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Zwei Hüte

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Morgens, in der Straßenbahn, es ist ziemlich voll. Ein dicker, etwas strenger Herr sitzt gegenüber seiner langen, dürren, sicher gemütsweichen Frau. Ich setze mich neben den Herrn. In demselben Augenblick schreit die Dame leicht und hell auf. Auch ich habe südwärts eine sonderbare Empfindung, erhebe mich so rasch, wie ich kann, während der Herr unter mir seinen vollkommen zerbeulten schwarzen, bis vor wenigen Sekunden steifen Filzhut hervorzieht.

Bevor ich noch meine Entschuldigung stammeln kann, schnauzt der Herr seine Frau an: »Was machst du denn für ein Geschrei!!«

Ich stammele meine Entschuldigung, wie leid es mir täte ...

Aber er hört gar nicht zu, sondern schimpft weiter mit seiner Frau. »Wie kannst du nur so ein Geschrei machen?«

Sie: »Aber ich sah es doch kommen.«

Ich stammele weiter, werde aber absolut nicht beachtet.

»Das ist doch kein Grund, so zu schreien!«

Sie: »So habe ich ja gar nicht geschrien!«

Ich höre auf zu stammeln, von mir nimmt man ja doch keine Notiz, sehe nur zu, wie der Herr den vergeblichen Versuch macht, die Delle wieder glatt zu streichen. Es gelingt ihm keineswegs. Er brummt weiter: »Wegen so was zu schreien ...«

Da wirft sie ihm einen Blick zu, einen einzigen, aber einen vollgültigen Beleg für ein fünfundzwanzigjähriges Eheleben, rafft sich auf und sagt scharf und leise: »Halt schon den Mund.«

Zwei Stunden später bin ich in einem öffentlichen Gebäude, möchte telephonieren, verlange ein Telefonbuch, man weist mich in ein großes Büro. Aus dem großen Zimmer werde ich in ein etwas kleineres geführt, in dem ein junger Beamter am Schreibtisch sitzt. Neben dem Schreibtisch noch ein Tisch, und auf diesem liegt das Telefonbuch und auf diesem der weiße Strohhut des Beamten.

»Sie gestatten, daß ich was nachsehe?«

Ich bekomme keine Antwort, lege den Hut beiseite, nehme das Telefonbuch vor, sehe nach, klappe zu, gehe.

Plötzlich schreit eine Unteroffiziersstimme hinter mir her: »Wollen Sie nicht wenigstens ...«

Sofort fällt mir ein, daß ich das Telefonbuch ziemlich quer auf dem Tische haben liegen lassen. Ich lege es rasch wieder ordentlich hin, lege auch den weißen Hut darauf.

Der Mann ist aufgesprungen und schreit weiter: »Wenn Sie auch kein Beamter sind, so sollten Sie doch wissen, daß es der Anstand erfordert ...«

Jetzt werde auch ich fuchsteufelswild: »Ich verbitte mir jegliche Belehrung. Ich habe meinen Fehler wiedergutgemacht, darüber hinaus haben Sie mir kein Wort zu sagen!«

Wir pöbeln uns noch eine Weile weiter an, meine Stimme ist die lautere, endlich hält er den Schnabel. Ich gehe hinaus.

Als ich draußen bin, fällt mir ein: Wie kommt dieser Mensch dazu, seinen privaten, weißen Strohhut auf das amtliche Fernsprechbuch zu legen? Ganz abgesehen von den höchst verschiedenen Besitzverhältnissen, in denen sich diese beiden Gegenstände befinden: Das Buch ist viereckig, der Hut ist rund, und es ist doch überhaupt fraglich, ob sich ein runder Hut in eine vorschriftsmäßige Lage bringen läßt. Ich würde keinen Moment zögern, diesen Mann wegen Mißbrauchs des amtlichen Fernsprechverzeichnisses bei seiner vorgesetzten Behörde zu denunzieren, wenn ich mir nicht bewußt wäre, selbst den Hut untertanenhaft wieder auf das Telefonbuch gelegt zu haben.

So kommt man runter.

August 1925

Die Nase der Sphinx oder Wie wir Berliner so sind

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