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Der Laden und die Brautkutsche

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Was ich nie herausbekomme: warum es nun grad so viel Läden gibt, als es gibt. Warum gerade da ein Friseur und dort ein Hutgeschäft.

Und gar in unserm Sträßchen, das so gar keine Ansprüche darauf macht, ein kommerzielles Zentrum zu sein.

Also neben uns hatte ein Friseur seinen Laden. Drin war ich nie, aber ich wünschte dem blonden, bleichen Herrn, der in den Nachmittagsstunden vor der Tür stand und auf Kundschaft wartete, stets alles Gute. So weit konnte ich sehen: Es war ein bescheidener, aber sauberer Laden. Vielleicht hätte ich doch einmal hineingehen sollen.

Eines Tages war er weg. Der Friseur und sein ganzer Laden – das heißt: alles, was so drin stand: die Patentstühle, Spiegel und im Fenster die unwahrscheinlich frisierten Wachsdamen.

Am nächsten Morgen aber begann ein neues Leben. Es kamen Schreiner, Schlosser, Maler. Und als alles fertig war, stand drauf: »Echte Teppiche, Luxusmöbel«. Dazu eine überaus klangvolle Doppelfirma. Das Schaufenster wurde noch dekoriert. Da lag also wirklich ein irgendwie echter Teppich. Auch standen einige Möbel drauf, die ich nie geschenkt genommen hätte, also die Bezeichnung Luxus durchaus verdienten. Ein dunkler Herr, der im Schaufenster hantierte, stellte noch gerade eine bemalte Wasserpfeife auf den Teppich. Das Eleganteste aber war ein eiserner Vorhang, eine Gardine aus Eisenmaschen, die des Abends zugezogen wurde und die deutlich besagte: Besuch von Einbrechern höflichst verbeten.

Dann beruhigte sich der Laden und ich mich auch. Ich nehme an, daß der dunkle Herr, der keine Kosten gescheut hatte, die Zeit damit zubrachte, auf Kundschaft zu warten.

Ein halbes Jahr hat sich an der Schaufensterdekoration nicht das mindeste geändert. Die Wasserpfeife stand auf dem sozusagen echten Teppich.

Und heute ist der Laden leer. Plötzlich. Am Fenster aber steht ein Anstreicher und malt mit zierlicher Schrift: »Modes«. Durch die große Scheibe sehe ich zwei große weiße Schränke und ein junges Mädchen, das hoffnungsvoll Vorhänge näht.

Oh, ich wünsche Ihnen so viel Gutes, mein Fräulein, denke ich, für die Monate, die Sie an diesem Fenster auf Kundschaft warten werden. Ich habe so viel Bewunderung für den Mut eines Menschen, der sich etabliert, und gerade in unserm Sträßchen.

Gerade kommt eine Kutsche vorbei, mit jungen Apfelschimmeln bespannt. Eine äußerst elegante Brautkutsche. Darin sitzt – noch einsam – ein junger schöner Herr im Frack. Ganz glatt rasiert, hoffnungsfreudig. Ich denke mir, der hat Mut und sich in der Kutsche etabliert. Ob Kundschaft kommt?

Ach, junger Herr, warum fahren Sie nicht zu dem blonden Mädchen im Schaufenster und holen es ab. Wetten möcht ich, daß es erfreut aufspränge, daß es Vorhang, Maler, Laden und »Modes« sein ließe, zu Ihnen in die Kutsche spränge, obgleich es Sie nie gesehen hat. Ach, junger Mann, machen Sie doch einmal ein Wunder!

Aber nein, er macht kein Wunder. Fährt dahin, wo er sich einbildet, erwartet zu werden. Wer weiß, junger Herr, wie das noch ausgeht! Sie sitzen vielleicht jetzt noch in der Kutsche und warten auf Kundschaft. Ihr Herz ist ein Haus, erhellt von tausend Lichtern. Und in dem Hause liegen sozusagen echte Teppiche, und darauf stehen Luxusmöbel. Aber es kommt keine Kundschaft. Sie haben nicht bemerkt, wie eine gewisse junge Dame ohne Kranz und Schleier, in einem dunkelgrauen unauffälligen Kostüm aus dem Hause schlüpfte und um die Ecke strich.

O armer junger Mann. Nun blasen Sie die Lichter in Ihrem Herzen aus. Oder fahren Sie zu jenem andern jungen blonden Mädchen, fahren Sie zu »Modes«, und machen Sie ein Wunder. Wie? Sie wollen nicht? Sie wollen das nächstemal sichergehen? Sich erst erkundigen, erst darüber klarwerden, was »Modes« für einen Charakter hat? Lieber junger Mann, als ob Sie das je herausbrächten.

Und im übrigen: was haben denn Sie für einen?

April 1923

Die Nase der Sphinx oder Wie wir Berliner so sind

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