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Kapitel XI GÁBOR BETHLEN – VASALL, PATRIOT UND EUROPÄER

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»Ach, wenn er entweder nicht geboren worden wäre oder aber ewig gelebt hätte!« Mit diesen bitteren Worten trauerte in seinen Erinnerungen János Kemény um den Fürsten von Siebenbürgen, Gábor (Gabriel) Bethlen (1613–1629), dessen treuer Anhänger und Nachfolger er war. Bethlen, den manche den »ungarischen Machiavelli« genannt haben, war einer der unergründlichsten, erstaunlichsten und bedeutendsten Staatsmänner der ungarischen Geschichte, zugleich der erfolgreichste und auch international meistbeachtete Herrscher des Fürstentums Siebenbürgen.

Von dem Mann, der als Begründer und Symbol der »Goldenen Zeit« in der relativ kurzen Geschichte des autonomen Siebenbürgens gilt, entwarf Golo Mann in seinem Wallenstein69 eine düstere und zum Teil äußerst oberflächliche Porträtskizze. Bethlen sei ein »fast leibeigener Vasall der Türken« gewesen, »ein Magyar und entscheidender Calviner … in weltlichen Dingen aber wetterwendisch, immer neue Herrschaftsprojekte in seinem Geiste wälzend«, »unverlässlich«, »einem Hirn-Phantom«, einem »noch nie da gewesenen Herrschaftsgebilde« nachjagend, »aus schweifendem Ehrgeiz wie auch aus Furcht«; einer schließlich, »der mit seinen Barbaren rasch am Orte erschien, Hoffnungen erweckte, Rätsel aufgab und wieder verschwand«. Golo Mann macht sich zudem lustig über die Bücher, in denen Bethlen als »europafremder Barbar«, als »beschnittener und heimlicher Mohammedaner«, ja sogar als »Tatar oder was noch« geschildert wurde, und berichtigt, dass der Fürst aus einer »altmagyarischen Adelsfamilie« stammte und in zweiter Ehe mit Katharina von Brandenburg verheiratet war. Letzteres stimmt, doch die Feststellung, Bethlen habe ein »magyarisch-slawisches Reich«, ein »halb protestantisches, halb orthodoxes Königreich Dakien, einschließlich der Moldau, der Walachei …« schaffen wollen, ist ein Produkt historiografischer Fantasie. Weder in den 1500 erhaltenen Briefen noch in den zahlreichen Studien über seine Zeit gibt es ernst zu nehmende Hinweise auf solche Vorstellungen.

Vielmehr zeigen zwei – in der ungarischen und internationalen Geschichtsschreibung viel diskutierte – einsame Entschlüsse des Fürsten, dass er sich stets von einem wachen Sinn für Realitäten der Macht leiten ließ: einmal im November 1619, als er statt eines allgemein befürchteten Generalangriffes auf Wien den Abzug seiner Truppen nach Pressburg befahl, und ein Jahr später, als er die angebotene und auch von seinen türkischen Schirmherren bewilligte Krönung zum König von Ungarn letztlich abwies. Dass der Herrscher eines kleinen Staates »in Europas tiefstem Südosten« (so Golo Mann) sich weit über das winzige Fürstentum hinaus Geltung verschaffte und in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges durch drei mit wechselnden Bündnispartnern unternommene Angriffe gegen die Habsburger die Karten neu mischte, liefert den eindeutigen Beweis für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als ungeschlagener Feldherr und brillanter Diplomat. Im Grunde war Bethlen ein zynischer Taktiker der Macht, der sein Land auch zu Zeiten seiner Feldzüge fest im Griff hielt.

Zu den Unberechenbarkeiten der ungarischen Geschichte gehörte stets das fallweise Auftreten charismatischer Persönlichkeiten, die einen angehäuften Zündstoff zur Explosion brachten oder aber umgekehrt durch die Kunst der kleinen Schritte eine scheinbar ausweglose Situation zu meistern vermochten. Gábor Bethlen war unbeliebt und umstritten, ihm wurde misstraut, und er wurde bekämpft, doch in einer Hinsicht gab es keinen Unterschied zwischen Anhängern und Feinden, Verherrlichung und Kritik: Alle haben seine Größe als Staatsmann und Politiker, wenn auch oft widerwillig, anerkannt.70

