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Auch dass Ungarn unter Ludwig I. nicht nur in Polen und Neapel, in Dalmatien und der Walachei, sondern auch in Bosnien zeitweilig eine bedeutende Rolle spielte, hing mit verwandtschaftlichen Beziehungen und einem Ehevertrag zusammen: Der verwitwete König hatte die Tochter des mit den Arpaden verwandten Banus von Bosnien, die Serbin Elisabeth Kotromanić, geheiratet. Fortan wollte der tiefreligiöse König dort die Bogomilen bekämpfen, eine gnostische Sekte, die die Welt als Teufelswerk verabscheute.

Als Ausdruck seiner bedingungslosen Treue zur »wahren Religion« und als Geste an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ließ er in Aachen an den Kaiserdom eine ungarische Kapelle anbauen, in der bisher in der Schatzkammer lagernde Christus-Reliquien untergebracht werden sollten. Europa nahm den ungarischen König als wahrhaft »Großen«, als heiligmäßigen Mann wahr.

Wichtiger für sein Volk dürfte jedoch die Gründung der ersten ungarischen Universität in Pécs 1367 gewesen sein. Allerdings hatte sie nur für relativ kurze Zeit Bestand.

In der Erinnerung seiner Untertanen und auch ausländischer Zeitgenossen lebte Ludwig der Große als ein allgemein geliebter, echter Ritter fort, der sich stets durch seinen außergewöhnlichen Mut in der Schlacht ausgezeichnet hatte. Man kann es aber auch so sehen: Ludwig hat außer der Jagd den Krieg als seinen bevorzugten Zeitvertreib betrachtet. Auf ihn, den Ritterkönig, scheint exakt zuzutreffen, was der Historiker Georges Duby als Ideal und Geist des Mittelalters bezeichnete: »… die Trunkenheit des Gemetzels, die Freude am Blutvergießen, am Zerstören – und am Abend ein übersätes Schlachtfeld … Es rückt die alles erdrückende Figur des Ritters in den Vordergrund … Ein System der Werte, das sich ganz auf die Freude am Rauben und am Geben gründet, und auf den Angriff.«45 Anlässe dazu boten sich zuhauf, zumal Ludwig entgegen der ihm beharrlich zugeschriebenen Sanftmut ein aufbrausendes Wesen hatte. 1362 geriet er zum Beispiel einmal deshalb in Zorn, weil Kaiser Karl IV. sich abschätzig über seine Mutter, Königin Elisabeth, geäußert hatte. Ludwig verfügte daraufhin sofort eine allgemeine Mobilmachung und fiel an der Spitze seiner Truppen in Mähren ein.

Dennoch haben ihn erstaunlicherweise manche zeitgenössische Beobachter als Mann des Friedens bewundert. Der venezianische Gesandte schrieb über König Ludwig I.: »Ich rufe Gott zu meinem Zeugen an, dass ich nie einen majestätischeren oder mächtigeren Monarchen gesehen habe, der mehr als er nach Frieden und Ruhe strebt.« Ein anderer, von Macartney zitierter Zeitgenosse notiert: »Es gab niemanden, der so sanft und edel, so tugendhaft und großherzig, so freundlich und offen gewesen wäre.«46

Der Glanz der von italienischen und französischen Einflüssen geprägten höfischen Kultur, die großzügigen Schenkungen an die loyalen Barone und nicht zuletzt die durch die vielen Feldzüge gebotene Möglichkeit für den Kleinadel, sich auszuzeichnen und vielleicht zu bereichern, haben es den beiden Anjou-Königen erleichtert, das Land praktisch nach eigenem Gutdünken zu regieren und 60 Jahre lang keine Reichstage mehr abzuhalten. Andererseits hat Ludwig I. die Goldene Bulle von 1222 erneuert und allen Adligen »ein und dieselbe Freiheit« eingeräumt. Darüber hinaus bestätigte er das althergebrachte Erbrecht der adligen Sippe auf sämtliche Besitzungen ihrer Angehörigen. Diese mit der lateinischen Vokabel »aviticitas« bezeichnete Bindung, die bis 1848 in Kraft blieb, erwies sich auf lange Sicht als verheerend, da die Zementierung des adligen Grundbesitzes in der Familie die Entwicklung der Landwirtschaft blockierte und zwischen den Freien und Nichtfreien unüberwindbare Barrieren errichtete.

