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Kapitel VII DAS HELDENZEITALTER DER HUNYADI VOR DEM HINTERGRUND DER TÜRKENGEFAHR
ОглавлениеIn der kritischen Zeit der doppelten Gefahr einer feudalen Anarchie und dadurch begünstigter Türkeneinfälle wurde Ungarn nach allgemeiner Ansicht vor allem durch die Genialität und den Mut eines einzigen Mannes gerettet und sein Zusammenbruch als unabhängiger Staat um 70 Jahre hinausgeschoben. Dieser Mann war János Hunyadi, eine der schillerndsten und rätselhaftesten, zugleich anziehendsten und beliebtesten Gestalten in der Geschichte der Magyaren.
Es gehört wohl zu den vielen verblüffenden Widersprüchen in der Historie dieses Landes, dass in schicksalhaften Momenten Feldherren, Staatsmänner oder Dichter in Erscheinung traten, deren »Stammbaum« und Werdegang sich in keiner Weise für nationalistische, geschweige denn rassistische Theorien eignen. So entstammt auch Hunyadi einer aus der Walachei nach Siebenbürgen eingewanderten rumänischen (nach manchen Quellen auch slawischen) Familie. Der ungarische Name geht auf die Burg Vajdahunyad (heute Hunedoara in Rumänien) in Siebenbürgen zurück, die Johanns Vater Vajk, ein Rumäne von niedrigem Adel, von Kaiser Sigismund geschenkt bekam. Der junge Hunyadi wurde Berufssoldat, zeigte aber früh eine so außerordentliche militärische Begabung, dass Sigismund ihn als seinen Lieblingsoffizier auf allen seinen Feldzügen mitnahm und ihn als Kammerjunker an seinen Hof nach Prag holte. Tatsächlich stieg Hunyadi so atemberaubend schnell zum international bekannten Heerführer und zum reichsten Großgrundbesitzer Ungarns auf, dass das hartnäckige Gerücht entstand, er sei ein unehelicher Sohn König Sigismunds.
Es war nicht zuletzt den Heldentaten Hunyadis gegen die Türken zu verdanken, dass die aus westlicher Sicht »wilden Ungarn« die edlen Beschützer des Christentums, die Athletae Christi, wurden und ihre Kriegstüchtigkeit sich vom Synonym für Barbarei zur Tugend wandelte: Die »blutrünstigen, furchtbaren Skythen« waren auf einmal treue Krieger Christi. Immer wieder wurde die Rolle Ungarns als »Schutzwall, Schutzburg, Schutzmauer, Schutzdamm, Schutzgraben, Felswand, Säule und Schild« in ganz Europa gerühmt. Eine einzige nationale Eigenschaft prägte dieses Bild: Tapferkeit. Bereits Sultan Bajazid soll die Ungarn neben den Franzosen als« die tapferste Nation unter den Völkern der Erde« bezeichnet haben.48
Das Lob für die Magyaren als Schutzwall hat freilich zuweilen auch Spott provoziert. So meinte Friedrich Hebbel beispielsweise, dass die Ungarn sich selbst und nicht Europa beschützten. »Auch der Bürger, der sich, nachdem er ins Wasser gefallen war, durch Schwimmen rettete, verdient ja keine besondere Belohnung, nur weil er, sich selbst rettend, dem Staate einen Bürger erhielt«, schreibt er in einem Epigramm über die Ungarn.
Nun, es besteht kein Zweifel, dass die Magyaren, indem sie den Türken Widerstand entgegensetzten, in erster Linie für sich selbst, für ihr Land, für ihre Freiheit kämpften. Doch Hunyadi galt nicht nur den Ungarn als fast mythischer Held, auch die anderen bedrohten Völker sahen in ihm einen Hoffnungsträger. Trotzdem führte, wie Hunyadi dem Papst einmal bitter klagte, Ungarn den Kampf gegen die türkische Übermacht seit 60 Jahren eigentlich allein. In diesem Kampf war aber Hunyadi jener Heerführer, der mit beispiellosem Mut und bemerkenswerter Beharrlichkeit, Rückschläge und Niederlagen in Kauf nehmend, einzigartige kriegerische Leistungen aufzuweisen hatte. Zwei Faktoren dürften dabei den Ausschlag gegeben haben. Erstens war er ein genialer Taktiker und Stratege, der fest an sich glaubte. Zweitens begriff er sehr früh, dass man mit adligen Rittern, die sich je nach Laune zum Waffendienst meldeten oder auch nicht, längerfristig keine militärischen Erfolge erzielen konnte. Dazu brauchte man gut trainierte und regelmäßig bezahlte Söldner sowie begeisterte Freiwillige. Mithilfe des wortgewaltigen, die Soldaten leidenschaftlich aufpeitschenden Franziskanerpaters Johannes von Capistrano gelang es Hunyadi 1456, die Türken bei Belgrad trotz ihrer erdrückenden Übermacht so gründlich zu schlagen, dass die türkische Gefahr für 70 Jahre gebannt war, nicht nur für Ungarn, sondern für den ganzen Kontinent. Darin lag Hunyadis historische Bedeutung. An diesen überwältigenden Sieg erinnert bis heute das tägliche Mittagsgeläute der Kirchenglocken in den katholischen Landstrichen Europas.