Bereits die Umstände seiner Machtergreifung waren einzigartig. Bethlen, geboren 1580, diente zunächst drei Fürsten als diplomatischer Berater, kämpfte in 34 Schlachten, wurde mehrfach verwundet und setzte nach zweimaliger Emigration erst als 33-jähriger, mit allen Wassern gewaschener Veteran der Palastintrigen und Machtkämpfe zum entscheidenden Sprung an die Staatsspitze an. Der regierende Fürst Báthory hatte sich nach verschiedenen Eskapaden mit den Habsburgern arrangieren wollen. Bethlen dagegen vertrat stets die Linie der Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit Siebenbürgens unter türkischem Schutz. Zwar hatte er Báthory seinerzeit in den Sattel gehoben, infolge der gegenseitigen Entfremdung und eines angeblichen Mordkomplottes des Fürsten gegen seinen türkenfreundlichen Berater flüchtete Bethlen dann aber mit 50 Anhängern in die türkische Emigration. Auf diese Weise bot sich ihm auch die Gelegenheit, mit den maßgeblichen Paschas in Temesvar und Buda, Belgrad und Adrianopel zu beraten, gegen den unsteten und immer unzuverlässigen Báthory zu intrigieren und vor allem das Vertrauen des Großwesirs sowie des Sultans zu gewinnen.

Es ging alles nach Wunsch: Bethlen wurde als Vertrauensmann der Pforte mit der Ablösung des glücklosen Báthory beauftragt. Mit ihm kamen aus allen Richtungen türkisch-tatarisch-rumänische Truppen. Zum ersten Mal in der siebenbürgischen Geschichte ließ ein türkischer Befehlshaber, Skender Pascha von Kanizsa, den Landtag des Fürstentums nach Kolozsvár einberufen, um den Kandidaten der Hohen Pforte, nämlich Bethlen, zum Fürsten zu »wählen«. Rund 80 000 fremde Soldaten verliehen dem Machtanspruch Bethlens den notwendigen Nachdruck. Man schätzt, dass sich nie zuvor so viele Türken und Tataren im Fürstentum aufhielten wie in diesen folgenschweren Monaten des Jahres 1613. Trotzdem wurde die Wahl, wohlgemerkt nach handfesten Drohungen des Paschas, ordnungsgemäß durchgeführt, um den Anschein der Legalität zu wahren. Bereits bei der Fürstenwahl legte Bethlen beredtes Zeugnis von seinem diplomatischen Geschick ab. Er bat die auf Skender Paschas Befehl einberufenen Stände, seine nach der Flucht von 1612 ausgesprochene Verbannung aufzuheben. Danach verließ er den Saal. Es war eine höfliche Verbeugung vor dem siebenbürgischen Adel im Augenblick von dessen beispielloser Erniedrigung.

Der untersetzte, bärtige Mann ohne höhere Bildung musste aber mit ansehen, wie die Truppen, die ihn an die Macht gebracht hatten, eine Spur der Verwüstung und des Menschenraubs hinterließen. Selbst den Paschas entglitt die Kontrolle über die orgiastische Mordlust der Soldateska. Sein Bedauern über die Schandtaten der Truppen seiner Schirmherren hat der Fürst freilich ebenso wenig ausgedrückt, wie er sich vor der »Wahl« um die Gründung einer adligen Gruppe oder Partei, um die Unterstützung durch den König oder die Magnaten im Königlichen Ungarn gekümmert hatte. Die öffentliche Meinung schien Bethlen nicht zu interessieren. Buchstäblich in allem setzte der Herausforderer des regierenden Fürsten auf die Hohe Pforte, weil er wusste, dass Siebenbürgens Schicksal dort, und nur dort, entschieden werde.

Vier Tage nach seiner Wahl wurde der abgesetzte Báthory unter ungeklärten Umständen auf offener Straße von mehreren Heiducken umgebracht. Die hartnäckigen Gerüchte über Bethlen als Auftraggeber konnten nie erhärtet werden. Nur der im letzten Lebensjahr Bethlens als Tanzmeister an seinen Hof verpflichtete spanische Adlige Don Diego de Estrada behauptete in seinen Memoiren, die erst 300 Jahre später in Madrid gedruckt wurden, der Fürst habe ihm erzählt, dass Báthory deshalb habe büßen müssen, weil er in Abwesenheit Bethlens dessen erste Frau vergewaltigt hätte.

Trotz der Loyalität des von den Türken eingesetzten Fürsten, der sehr schnell einen Weg der Versöhnung mit seinen sächsischen und ungarischen Gegnern fand, und trotz mutiger Kompromisse konnte Bethlen seine Macht nicht ungestört ausüben. Seine Schirmherren wollten zusätzliche handfeste und für das Ansehen des Vasallen besonders peinliche Beweise seiner Abhängigkeit.

Durch hochrangige Abgesandte drängte die Pforte auf die Übergabe von zwei Festungen, die seit mehreren Jahren von ungarischen Kämpfern gehalten wurden. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es Bethlen, die Forderungen zu reduzieren, sodass er den Türken nur die Burg Lippa im südwestlichen Grenzgebiet zu überlassen brauchte. Doch die Besatzung leistete Widerstand. So war Bethlen gezwungen, die Festung gegen seinen eigenen Willen einzunehmen und nach dreizehntägigen blutigen Kämpfen an die Türken zu übergeben. Noch nie hatte ein ungarischer Herrscher freiwillig eine Burg der türkischen Macht überlassen. Der Fall markierte wohl den Tiefpunkt in der Laufbahn des Fürsten.