Am Ende der Regierungszeit König Ludwigs I. besaßen etwa 50 Familien ein Drittel des ungarischen Bodens. Ihre Position wurde durch das von den Anjous eingeführte System für die Waffendienstleistung weiter gestärkt. Der keiner Steuerpflicht unterliegende Adel musste Militärdienst leisten. Die Magnaten durften mit ihren Gefolgsleuten (den sogenannten familiares) unter ihrer eigenen Fahne antreten. Ein Verband von 50 Mann diente unter der Fahne seines Herrn und trug die Bezeichnung Banderium (aus dem Italienischen). Viele Angehörige des niederen Adels dienten jetzt in diesen Einheiten. Aufgrund dieser Neuerungen wurde ein beträchtlicher Teil des niederen Adels, darunter eben die Militärdienst leistenden Gefolgsleute, von den Oligarchen direkt abhängig. Nach König Ludwigs Tod schien sich die Geschichte zu wiederholen. Da er keine Söhne hinterließ, entstand ein ähnliches Machtvakuum wie nach dem Aussterben der Arpaden, das die mächtigen Oligarchen für ihre eigenen Zwecke nutzten.

Ludwig I. hatte seine ältere Tochter Maria und ihren am ungarischen Königshof erzogenen Verlobten Sigismund Markgraf von Luxemburg, den Sohn Kaiser Karls IV., zu Erben seiner beiden Königreiche bestimmt. Doch als die Polen die Personalunion mit Ungarn beendeten und die jüngere Tochter Hedwig zur Königin krönten, kam es in Ungarn zum erbitterten Kampf der rivalisierenden Magnaten. So wurde die elfjährige Maria zum »König« gekrönt, und die gewalttätige, willkürliche und rücksichtslose Königinmutter Elisabeth aus Bosnien übernahm die Regentschaft. Die ungarischen Adligen waren hinsichtlich der weiblichen Nachfolge geteilter Meinung. Die Vormundschaft der in breiten Kreisen verhassten Königinwitwe stieß auf starken Widerstand. Eine ungarische Gruppe setzte die Krönung des Vetters des Mädchens, des Neapolitaners Karl von Durazzo, genannt »der Kleine«, durch. Damit begann eine Kette von blutigen Abrechnungen, Meuchelmorden und Rachefeldzügen zwischen den macht- und habgierigen Magnaten, deren Intrigen und gegenseitige Abrechnungen so kompliziert waren wie das Libretto einer Verdi-Oper.

Bei der ersten Begegnung des »kleinen« Königs mit Maria und ihrer Mutter, der Regentin, im königlichen Schloss Visegrád überreichte diese Karl ein Dokument. Als er sich während des freundlichen Gespräches in das Studium des Textes vertiefte, griff ihn ein Magnat aus dem Gefolge der Königinnen mit einer Streitaxt an. Wenige Tage später starb der tödlich verwundete Karl. Er hatte insgesamt nur 39 Tage »regiert« – Stoff für zahlreiche Balladen. Karls Begleitung flüchtete zu der im Süden beheimateten Oligarchengruppe, die nach anscheinend versöhnlichen Verhandlungen die beiden Königinnen und ihre Gefolgsleute in den Süden lockte, wo grausame Rache geübt wurde. Wer die Königinnen begleitete, wurde aus der Kutsche gezerrt und umgebracht. Die Angreifer entführten Maria und die Königinmutter in die Burg des Sippenhäuptlings und zugleich Banus von Kroatien, der in Anwesenheit ihrer Tochter die Königinmutter angeblich mit eigenen Händen erwürgte. Maria, die nominelle Königin, wurde als Geisel fast ein Jahr in Dalmatien festgehalten.

Schließlich gelang es Sigismund, die Eheschließung mit Maria zu erzwingen. Nach einer formellen Vereinbarung mit den mächtigsten Oligarchen und Prälaten wurde er 1387 zum König gewählt. Karls führende Anhänger ließ er trotz seiner Versprechungen hinrichten. Der angebliche Mörder der Königinmutter wurde gefoltert, umgebracht und sein Leichnam gevierteilt. Maria selbst starb 24-jährig, schwanger, nach einem Reitunfall.

Sigismund (Zsigmond) regierte volle 50 Jahre: von 1387–1437. Aber eben nicht nur in Ungarn, wo er sich nicht allzu häufig blicken ließ. Er war ein mit allen Wassern gewaschener Taktiker, geltungssüchtig und ehrgeizig, ein Meister der aktiven und passiven Bestechung, zugleich begabt und von europäischen Projekten beseelt. Sigismund war von Geburt und von seiner Erziehung her ein Europäer par excellence. Seine Muttersprache war Französisch, aber er sprach auch ausgezeichnet Lateinisch, Deutsch, Tschechisch, Ungarisch und Italienisch. Seine Sprachbegabung soll Sigismund selbst so kommentiert haben: Er rede mit dem Papst lateinisch, mit den Dichtern und Malern italienisch, mit den politischen Magnaten ungarisch oder tschechisch, mit seinen Pferden deutsch, aber mit sich selbst französisch.

