Die italienischen Historiker und die ungarischen Humanisten schrieben in lateinischer Sprache. Drucke gab es nur wenige, obwohl in dieser Zeit bereits die erste Druckerei von András Hess in Buda arbeitete. Die Kultursprache war zwar Lateinisch, doch wurden auch schon die ersten ungarischen Übersetzungen von Teilen des Alten Testamentes und von religiösen Schriften angefertigt.

Die altrömisch-italienische »Linie«, durch den Beinamen »Corvinus« symbolisiert, war aber nur ein Teil des blühenden Mátyás-Kultes. Da der starken Persönlichkeit des Königs kein Feind gewachsen schien, kamen die geläufigen Bezeichnungen wie »secundus Attila« oder »skythischer Mars« dem Geltungsbedürfnis und Patriotismus von Mátyás noch besser entgegen. Die von Macartney als »absurde Begleiterscheinung« gewertete Verherrlichung Attilas und seiner Hunnen, die man damals für die Vorfahren der Magyaren hielt, war Ausdruck jenes Sendungsbewusstseins, das das politische Weltbild der Adligen und der Massen, vor allem durch die literarische Überlieferung, so lange geprägt hat.

Einerseits hat Mátyás die Steuerschraube angezogen und das, verglichen mit der Zeit Ladislaus’ V., verfünffachte königliche Einkommen für die Finanzierung der Hofhaltung und der 30 000 überwiegend ausländischen Söldner des »Schwarzen Heeres« ausgegeben; andererseits wurde gerade der König durch seine Härte gegenüber den Adligen und seine militärischen Erfolge der vielfach besungene Held, »Mátyás der Gerechte«. Er soll sich gern und oft unerkannt unter das Volk gemischt und die Armen gegen Unrecht und Ausbeutung geschützt haben, indem er Übergriffe der Mächtigen auf der Stelle sühnen ließ. Gegenüber dem an seinem Hof wirkenden italienischen Humanisten Aurelius Brandolini soll der König Folgendes erklärt haben:

Bei uns darf sich niemand seiner Macht allzu sicher sein, aber es muss niemand seiner Hilflosigkeit wegen ganz das Zutrauen verlieren; jeder kann sein Recht behaupten, wenn es nottut, auch uns gegenüber … Bei uns wagen die Statthalter nicht, das Volk in irgendeiner Art von Knechtschaft zu unterdrücken, weil sie wissen, dass sie nur Diener auf Widerruf sind. Nicht die Gesetze sind die Quelle und der Garant der Kontrolle dieser gerechten Rechtsordnung, sondern der König, der kein Diener oder Werkzeug der Gesetze ist, sondern über ihnen steht und über sie bestimmt.51

Was ihm seine Zeitgenossen negativ ankreideten und was nicht ohne Folgen für sein Land blieb, war die Tatsache, dass seine beiden Ehen kinderlos blieben. Daher versuchte er seinen illegitimen Sohn Johannes Corvinus als Nachfolger aufzubauen. Dieser Plan einer Erbmonarchie schlug jedoch fehl, als Matthias 1490 in Wien starb.

Trotz seiner militärischen Erfolge und innenpolitischen Reformbemühungen liegt seine wirkliche Bedeutung für die ungarische Geschichte vor allem in der glanzvollen und lang andauernden geistigen Ausstrahlung seiner Persönlichkeit und seiner Epoche. Mátyás war der in seinem Lebensstil opulenteste und zugleich in der Erinnerung vieler Generationen der volkstümlichste Herrscher Ungarns. Daher der Spruch: »König Mátyás ist tot, mit ihm starb die Gerechtigkeit!«

Mátyás der »Volkskönig« verkörperte den Glanz der ungarischen Nation und den Höhepunkt ungarischer Macht. Es ist also verständlich, wenn mehrere Generationen ungarischer Historiker zur Verherrlichung seiner Zeit neigten. Während der Jahrhunderte der Teilung, der Fremdherrschaft und des Niederganges trauerten die Dichter wie das breite Volk der entschwundenen Größe in mündlichen Überlieferungen und in der Literatur nach. Den Grund für diese Nostalgie fasste Jenő Szűcs nüchtern zusammen: »Seit den Feldzügen von Mátyás kennt die ungarische Geschichte viele siegreiche Schlachten, aber keinen einzigen siegreichen Krieg. Seit 1485 verzeichnen wir nur verlorene Kriege – außer einem befreienden Feldzug Ende des 17. Jahrhunderts gegen die Türken, den aber überwiegend nicht eine ungarische Armee führte. Die Erfolge von Bocskai, Bethlen und Rákóczi sind letzten Endes siegreiche Schlachten während eines permanenten und 1711 verlorenen Krieges …«

Jedenfalls ist die Tatsache bemerkenswert, dass König Mátyás mehr als 500 Jahre nach seinem Tod bei zwei repräsentativen Umfragen, Ende 1994 und Ende 1996, als die sympathischste Persönlichkeit, noch vor Stephan dem Heiligen und den Helden der 1848er-Revolution, Széchenyi und Kossuth, bezeichnet wurde.

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