In der von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften 1986 herausgegebenen dreibändigen Geschichte Siebenbürgens beurteilte man die Übergabe Lippas in sehr eindeutiger Weise:

Wäre Gábor Bethlen damals gestorben, so würden wir ihn zu den dunkelsten Gestalten der ungarischen Geschichte zählen. Da es aber nicht so kam, sondern ihm noch dreizehn Jahre der Herrschaft verblieben, stieg er in die Reihe der größten historischen Persönlichkeiten auf.

Doch wie hat Bethlen dieses politische Wunder, die erfolgreiche Gratwanderung zwischen dem misstrauischen Adel und Volk Siebenbürgens einerseits, der stets wachsamen und von Zeit zu Zeit in eigene undurchsichtige Machtkämpfe verstrickten Hohen Pforte andererseits und überdies oft inmitten komplizierter Verhandlungen mit den wankenden ungarischen Magnaten, im königlich-habsburgischen Ungarn vollbracht? In einer bestechenden Studie wies die ungarische Schriftstellerin Ágnes Hankiss71 darauf hin, dass Bethlen die nationale Abhängigkeit zu verringern suchte, indem er, sich auf eine fremde Macht stützend, verdeckt gegen eine andere fremde Macht ankämpfte. Es sei ein Seiltanz zwischen historischer Zielsetzung und erzwungenem Opportunismus gewesen.

Für Bethlen rechtfertigte das Ziel die Mittel. In diesem Sinn mag er ein ungarischer Machiavelli calvinistischer Prägung gewesen sein: Bei ihm waren der Fatalismus des Florentiners und die calvinistische göttliche Vorherbestimmung (Prädestination) keine Gegensätze. Doch was war das Ziel? Die schrittweise Verwirklichung eines kühnen, in ihrer gesamteuropäischen Dimension geradezu waghalsig anmutenden Konzepts, dessen wichtigste Punkte lauteten:

•Absicherung der Selbstständigkeit Siebenbürgens durch türkische Hilfe gegen die politische Expansion und die religiöse Intoleranz der Habsburger,

•Bündnis mit den protestantischen Ständen Böhmens und Mährens beziehungsweise nach ihrer Niederlage 1620 mit Schweden, Holland und England, um den Weg zur Wiedererrichtung eines vereinigten Ungarns zu öffnen,

•Inthronisation eines nationalen Königs,

•Bildung einer gesamteuropäischen Anti-Habsburg-Koalition, die auch ein gewisses Maß an Sicherheit gegen die Gefahr einer totalen Abhängigkeit vom Osmanischen Reich zu bieten vermochte.

Bethlen schwebte also die Wiedererrichtung des Reiches von König Matthias vor, noch dazu mithilfe ebenjener türkischen Macht, die es knapp ein Jahrhundert zuvor vernichtet hatte. Ihn dafür pauschal zu verurteilen, wie es einige Historiker (auch Golo Mann) getan haben, ist meines Erachtens falsch. Sicher, die kühnen gesamteuropäischen Pläne Bethlens beruhten zum Teil auf Fehleinschätzungen nicht nur des Kräftegleichgewichtes zwischen den Großmächten und der eigenen Möglichkeiten; auch hegte Bethlen Illusionen bezüglich der Haltung der Magnaten und des Adels im Königlichen Ungarn. Aber aus der Retrospektive und in Kenntnis des Fortganges der Geschichte lässt sich ein Experiment leicht abqualifizieren. Aus damaliger Sicht war es so realitätsfern nicht – und zumindest einen Versuch wert. Laut Szekfű lag die Tragik Bethlens darin, dass er zu früh kam, als die Ungarn im Westen noch glaubten, ihre Wünsche in Wien ohne Waffen durchsetzen zu können. Ein halbes Jahrhundert später wäre es leichter gewesen. Dann herrschte in der Person des Fürsten Mihály (Michael) Apafi freilich schon ein außenpolitisch schwacher, wahrer Vasall, der seinen Untertanen allerdings durch geschicktes Lavieren eine lange Friedensperiode bescherte.