Sein Bild in der Geschichte wurde freilich vor allem durch seinen Wortbruch im Falle des tschechischen Kirchenrebellen Jan Hus verdunkelt. Als römischer König hatte er ihm freies Geleit zum Konstanzer Konzil zugesichert. Trotzdem wurden Hus und seine Begleiter als Häretiker verurteilt und verbrannt. Sigismunds Regierungszeit blieb vom Kampf gegen die Verbreitung der hussitischen Lehre in Böhmen und vor allem in Siebenbürgen sowie anderen Teilen Mitteleuropas überschattet.

Sigismund gedachte Ungarn als Sprungbrett für die Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne, der Eroberung der tschechischen Königskrone und der Kaiserkrone, zu nutzen. Machtbasis dazu konnte Ungarn aber nur als zentralistisch verwalteter Staat werden.

Im Land selbst war Sigismund allerdings außerordentlich unbeliebt. Wegen seiner häufigen Auslandsaufenthalte, seiner Verpflichtungen im Reich als römischer König seit 1410 und wegen der Kämpfe in und um Böhmen hat man ihn in Ungarn als Eindringling und Fremden betrachtet. Trotz des Baues einer prächtigen Residenz auf der Burg von Buda und trotz seiner testamentarischen Verfügung, ihn nicht im Reich, sondern in der Kathedrale von Nagyvárad (Großwardein) »zu Füßen des heiligen Ladislaus’« zu begraben, beklagten sich viele Ungarn darüber, dass der König die Interessen Ungarns vernachlässige. Am Ende trug Sigismund fünf Kronen, doch blieb seine Herrschaft in Ungarn und auch in Böhmen lange Jahre hindurch nur nominell. Eines seiner Opfer verfluchte Sigismund mit den zornigen Worten: »Ich bin bei Gott nicht Dein Diener, Du tschechisches Schwein!«

Aus ungarischer Sicht war die außenpolitische Bilanz düster. Die schwere Niederlage der von Sigismund selbst geführten Kreuzfahrer gegen die Türken bei Nikopolis (1396), deren immer häufigere Einfälle im Süden, der endgültige Verlust Dalmatiens an Venedig und die Angriffe der Hussiten in Oberungarn lösten auch innenpolitische Spannungen aus.47

Eines der bizarrsten Ereignisse war 1401 die vorübergehende Festnahme des Königs durch eine Gruppe von Adligen. Barone und Prälaten führten als Königlicher Rat im Namen »der heiligen Krone« das Land, waren aber selbst durch ihr Drängen nach Macht und Geld in diverse Gruppen gespalten, die einander je nach ihren augenblicklichen Interessen bekämpften oder unterstützten. Diese Rivalität hat weit über Sigismunds Regierungszeit hinaus die politische Instabilität im Lande geprägt. Der König erkaufte sich seine Freilassung beziehungsweise die Unterstützung der Vornehmen durch politische und finanzielle Zugeständnisse. Vor allem durch seine zweite Ehe mit Barbara von Cilli, der schönen, reichen und frivolen Tochter des Hauptes eines ursprünglich steirischen Grafengeschlechts, das inzwischen auch in Ungarn große Besitzungen erworben und mit der nicht weniger mächtigen Sippe des früheren Palatins Garai enge verwandtschaftliche Beziehungen gepflegt hatte, gelang es ihm, seine Position zu festigen.

Trotz mancher nützlicher wirtschaftlicher und administrativer Reformen war er niemals wirklich Herr im eigenen Land, das immer mehr von ein paar Dutzend machtgieriger Oligarchen auf Kosten der völlig entrechteten Bauern rücksichtslos ausgebeutet wurde. Im letzten Monat der Regierungszeit Sigismunds brach der erste große Bauernaufstand in Siebenbürgen aus. Teile des szeklerischen Kleinadels unterstützten den Anführer Antal Budai Nagy. Nur durch eine in panischer Angst gebildete »Union der drei Nationen« Siebenbürgens, das heißt durch ein Bündnis des ungarischen Adels, der Szekler (dem Adel gleichgestellte bäuerliche Gemeinfreie) und der Sachsen, konnte die Revolte niedergeschlagen werden.

Im Wahlkönigtum Ungarn vertraten den sogenannten »Willen der Nation« nur die rund 60 Magnatenfamilien, denen bereits zwei Fünftel des Bodens gehörten. Der von den mit den Baronen eng zusammenarbeitenden Prälaten kontrollierte kirchliche Besitz machte zwölf Prozent aus, wogegen die königlichen Burgen und Besitzungen bloß fünf Prozent des Bodens umfassten.

