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cc) Die Dekonzentration
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Schon in der III. Republik kommt es zu richtungsweisenden Gesetzen (Gesetz vom 10.8.1871 und Gesetz vom 5.4.1884), die den Wahlgrundsatz innerhalb der Departements und Gemeinden verankern, dabei zugleich den Präfekten als Vertreter des Staates zur Exekutive des Departements erklären und ihre Zuständigkeiten festlegen. Auch wenn diese Gesetze ihrem Anschein nach dezentralisierend wirken, bedeuten sie doch nicht das Ende der Zentralisierung. Vielmehr gewinnt der Präfekt, der vor allem während des Zweiten Kaiserreichs und infolge der Politik der Dekonzentration stetig an Macht gewonnen hatte, im 20. Jahrhundert angesichts der Entwicklung öffentlicher Interventionen und seiner Zuständigkeit für die Aufsicht über die örtlichen Behörden noch an Bedeutung. Er wird als eine Art Regierungschef auf örtlicher Ebene zu einem Symbol der Staatsmacht im institutionellen System (Pierre-Laurent Frier, Jacques Petit).[58] Die Dezentralisierung geht einher mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung staatlichen Handelns auf territorialer Ebene durch dekonzentrierte Behörden, deren Leiter und Koordinator der Präfekt ist: „In den Gebietskörperschaften der Republik trägt der Vertreter des Staates als Vertreter eines jeden Regierungsmitglieds die Verantwortung für die nationalen Interessen, die Verwaltungsaufsicht und die Einhaltung der Gesetze“ (Art. 72 Abs. 6 CF). Es geht darum, die Kohärenz staatlichen Handelns dadurch zu wahren, dass ein Vertreter der Zentralmacht auf Ebene der Departements und der Regionen vorhanden ist. Gleichzeitig wird dem Präfekten die Aufgabe übertragen, Beziehungen zwischen dem Staat und den dezentralisierten Körperschaften zu gewährleisten.
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Die am 1.7.1992 auf Grundlage des Gesetzes über die territoriale Verwaltung der Republik verabschiedete Charta der Dekonzentration bestimmt die Dekonzentration zur „allgemeinen Regel“ der Aufgaben- und Mittelverteilung unter den verschiedenen Ebenen der staatlichen Zivilverwaltung.[59] Die zentrale Verwaltung soll demgegenüber auf nationaler Ebene „eine Planungs-, Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktion“ wahrnehmen. Diese Verwaltungsarchitektur sowie die Restrukturierung der Behörden auf Ebene der Departements – das Departement als Verwaltungsbezirk ist die Grundebene des Dekonzentrationsprinzips – sind seit der Umbildung des örtlichen Verwaltungsapparats im Jahre 1992 Gegenstand verschiedener Anpassungsreformen gewesen, vor allem seit 2004. Auch wenn die Aufwertung des Präfekten unbestritten und gefestigt ist, zeigt die betriebene Politik doch, wie schwer Dekonzentration in einem Land mit einer starken zentralistischen Tradition ist. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten: Obwohl es infolge der Spielregeln einer hierarchischen Verwaltungsorganisation „immer derselbe Hammer bleibt, der zuschlägt, auch wenn man seinen Stiel verkürzt“ (Odilon Barrot), führt die Dekonzentration doch zumindest zu einer größeren Effizienz des Verwaltungshandelns durch die Verringerung von Verfahren, Fristen und Kosten, die Berücksichtigung der örtlichen Umstände, die Förderung von Initiativen und die Stärkung von Verantwortlichkeit.
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Diese Fortschritte, die Frankreich „aus der Fassung gebracht“ haben (Pierre Legendre), stoßen immer noch auf Hindernisse, so dass der Eindruck entsteht, Frankreich habe keineswegs von seiner zentralistischen Tradition Abstand genommen. Ganz abgesehen davon, dass es aus soziologischen und psychologischen Gründen lange dauert, bis der Umbruch vollzogen ist, und ferner der Umstand, dass die Franzosen sehr am Gleichheitsgrundsatz hängen, der dem Dezentralisierungsprozess in vielerlei Hinsicht nicht zuträglich ist, sind zahlreiche Probleme noch nicht behoben. Zwei Beispiele illustrieren dies. Zum einen erscheint die Zahl der Verwaltungsebenen – gerade im europäischen Vergleich – übertrieben. In Frankreich existieren mindestens vier Verwaltungsebenen (Staat, Regionen, Departements und Gemeinden), unter Berücksichtigung der gemeindlichen Zusammenarbeit sogar fünf; dabei sind Kooperationen auf Ebene der Departements und Regionen noch nicht berücksichtigt. Die Abschaffung einer dieser Verwaltungsebenen, in der Regel der Departements, wird zwar in regelmäßigen Abständen vorgeschlagen, bis heute jedoch ohne Erfolg.[60] Zum anderen bestehen zwischen den Gemeinden angesichts ihrer großen Zahl (38.000), die letztlich hinter der Politik der gemeindlichen Zusammenarbeit steht, erhebliche Unterschiede, die einer leistungsfähigen Verwaltung entgegenstehen und den Grundsatz der freien Verwaltung von Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern – das heißt von fast 90% der Gemeinden – ein wenig illusorisch erscheinen lassen.