Bethlens Europapolitik war ein wahres Feuerwerk an Einfällen, Intrigen und blitzschnellen Aktionen, die die Zeitgenossen oft verwirrten und deshalb eine entgegengesetzte Wirkung auslösten. Dieser geniale Machtpolitiker war keineswegs ein Werkzeug der Hohen Pforte, und er handelte auch nicht nur im Interesse des Osmanischen Reiches. Er war »ein Seiltänzer in der Kunst der kleinen Schritte« (Hankiss). Enthüllte er seine wahren Absichten, drohte früher oder später ein türkischer Gegenschlag; verbarg er sie aber zu gut, konnte er das Vertrauen des Volkes und seiner Bündnispartner kaum gewinnen, geschweige denn es auf Dauer behalten. Das Urteil eines namentlich nicht genannten türkischen Würdenträgers lautete: »Dieser Ungläubige hat den Armeen des Islams nie geholfen. Er hat immer nur an sein eigenes Land gedacht.« So eindeutig sah es der englische Gesandte bei der Hohen Pforte, Sir Thomas Roe, allerdings keineswegs. Er hat den schlauen Fürsten bewundert, seinen Charakter aber nie verstanden und seine Berichte nach London stets mit den Worten geschlossen: »… but all this is dissimulation« (… aber all dies ist nur Heuchelei).72

Die umfangreiche Korrespondenz Bethlens sowie die Memoiren und Zeugnisse von Zeitgenossen lassen keinen Zweifel an seinen wahren Ansichten: Er glaubte nicht daran, dass das Haus Habsburg die Türken aus ganz Ungarn vertreiben könne oder dies überhaupt wolle. Nach seinem Konzept bot nur ein wiedererstandenes nationales Königreich Ungarn den Weg zur Eigenständigkeit, zunächst unter dem Schutz der Pforte, aber später, eines Tages nach einer Wende in den Kräfteverhältnissen, auch gegen die »Schutzmacht«. Im Gegensatz zu seinen bedeutendsten Gegnern auf der kaiserlich-katholischen Seite, zu denen Primas Péter Pázmány, der Wortführer der Gegenreformation, und Miklós Esterházy, der mächtige Statthalter, zählten, hatte Bethlen seine gesamte Politik dem nahen ersten Ziel, nämlich der Abwehr der habsburgischen Expansion ostwärts, untergeordnet. Das türkische System der Vasallenstaaten ließ letzten Endes nicht nur Bethlen, sondern auch seinem Nachfolger György I. Rákóczi genügend Spielraum für eigene Konzepte, und zwar so viel, dass die beiden sogar einen Bund mit Schweden und Brandenburg gegen den Kaiser eingehen konnten.

Bethlen hatte die Bedeutung des Prager Aufstandes gegen die Habsburger sofort erkannt und wollte unter keinen Umständen neutral bleiben. Nach der Zustimmung seiner türkischen Schirmherren knüpfte er Kontakte zu protestantischen ungarischen Aristokraten und tschechischen Aufständischen. Im Spätsommer 1619 bot der Fürst Böhmen seine Hilfe an und griff nach einem unglaublich raschen Vormarsch über große Entfernungen in den Dreißigjährigen Krieg ein. Mit einem raffinierten Täuschungsmanöver, gefolgt von einem groß angelegten Angriff, eroberten seine Truppen in einer Zangenbewegung die Stadt Kassa im nordöstlichen Oberungarn und die damalige Hauptstadt Ungarns, Pressburg, wo ihm der Palatin die im Schloss verwahrte Stephanskrone überreichte. Binnen Kurzem nahm Bethlen das Königliche Ungarn fast zur Gänze ein und erschien, wie bereits erwähnt, an der Spitze eines auf 50 000 Mann geschätzten Heeres aus böhmischen, mährischen und ungarischen Kriegsscharen vor Wien.

Dass er sich dann doch zum Rückzug nach Pressburg entschloss, hatte vermutlich mehrere Gründe. Offiziell ließ der Fürst den Abbruch der Belagerung Wiens mit dem Einfall polnischer Söldner in Ostungarn erklären, die über die Karpaten vorgedrungen waren, mit seinem Urfeind, dem katholischen Magnaten Homonnai, gemeinsame Sache machten und seine Herrschaft in Siebenbürgen bedrohten. Viel wahrscheinlicher ist indessen, dass er die Aussichtslosigkeit einer Belagerung Wiens erkannt hatte. Bethlen zog die moralische einer militärischen Niederlage vor, was im Übrigen seine Popularität in Ungarn nicht geschmälert hat.

Bereits ein Jahr später stand Bethlen mit seinen leichten Reitern wieder im Königlichen Ungarn. Angesichts der Gefahr einer erstarkten habsburgischen Zentralmacht unterstützte die Mehrheit der ungarischen Magnaten Bethlen nun zwar als Kandidaten für den ungarischen Thron, doch der Preis wäre praktisch seine totale Entmachtung und die Umwandlung des neuen Staates in eine Spielwiese für uneingeschränkte Privilegien des Adels gewesen. Am 25. August 1620 fand die Königswahl in Besztercebánya (Neusohl/slowak. Banská Bystrica) auch tatsächlich statt, aber mit der Krönung wollte Bethlen noch bis zum Ausgang des Krieges beziehungsweise bis zu einem Abkommen mit Kaiser Ferdinand II. warten.