Nach dem Tode Sigismunds 1437 wurde sein Schwiegersohn Albrecht von Habsburg zum König von Ungarn gewählt, doch starb er kaum zwei Jahre später. So brach erneut eine dynastische Krise aus. Trotz der absoluten Dringlichkeit der alle anderen Probleme überschattenden Türkengefahr stürzte der Streit um die Nachfolge das Land wieder einmal in eine schwere innenpolitische Auseinandersetzung. Und diesmal wurden in den Kampf auch das Haus Habsburg und die polnische Jagiellonendynastie hineingezogen.

In den Mittelpunkt der Krise um die Thronfolge rückte die heilige Krone. Die königlichen Rechtsbefugnisse wurden dem thronberechtigten Nachkommen ja erst durch die kirchliche Salbung und die Krönung mit der Krone Stephans des Heiligen sowie durch Akklamation des zur kirchlichen Zeremonie zusammengeströmten Volkes übertragen. Seit dem 15. Jahrhundert hatte der König, bevor ihm die heilige Krone aufs Haupt gesetzt wurde, zudem einen Eid auf die vom Reichstag formulierten Bedingungen zu schwören und sein Versprechen, in Einklang mit den Gesetzen zu regieren, in einer Urkunde feierlich niederzulegen. Ohne Krone konnte es also keinen rechtmäßigen König Ungarns geben.

Elisabeth, die Tochter Sigismunds und Witwe Albrechts, im fünften Monat schwanger, beanspruchte für sich die Regentschaft, um den Thron für das nachgeborene Kind zu sichern. Zwei Tage vor der Geburt des Sohnes, des späteren Ladislaus’ V., entwendete ihre Kammerzofe Ilona Kottaner mit einigen Helfern die in der Visegráder Burg aufbewahrte heilige Krone und schmuggelte sie im Auftrag der Königin nach Österreich. Es gelang Königin Elisabeth, den Kardinal und Erzbischof von Esztergom, Dénes Szécsi, dafür zu gewinnen, den drei Monate alten Säugling mit der gestohlenen heiligen Krone in Székesfehérvár zum König zu krönen. Damit war die seit dem Ableben des letzten Arpadenkönigs als unerlässliche Bedingung der Legitimität erforderliche Weihe vollzogen.

Inzwischen hatten die ungarischen Stände den erst 16-jährigen Polenkönig Wladislaw I. Jagiello unter dem Namen Ulászló I. zum ungarischen König gewählt. Die heilige Krone befand sich aber, zusammen mit dem kleinen Ladislaus, streng bewacht im Wiener Neustädter Hof des späteren Kaisers Friedrich III. (Es dauerte fast ein Vierteljahrhundert, bis sie gegen einen sehr hohen Preis wieder an Ungarn zurückgegeben wurde.) Angesichts der Türkengefahr erwies sich die von der Mehrheit der Stände vertretene Realpolitik stärker als das geheiligte Prinzip der Legitimität. Derselbe Kardinal Szécsi, der den Säugling Mitte Mai mit der Königswürde versehen hatte, war drei Monate später bereit, in derselben Krönungskirche in Székesfehérvár den gewählten Wladislaw I. zum Ungarnkönig zu krönen. Die Stände erklärten also die Krönung Ladislaus’ feierlich für ungültig.

Wie aber sollte Wladislaw ohne die Stephanskrone rechtmäßiger König werden? Man behalf sich mit der Krone eines Reliquienbehälters aus der Kirche, und die bei der Zeremonie anwesenden Prälaten, Barone und Adligen übertrugen schlicht und einfach »die Wirksamkeit und die Kraft« der von Königin Elisabeth entwendeten heiligen Krone, »die ja von der Zustimmung der Einwohner des Landes abhängt«, auf die nun verwendete Verlegenheitskrone. Zwischen dem Lager der Königin und dem des neuen Königs brach sofort ein fast zwei Jahre dauernder Bürgerkrieg aus, ohne Rücksicht darauf, dass Ungarn von den Türken immer stärker bedrängt wurde.

Der junge König aus dem Haus Jagiello wandte sich zwar energisch gegen diese Gefahr aus dem Süden, er fiel aber bereits im November 1444. Wegen seines mutigen, jedoch ungestümen und für den Ausgang der Schlacht verhängnisvollen vorschnellen Sturmangriffes verlor er bei Varna sein Heer und sein Leben. Nun einigten sich die ungarischen Stände doch noch auf König Ladislaus, der aber von Kaiser Friedrich III. weiterhin an seinem Hof zurückgehalten wurde. Damit schlug die Stunde des genialen Heerführers János (Johann) Hunyadi, den die Stände 1446 für die Dauer des Interregnums (der königlosen Zeit) zum Reichsverweser (Gubernator) bestellten.

Die Ungarn

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