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Das Café

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Es war einmal sehr hell, sauber und freundlich; die Ausmaße der hochgewölbten Decke gaben ihm einen Zug ins Großartige, und die wohlgepflegten Bürger kamen, um sich einander in ihrem Staat zu zeigen. Auch kostete die Melange fünf Pfennig mehr als woanders, so daß man eine gewisse Exklusivität mit genoß.

Heute, wo niemand mehr nach fünf Pfennigen fragt, wird an der Beleuchtung gespart. Die Ausmaße der gewölbten Decke sind noch von derselben Großartigkeit, aber es ist nur eine matte Helle, die sich abstuft zu einer fatalen Dämmerung. Der Linoleumboden ist von einer nässenden Schlammschicht überzogen.

In der Dämmerung sitzen hundert oder zweihundert Menschen. Wer einen Platz auf den Wandsofas bekommen hat, liegt weit zurück, wie versunken. Die anderen hocken auf ihren Stühlen.

Es sind nicht mehr die wohlgepflegten Bürger von einst; noch bis vor kurzem hielt sich an den Nachmittagsstunden ein Tisch kluger alter Männer, die es zu etwas gebracht. Auch ein Kaffeekränzchen alter Tanten war ziemlich seßhaft. Nun ist das auch zu Ende. Eine Bürgersfrau gibt es noch.

Sie ist mit den versprengten Resten der aus ihrem »Kleinen Café« vertriebenen Kunstzigeuner hier herübergezogen. Sie hatte nie zu den Zigeunern gehört, aber es muß für sie eine Lebensnotwendigkeit sein, die gleiche Luft zu atmen. Sie kam als blutjunge Frau, und ihre dunklen Augen suchten in jedem Eintretenden Sensation. Nun sind die Haare grau, die Wangen gefurcht, die Lippen erschlafft; aber die Augen sind schwarz und lebendig und suchen in jedem Eintretenden Sensation.

Von den eigentlichen, den Edelzigeunern, sind wenig verblieben. Kein fester Tisch will sich mehr bilden. Ein paar Bekannte treffen sich, täglich in anderer Zusammensetzung. Man ist leicht angegraut. Ohne Freude und Teilnahme findet man sich zueinander. Gespräche haspeln sich ab, ohne Inanspruchnahme des Gehirns, aus der Gewohnheit der Lippen. Die Kämpfe sind vor fünfzehn Jahren ausgefochten; damals schieden sich die Gruppen nach Welt- oder Kunstanschauungen; zuweilen war man feindlich, man grüßte sich nicht mehr. Nun ist alles vorbei, man macht sich nicht mehr die Mühe, anderer Meinung zu sein. Noch weniger hat man Kraft, die eigene Meinung aufrechtzuerhalten. Es kommt so gar nicht darauf an. Möge doch die neue Generation ...

Da kommt einer der Alten, mit suchenden Augen. Er fängt den Blick irgendeines Fremden auf, der sich zu seinem Nachbar beugt und scheinbar über den Eintretenden was sagt.

Er hat mich erkannt, sagt sich der Alte, und für einen Augenblick ist sein Stolz nicht unbefriedigt; dann aber blitzen Spuren einstiger Laune: Vielleicht hat er dem anderen bloß gesagt: Das ist auch so ein alter Trottel von früher. Und es wäre doch sein Recht – haben wir damals vor zwanzig Jahren über die Alten nicht ebenso gesprochen? Und haben wir nicht recht gehabt? Und hatten die Alten nicht Angst vor uns?

Er sieht sich um unter den fünfhundert fremden Menschen, er sucht die neue Generation; er findet sie nicht. Vielleicht erkennt er sie bloß nicht. Dann sinkt er auf ein Sofa wie ein schwerer müder Sack.

Wer sind die hundert oder zweihundert, die auf den unbequemen Stühlen hocken, vor sich hin starren, reden, ohne zu plaudern – in den Zeitungen blättern, ohne zu lesen?

Man weiß es nicht. Die trübe Dämmerung macht sie alle grau und fahl, vertieft die Schatten um Auge und Nase, macht die Lippen welk. Sie sitzen und warten, aufrecht oder geduckt, sie warten, daß einer kommt oder daß der Zeiger der Uhr weitergeht. Sie warten ohne Hoffnung darauf, daß irgend etwas sich ändere.

Es sind Kaufleute dabei, viel russische Kaufleute. Sie denken vielleicht an das nächste Geschäft, aber sie bilden sich nicht ein, daß sie morgen woanders sitzen und warten als gerade hier. Es sind Filmschauspieler dabei; sie denken an das Engagement, das sie in der Tasche haben, aber sie werden froh sein, auch morgen hier sitzen zu können. Da hockt ein trauriges Mädchen. Oh, dieses Leben ist so außerordentlich schwer; man wartet’s ab im Café. Eine andere hat sich bunt gemacht, mit Seide, Wolle, Schminke. Sie hat sich weit zurückgelehnt, raucht unternehmungslustig. Die ist wohl neu. Wundert sich bloß, daß niemand sie beachtet.

Es ist nicht laut in diesem Hause. Nur ein tiefer surrender Ton ist hörbar. Auch kein lebhaftes Löffelklirren. Man setzt sich; der Kaffee wird hastig getrunken, das Stück Kuchen rasch verschlungen. Dann kommt das Warten.

Es ist auch ein Japaner dabei, ein kleiner, gelblich blasser, mit höchst lustigen Augen. Er sieht sich die müden, verbrauchten Menschen sehr genau an. Er versteht sich schon auf das europäische Antlitz. Wenn er glaubt, an einem der grauen, mürben Menschen die Anzeichen der Verzweiflung zu sehen, dann ist sein Auge besonders lustig.

Januar 1922

Die Nase der Sphinx oder Wie wir Berliner so sind

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