Inzwischen machten Bethlen allerlei Widrigkeiten zu schaffen, vor allem eine folgenschwere Diskreditierung durch den Pascha von Buda: Der Türke hatte, statt die kämpfende Armee des Fürsten zu unterstützen, die Burg von Vác (Waitzen) belagert und eingenommen. Sodann erlitten die böhmischen Stände am 8. November 1620 am Weißen Berg bei Prag eine entscheidende Niederlage. Angesichts des Zusammenbruches in Böhmen und der nachfolgenden grausamen Vergeltung wollten die Stände im Königlichen Ungarn nie wieder ein Risiko mit Bethlen eingehen. Nur Bethlen kämpfte weiter. Er kapitulierte nicht und nahm in den Gebieten, die seiner Kontrolle unterstanden, zahlreiche protestantische Flüchtlinge auf. Leopold Ranke bemerkte über diese Zeit, Fürst Bethlen sei ein mächtiges Oberhaupt der Weltbewegung geworden.

Indessen bombardierte Bethlen die Hohe Pforte mit Briefen, in denen er genaue Vorschläge für Militäraktionen gegen Wien präsentierte. Mit 11 000 Tataren und 4500 Infanteristen als Verstärkung für seine Truppen könne er sogar Prag und Krakau einnehmen, schrieb er zum Beispiel am 10. Februar 1621 nach Konstantinopel. Die ungarischen Stände kapitulierten, erwirkten von Kaiser Ferdinand eine volle Amnestie und beträchtliche Steuererleichterungen. Schließlich war Bethlen Ende 1621 im Nikolsburger Friedensvertrag bereit, auf den Königstitel zu verzichten und die Stephanskrone zurückzugeben. Im Gegenzug gelang es ihm, sieben Komitate in Oberungarn seiner Kontrolle zu unterstellen sowie im Königlichen Ungarn die ständische Selbstverwaltung und die Glaubensfreiheit für Protestanten zu sichern. Er schaltete sich aufseiten der deutschen Protestanten 1623 wieder in den Krieg ein, und es kam dann durch Vermittlung des ungarischen Palatins zu einem neuerlichen Friedensvertrag.

1626 griff Bethlen als Verbündeter der englisch-niederländisch-dänischen Koalition neuerlich die Habsburger an. Doch der große Zangenangriff, mit dem Truppen aus Brandenburg und Frankreich, ergänzt durch eine türkisch-russische Koalition gegen Polen, König Gustav Adolf von Schweden den Rücken freihalten sollten, kam – wie noch andere Konzepte Bethlens – nicht mehr zustande. Der Fürst war damals schon von einer schweren Krankheit gezeichnet.

Diese letzten kühnen Projekte waren erst durch seine Eheschließung mit Katharina, der Schwester des Kurfürsten von Brandenburg, möglich geworden. Infolge dieser dynastischen Verbindung war Bethlen nun auch mit dem Schwedenkönig verschwägert. In einem Brief an den Kurfürsten von Brandenburg führte Bethlen aus, dass das Haus Österreich nie aufhören werde, Ränke zu schmieden; daher müsse es vollständig vernichtet oder zumindest sehr erniedrigt werden …

Wenige wussten damals, dass derselbe Fürst Bethlen zwei Jahre zuvor eine ganz andere dynastische Verbindung eingehen wollte. Er hatte um die Hand der Tochter Ferdinands II. angehalten und wollte sich als Regent in Ungarn mit Unterstützung des Kaisers gegen die Türken wenden. Es sei möglich, die Türken in vier bis fünf Jahren aus ganz Ungarn zu vertreiben, hieß es. Das unerwartete Angebot löste Verwirrung aus und wurde letztlich als unglaubwürdig abgewiesen. Erst nach diesem gescheiterten Versuch, das Bündnis zu wechseln, hielt der Fürst um die Hand Katharinas an.