Wie es in einer Schenkungsurkunde König Ladislaus’ V. vom 30. Januar 1453 hieß, habe Hunyadi das, was andere »mit fremder Hilfe und mit dem Rechtstitel ihrer Vorfahren« erreichen, durch »eigenen Schweiß, Tugend, Talent und Arbeit« geschafft. Deshalb erhob ihn König Albrecht »seiner großen Verdienste wegen aus dem Stande des Soldaten in den Rang der Reichsbarone«. Auch als Woiwode Siebenbürgens, als Graf von Temesch und als Generalkapitän von Belgrad errang Hunyadi »wunderbare Siege«.
Der »Außenseiter«, der »Emporkömmling«, als der er dem älteren Hochadel unter den Oligarchen erschien, war freilich auch genial, was die eigene Bereicherung betrifft. Er konnte sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere Herr über 2,3 Millionen Hektar Land, 28 Burgen, 57 Städte und rund 1000 Dörfer nennen. Nach jedem Sieg erhielt er königliche Schenkungen, die er anscheinend sehr geschickt verwaltete.
Weniger verstand der viel besungene Held der Türkenkriege – wie andere große Feldherren vor und nach ihm – offenbar von der Staatskunst. Jedenfalls vermochte er während seiner sechseinhalbjährigen Amtszeit als Reichsverweser weder eine grundlegende Reform des Staates noch eine Stärkung der Zentralgewalt durch die Eindämmung der Macht der Barone und den Ausbau der Mitsprache des Gemeinadels durchzusetzen. Allerdings hatte er zu weiteren Versuchen keine Gelegenheit mehr, denn Hunyadi starb kurz nach seinem Triumph von Belgrad – wie übrigens auch der Prediger Capistrano –, wahrscheinlich an der Pest. Hunyadi, der drei Jahre nach dem Fall von Byzanz das Abendland wieder hoffen ließ, wurde in ganz Europa zutiefst betrauert.
Hunyadis Tod eröffnete eine neue blutige Phase in den schwelenden Machtkämpfen der Magnaten. Die Gegner des verstorbenen Heerführers wollten seine Familie, vor allem seine Söhne László (Ladislaus) und Mátyás (Matthias), beseitigen und sich die Hunyadi-Güter aufteilen. Unterstützung erhielt die Anti-Hunyadi-Partei vor allem bei dem inzwischen 13-jährigen König Ladislaus, den Kaiser Friedrich III. unter dem gemeinsamen Druck der österreichischen, tschechischen und ungarischen Stände wenige Monate vor dem Fall von Konstantinopel hatte »herausgeben« müssen. Jedenfalls wurde Ladislaus ohne neuerliche Krönung Anfang 1453 als König von Ungarn anerkannt und etwas später in Prag auch zum König von Böhmen gekrönt. Unter dem Einfluss eines Onkels, Ulrich von Cilli, sprach sich der junge König gegen die Söhne Hunyadis aus und ernannte Cilli zum Generalkapitän.
Dem blutigen Konflikt fiel zuerst der verhasste Cilli zum Opfer. Er wurde während eines Streites in Belgrad von László, dem älteren Sohn Hunyadis, und dessen Gefolgsleuten niedergemetzelt. Der inzwischen 17-jährige König bestätigte mit scheinbarer Gelassenheit den Hunyadi-Sohn als neuen Generalkapitän und schwor, dass er ihn wegen des Mordes an Cilli nicht bestrafen werde. Einige Wochen später ließ Ladislaus V. die beiden Hunyadi-Söhne mit ihrem engen Berater, dem einflussreichen Bischof János Vitéz, und ihrer Begleitung dann aber doch verhaften. László Hunyadi wurde 48 Stunden später auf dem Hauptplatz von Buda im Angesicht des ganzen Hofes enthauptet. Die anderen Todesurteile wurden nicht vollstreckt.