Gerade weil Gábor Bethlen einer der größten Briefschreiber in der ungarischen Geschichte war und als Fürst fast jeden Tag einen Brief verfasste, oft sogar eigenhändig, weiß man heute so viel auch über seine zuweilen doppelzüngige Taktik, seine verlogenen Argumente und seine auf die Spitze getriebene Heuchelei. Bethlen wollte weder mehr Land noch mehr Macht im konventionellen Sinn, sondern die Wiederherstellung des in drei Teile gespaltenen Königreiches Ungarn – selbstverständlich unter seiner Federführung. Er nutzte – oder versuchte es jedenfalls – alle Seiten für seine Ziele aus. Wenn auch damals unvergleichlich mehr Absprachen und diplomatische Manöver geheim gehalten werden konnten als heute, so wurde doch relativ viel von den hinterlistigen Ränken und den in mehrere Richtungen parallel abgegebenen Versprechungen Bethlens bekannt. Die unzähligen geheimen Boten, die damals ständig quer durch Europa unterwegs waren und unglaublich weite Strecken bewältigten, um die vielen Hundert Bethlen-Botschaften zuzustellen, wurden häufig genug von den Gegnern abgefangen oder schlicht bestochen.

Die selbstentlarvenden Briefe73, die etwa in Holland abgedruckt oder in einer Kölner Zeitschrift veröffentlicht wurden, schadeten zwar Bethlens Ansehen in einem begrenzten, freilich politisch wichtigen Kreis, doch änderte dies nichts an der Tatsache, dass er bis zu seinem Tode am 15. November 1629 dem kleinen Fürstentum Siebenbürgen eine starke und bedeutende Position sicherte. Seine Armee wurde nie besiegt. Selbst ein Wallenstein zog sich vor einer entscheidenden Schlacht mit ihm zurück. Siebenbürgen wurde in den 16 Jahren seiner Herrschaft, wie er in seinem Testament betonte, von keinem einzigen Feind betreten.

Darüber hinaus war Bethlen, wie schon erwähnt, nicht nur ein überzeugter Verfechter konfessioneller Toleranz, sondern auch ein großzügiger Förderer der Bildung und Wissenschaft. Von den 22 Studenten aus Siebenbürgen, die 1617 in Heidelberg studierten, waren 6 Stipendiaten des Fürsten. So hat sich Bethlen in einem Brief an seinen postumen Biografen Gáspár Bojti beispielsweise bereit erklärt, für vier Jahre die Kosten seines Studiums zu übernehmen. Er solle auch in Padua und Paris studieren, empfahl er ihm, und zwar nicht nur Theologie, sondern auch Philosophie, sodass Bojti ihm und seinem Land später in der Kirche wie auch in weltlichen Belangen dienen könne. Er gründete eine Hochschule und eine Bibliothek und lud deutsche Dichter und Musiker, Wiener Goldschmiede sowie Künstler aus Venedig nach Gyulafehérvár ein.

Ungarische Historiker halten Bethlen daher für den erfolgreichsten Herrscher seit König Matthias, der seine Macht nach den Grundsätzen eines modernen, merkantilistisch geprägten Absolutismus ausbaute. Während seiner Kriege geschah nichts, was das Fürstentum negativ betroffen hätte. Im Gegenteil! Für Siebenbürgen brach ein »Goldenes Zeitalter« an. Bethlens großzügige Förderung des Handels, des Gewerbes, des Bergbaus und der Ausfuhren trug erstaunlich schnell Früchte. Die Steigerung des Lebensstandards und die Verdoppelung der staatlichen Einkünfte schufen die Grundlage für seine ehrgeizige Außenpolitik und später für die Entfaltung fürstlicher Pracht.

Bethlen las viel. Auf den Feldzügen ließ er Bücher mitführen und in seinem Zelt einen Schreibtisch aufstellen. Der Glanz an seinem Hof versetzte bereits 1620 den Fürsten d’Angoulême in Erstaunen; bei seinem Besuch habe er »rien de barbare« vorgefunden, vermerkte er. Vor allem nach der Heirat mit Katharina von Brandenburg steigerte der Fürst die Ausgaben für seine Hofhaltung, die in den letzten Lebensjahren von zehn Prozent auf die Hälfte seines Einkommens stiegen. Obwohl von den Einrichtungsgegenständen des Fürstenpalastes kaum etwas erhalten ist, wissen wir aus den Inventaren und aus Erinnerungen von Zeitgenossen, dass sein Hof in Sachen Prunk und Pomp mit den verschwenderischen barocken Fürstenhöfen wetteiferte. So habe der Fürst allein im Jahr 1624 rund 1000 kostbare Teppiche und Anfang des nächsten Jahres 31 teure Ringe kaufen lassen.

Der Leiter des Siebenbürgen-Archivs, János Szalárdi, schrieb drei Jahrzehnte nach Bethlens Tod in seiner Schrift Das Lob des Fürsten G. Bethlen:

Er führte im Lande Freiheiten ein und damit den Gottesdienst und die freie Übung der heiligen evangelischen Religion, sodass sein guter Ruf und sein Ansehen in der ganzen Christenheit zunahmen; die Pforte und die türkische Nation vertrauten ihm und achteten ihn während seines ganzen Lebens. Daraus ergab sich, dass das Land während seiner gesamten Regierung in schönem Frieden lebte und von jedem äußeren Feind verschont blieb, dass jeder Stand an Zahl zunahm, an Wert gewann und dass sich die Bevölkerung des Landes vermehrte; er beschützte sein Volk auch während vieler Kämpfe und ließ die schwierigen fernen Kämpfe durch Söldner ausführen, da er sein Glück und sein Volk nicht mit der großen bewaffneten Armee des Kaisers sich messen lassen wollte, was ihm weder wünschenswert noch nützlich zu sein dünkte, und hielt sich heftige Kämpfe auf diese Weise fern.

Aus fremden Ländern ließ er in sein Land, keine Kosten scheuend, gute Handwerker, gelehrte Erfinder, Steinmetzen bringen … Mit anderen Worten, er begann das Haus zu bauen, und wenn sein Leben nur noch etwas länger gewährt hätte, hätte er der Nachwelt zum Nutzen und zur Verbreitung der Religion und zum Wohle des Staates und der Gemeinschaft bleibende ruhmvolle Werke hinterlassen …74

Jahrhunderte nach seinem Tod sind Bethlen, seine Konzepte, seine politischen Bestrebungen und Errungenschaften in der Geschichtsschreibung und im Urteil der Nachwelt immer noch umstritten. In seinen Briefen hat Bethlen nie aufgehört, die Feigheit, ja den Verrat der ungarischen Stände an der Sache der nationalen Befreiung und Vereinigung zu tadeln. Für die Magnaten und den Adel im Königlichen Ungarn galten die Bewahrung und möglichst der Ausbau ihrer Privilegien als die entscheidende Frage. Sie haben die Wiederherstellung der politischen Einheit Ungarns unter seiner Führung nicht gewünscht. Die rekatholisierten Stände setzten auf Habsburg. Kurz, der Adel war und blieb gespalten, und Bethlen wirkte durch seine Feldzüge und seine diplomatische Umtriebigkeit nicht als ein Mann der Versöhnung, sondern der Polarisierung. Er, der entschlossene Verfechter der ungarischen Eigenständigkeit, tat alles, um die Verwirklichung der politischen Einheit unter der Herrschaft Habsburgs zu vereiteln. Er, der überzeugte Verfechter der konfessionellen Toleranz, verstrickte das bis dahin von den Religionskonflikten mehr oder weniger verschont gebliebene Ungarn für Jahrzehnte in die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Reformation und Gegenreformation.

Auch viele handelnde Personen auf der anderen, der katholisch-habsburgischen Seite, wie etwa der berühmte Primas Péter Pázmány oder der königliche Statthalter Miklós Esterházy, waren auf ihre Art und trotz der von Kaiser Ferdinand gewährten handfesten Begünstigungen ungarische Patrioten, selbst wenn ihr Konzept erst zwei Generationen später von den Habsburgern und ganz anders erfüllt wurde, als sie sich das ursprünglich vorgestellt hatten. Die allgemeine Situation war, wie der ungarische Historiker Domokos Kosáry in einer Studie über die Gefahren der Geschichte herausgearbeitet hat,75 mehrschichtig: Einerseits wollten die Habsburger nicht zu große Kräfte in Ungarn binden; die Folge war, dass sie nicht stark und entschlossen genug ganz Ungarn für sich zu sichern trachteten, sondern bloß einen Landstrich, der für Österreichs Verteidigung notwendig erschien. Andererseits sei es eine Illusion gewesen, zu glauben, dass Ungarn unversehrt und mehr oder weniger unabhängig als Ganzes auf der Seite der Türkei agieren konnte; die Türken wollten die direkte Eroberung oder – in einer günstigeren Variante – einen Vasallenstaat.

Die Fragestellung »Mit wem gegen wen?« blieb für die Ungarn über alle Umwälzungen hinweg bis ins späte 20. Jahrhundert ebenso aktuell wie die Entscheidungsproblematik zwischen Revolution und Reform, Aufstand und Anpassung. Das gilt erst recht für jene Persönlichkeiten, die in einer bestimmten Situation oder Periode eine Schlüsselrolle gespielt haben. So kam es auch in der Spätphase des Kádár-Regimes in den 1980er-Jahren, nach den Feiern zum 400. Geburtstag Gábor Bethlens, zu spekulativen Vergleichen zwischen dem Siebenbürger Fürsten und dem kommunistischen Generalsekretär. Vor allem die zitierte hochinteressante Studie von Ágnes Hankiss über Bethlens »Seiltanz« und »Kunst der kleinen Schritte« gab Anlass zu, wohlgemerkt, nicht offenen oder gar öffentlichen, sondern verklausulierten Vergleichen, zumal auch János Kádár als Vasall im Dienste der Eroberer (nach der Niederschlagung des Oktober-Aufstandes durch die direkte und unverhüllte Militärmacht der Sowjets) eingesetzt wurde. Dass er dann in den Sechzigerjahren einen Weg der Versöhnung und kleinen Reformen ohne die Gefährdung der sowjetischen Vorherrschaft eingeschlagen hat, ergänzte die Ähnlichkeiten. In Wirklichkeit war freilich weder Hankiss’ Essay von 1983 noch das zwei Jahre später verfasste, eher in erotischen als politischen Motiven schwelgende Filmdrehbuch Empfindlicher Abschied von dem Fürsten ein Gleichnis mit Blick auf Kádár und seine Ära, versicherte mir die Autorin. Dass es aber in manchen Intellektuellenkreisen doch so aufgefasst wurde, zeigte die spontane Wirkung der tatsächlichen oder vermeintlichen Ähnlichkeiten in manchen Details der Machtausübung und Machterhaltung im Schatten der »Großdespotie« (Golo Mann).