Inzwischen tobte ein Bürgerkrieg zwischen dem König und der von der Witwe Hunyadis und ihrem Schwager Mihály (Michael) Szilágyi geführten Hunyadi-Partei. Der jüngere Hunyadi-Sohn, der 15-jährige Mátyás, wurde als persönlicher Gefangener des nur um zwei Jahre älteren Königs Ladislaus zuerst nach Wien und dann nach Prag verschleppt. Als dann aber der junge König in Prag von der Pest unerwartet und ohne Erben dahingerafft wurde, entstand eine völlig neue Situation. Die beiden Magnatenparteien schlossen einen – freilich nur zeitweiligen – Kompromiss, der für den jungen Hunyadi den Weg zum Thron öffnete.
Die meisten der spärlichen Nachschlagewerke über Ungarn erwähnen bloß diese Tatsache an sich, ohne sich mit der blutigen Bilanz der knappen zwei Jahre zwischen Hunyadis Tod und der Thronbesteigung seines jüngeren Sohnes auseinanderzusetzen. Dabei gehört diese Zeit vor und nach der Wahl des jungen Königs zu einem der in der ungarischen Literatur und Musik meistbesungenen und -dramatisierten Themenkreise. Unzählige Gedichte und Epen, Dramen und Opern beschreiben das turbulente und aus ungarischer Sicht vor allem glorreiche Leben des Königs Matthias I. (1458–1490).
Bereits die Art und Weise, wie Mátyás König wurde und dann als blutjunger Herrscher den Intrigen mächtiger Feinde standgehalten hat, beflügelte die Fantasie der Literaten noch im 19. Jahrhundert. Der Name Hunyadi hatte beim niederen Adel und beim Volk einen geradezu magischen Klang. Der aus der Prager Gefangenschaft befreite 15-jährige Mátyás bewies bald, dass er nicht nur aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie sein Vater, sondern dass er ihn auch als politischer Taktiker, schlauer Diplomat und entschlossener Staatsmann weit übertraf. Er wurde ein typischer Renaissancefürst, der je nach Laune und Interesse unbarmherzig oder versöhnlich, rachsüchtig oder ritterlich sein konnte – Träger der nationalen Tradition auch im Sinne der »Erfindung der Geschichte« und zugleich der kosmopolitischste Herrscher der ungarischen Historie.
Dass er die blutige Begleichung alter Rechnungen zwischen seiner Familie und den König Ladislaus unterstützenden feindlichen Oligarchen überhaupt überlebt hat, grenzte schon fast an ein Wunder. Seine Freilassung, den Pakt mit den Hunyadi-Gegnern und schließlich die Thronbesteigung verdankte er der Durchsetzungskraft seines gewieften Onkels Mihály Szilágyi und dem Verhandlungsgeschick seines Erziehers und väterlichen Freundes, Bischof János Vitéz. Dieser hatte mit dem tschechischen Reichsverweser und späteren König Georg Podiebrad einen Geheimpakt über Mátyás’ Freilassung und seine Verlobung mit Podiebrads Tochter Katalin geschlossen. Fast gleichzeitig erreichten Mátyás’ Mutter und sein Onkel einen Friedensschluss mit dem feindlichen Palatin Garai, der einige Monate zuvor das Todesurteil gegen den älteren Hunyadi-Sohn verhängt hatte. Nun war der Garai-Clan bereit, die Thronbesteigung des jüngeren hinzunehmen – unter der Bedingung, dass er die Tochter des Palatins, Anna, heiraten und an den Mördern seines Bruders keine Rache nehmen würde. Die Magnaten und Prälaten einigten sich auf seine Wahl, und am 24. Januar 1458 riefen die Vertreter des auf der zugefrorenen Donau versammelten niederen Adels – nach der literarischen Überlieferung rund 40 000 Bewaffnete – den 15-Jährigen zum König aus. Für fünf Jahre stellte ihm der Reichstag seinen Onkel Szilágyi als Reichsverweser zur Seite.
Aus der Obhut seines späteren Schwiegervaters befreit, wurde der junge Mátyás nach Buda gebracht, wo er unter allgemeinem Jubel des Volkes den Thron bestieg. Die Krönung fand allerdings erst sechs Jahre später, nach der Rückgabe der Krone durch Kaiser Friedrich III., statt. Doch der erste »Volkskönig« in der Geschichte der ungarischen Nation stellte bereits nach wenigen Monaten seine Führungsqualitäten unter Beweis, indem er sich von jeder Bevormundung durch die Oligarchen, die ihn auf den Thron gehoben hatten, löste. Kaum fünf Monate nach seiner Wahl hatten sich die Oligarchen, unterstützt vom Regenten Szilágyi, bereits gegen den viel zu ehrgeizigen jungen König verschworen. Mátyás I. reagierte blitzschnell: Er enthob die Hauptverschwörer, also den Palatin und die Woiwoden Siebenbürgens, ihrer Ämter; sein Onkel Szilágyi musste als Reichsverweser im Sommer 1458 zurücktreten und wurde wegen verschwörerischer Umtriebe einige Wochen später in Haft genommen. 25 Magnaten, geleitet von dem abgelösten Palatin Garai, wählten daraufhin in Güssing im Februar 1459 Kaiser Friedrich III. zum König von Ungarn. Der Habsburger hatte immerhin seit 1440 die heilige Krone in seinem Besitz, was den Verschwörern als Argument diente: »Wer die Krone hat, dem gehört das Land.« Der Kaiser nahm das Angebot gnädig an. Er unterließ es auch nicht, auf die »niedere Herkunft« von Mátyás zu verweisen. Der Aufstand brach jedoch schnell in sich zusammen.
Der Streit zwischen Friedrich III. und Matthias I. dauerte noch weitere fünf Jahre, bis zum Friedensschluss von Wiener Neustadt am 19. Juli 1462. Fünf Tage später konnte der Kaiser endlich zur Herausgabe der Stephanskrone bewegt werden. Allerdings war der Preis in jeder Hinsicht so hoch, dass ungarische Historiker Kaiser Friedrich als den eigentlichen Sieger bezeichneten. So musste Mátyás für die heilige Krone und für die vor 22 Jahren ebenfalls von Königin Elisabeth verpfändete Stadt Sopron (Ödenburg) 80.000 Goldgulden (rund zwei Fünftel des königlichen Einkommens aus Hoheitsrechten des Jahres 1454) zahlen. Darüber hinaus behielt Friedrich die Besitzungen in Westungarn (Burgenland). Ferner trug er, wie Mátyás, den ungarischen Königstitel und sollte den ungarischen Thron erben, falls Mátyás ohne rechtmäßige Nachkommen starb. Dass der Kaiser 27 Jahre älter war als der junge ungarische König, verlieh dieser Klausel des Vertrages einen eher lächerlichen Anstrich, doch sollte Friedrich den jungen Herausforderer tatsächlich um drei Jahre überleben! Es war ein geringer Trost, dass der Kaiser Mátyás als Sohn annahm.
Im nächsten Frühjahr wurde »Matthias I. Corvinus« dann feierlich gekrönt. Er erhielt den Namen Corvinus nach dem Raben in seinem Wappen. Sein Hofhistoriker Antonio Bonfini erfand später für das Familienwappen der Hunyadi eine familiäre Verbindung zu einem Valerius Corvinus, einem vornehmen römischen Ritter, der mithilfe eines Raben einen gallischen Riesen besiegt haben soll und sogar eine »Abstammung von Jupiter« aufweisen konnte … Kurz: Es ging um die Legitimation eines von Habsburg und Jagiello nicht als ebenbürtig angesehenen »Aufsteigers«. Jedenfalls wurden hier imperiale Ambitionen in der Außenpolitik des Königs mit seinem persönlichen Geltungsbedürfnis in Einklang gebracht.
Bei der Krönungsfeier anlässlich der Sitzung des Reichstages in Székesfehérvár ritt Mátyás auf einem Pferd zu einem Hügel, wo er unter freiem Himmel, die Hände zum Himmel erhoben, den Eid sprach, er wolle die Verfassung des Landes einhalten. Dann galoppierte er auf den Hügel, um mit gezogenem Schwert in die vier Himmelsrichtungen zu schlagen. Mit Verfassung waren zwei grundlegende Gesetze gemeint: die Goldene Bulle von András II. von 1222 und das Gesetz Ludwigs des Großen von 1351, also die Zusammenfassung der Vorrechte des Adels. Mit den vier Schwertstreichen tat der König kund, dass er das Land gegen jeden Feind verteidigen werde, woher er auch käme.
In den ersten fünf Jahren seiner Herrschaft, also vor der Krönung, hat Mátyás I. aber bereits die Voraussetzungen für die absolute Macht seines Königtums und für die Beschneidung der Vorrechte der feudalen Großgrundbesitzer geschaffen. In diesen fünf Jahren befreite er sich von jeder Bevormundung durch seinen Onkel (Szilágyi fiel Ende 1460 in türkische Gefangenschaft und wurde auf Befehl des Sultans enthauptet); er zerschlug die innere Opposition der alten Aristokratie, siegte über die Türken, wies den berühmten Johann Giskra, den Anführer der böhmischen Söldner, die so lange im nördlichen Grenzgebiet geplündert hatten, in die Schranken, und als Höhepunkt der Erfolgsserie nahm er den Türken die Festung Jajce in Bosnien ab und sicherte dadurch die Ruhigstellung der südlichen Grenzen. Er war nicht nur erfolgreich, sondern auch sehr populär, ein richtiger »Soldatenkönig«, der mit seinen Kämpfern gemeinsam in die Schlacht zog und nachts auf seinem Mantel mitten unter ihnen schlief.