In der Tat kam auch Kádár in einer scheinbar ausweglosen Situation an die Macht, und es gelang ihm durch eine Mischung aus brutaler Unterdrückung und geschickten peripheren Konzessionen die Gratwanderung zwischen dem stets wachsamen Unterdrücker und den infolge des Mangels an westlicher Unterstützung enttäuschten und dann resignierenden Unterdrückten. Auch er vermochte die Wirtschaft anzukurbeln und nach einer Zeit blutiger Wirren einen bescheidenen Wohlstand und eine Art Scheinstabilität zu bieten.

In Wirklichkeit waren die Unterschiede aber wesentlich größer, als die auf den ersten Blick so treffenden Vergleiche vermuten lassen. Verglichen mit dem Herrschaftssystem des Kommunismus und der sowjetischen Kolonialherrschaft war das Osmanische Reich, abgesehen von den periodischen Überfällen, ein Reich der Toleranz und multikulturellen Vielfalt. Der außenpolitische Spielraum Bethlens, mit seinen Angeboten und Kontakten nach allen Richtungen, wäre für einen kommunistischen Parteichef im direkten Einflussbereich der Sowjetunion nicht einmal im Traum vorstellbar gewesen. Der Unterschied zwischen dem Kontrollmechanismus der Osmanen und dem der Russen ähnelte dem zwischen einem Abakus und einem Computer. Überdies vertraten die beiden Persönlichkeiten Bethlen und Kádár zwei gänzlich verschiedene Welten, womit nicht nur der Unterschied von über 300 Jahren gemeint ist.

Bethlen führte in jeder Hinsicht ein pralles Leben; nie verlor er die Lust an diplomatischen Verhandlungen oder gar Kriegen. Er war ein Barockfürst, dessen Juwelen ein Vermögen wert waren und der sich mit Musikern, Sängern und Schauspielern umgab. Er kleidete sich Tag und Nacht in grellen Farben. Er war ein Genießer, der Seefisch, Austern und Südfrüchte importieren ließ. Das wenige, was wir von dem Menschen János Kádár wissen, besagt genau das Gegenteil. Er war und blieb auch in der Zeit seiner relativ hohen Popularität im Grunde ein völlig farbloser, introvertierter Mensch, der außer an Schach, Fischen und Jagd an nichts interessiert war. In einem einzigen Brief von Bethlen gibt es mehr mörderischen Sarkasmus, feine Ironie, blitzenden Zorn, herzliche Zuneigung oder verständnisvolle Solidarität als in all den stereotypen, vor Veröffentlichung von allen derben Wendungen sorgfältig gereinigten Reden und Erklärungen, Briefen und Interviews des ehemaligen ungarischen Parteichefs.

Was an den Vergleichen übrig beziehungsweise relevant geblieben ist, kann man unter zwei Aspekten zusammenfassen: Der jeweilige Spielraum für einen kleinen mittelosteuropäischen Staat lässt sich nur im Rahmen des europäischen Kräftegleichgewichtes abschätzen, und die Rolle der Persönlichkeit kann in Krisensituationen sowohl im 17. als auch im 20. Jahrhundert außerordentlich wichtig, manchmal sogar entscheidend sein. In dieser Hinsicht werden freilich die Kontraste zwischen Befürwortern eines Vorpreschens und Befürwortern eines Rückzugs, zwischen den Kämpfern und den Versöhnlern, zwischen den Unnachgiebigen und den Geschmeidigen im Verlauf der späteren ungarischen Geschichte noch viel spannender als die künstlich herbeigeführten und deshalb in der Substanz doch irreführenden Vergleiche zwischen einer historischen Größe wie Bethlen und einer tragischen Gestalt des Überganges wie Kádár, kurz, zwischen einem Treibenden und einem Getriebenen der Geschichte.

Die Ungarn

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