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aa) Identifizierung

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Die Befugnis zu einseitigem Handeln wird häufig als Eigenheit des Verwaltungsrechts dargestellt, als ein Vorrecht der Verwaltung, über das Private, deren Rechtsbeziehungen auf Willensübereinstimmungen beruhen, nicht verfügen. Damit wird nicht nur verkannt, dass auch das Privatrecht Befugnisse zu einseitigem Handeln kennt (u.a. die freiwillige Anerkennung eines unehelichen Kindes, die Änderung des rechtlichen Status eines Kindes durch Erklärung der Mündigkeit, Erlass einer Geschäftsordnung durch den Chef eines Unternehmens), sondern auch, dass die Verwaltung – mit Blick auf Maßnahmen zur Verbesserung der Beziehungen zwischen der Verwaltung und den administrés – in ihrem Wunsch nach Effektivität darauf abzielt, dass ihre Akte von den Betroffenen akzeptiert werden, und daher auf Anhörungen und Absprachen zurückgreift. Einseitige Akte[71] unterliegen also keinem öffentlich-rechtlichen Monopol, auch wenn sie das klassische Instrument administrativen Handelns sind. Sind sie nicht durch Gesetze oder Verordnungen besonders qualifiziert, drücken Akte und Verträge administrative Gewalt aus. Diese Gewalt beruht konzeptionell auf zwei Grundbegriffen des Verwaltungsrechts: der puissance publique und dem service public.

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Auch wenn eine Vermutung dafür streitet, sind nicht alle Entscheidungen, die administrative Organe der juristischen Personen des öffentlichen Rechts treffen, Verwaltungsakte. Hingewiesen sei nur auf Legislativ- und Judikativakte. Ferner sind bestimmte Rechtsakte auch dann, wenn sie von einer Verwaltungsbehörde ausgehen, der Natur der jeweiligen Tätigkeit nach keine Verwaltungsakte: Regierungsakte, Akte, die sich auf die Tätigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit beziehen,[72] Entscheidungen ohne Regelungsgehalt, die sich auf das privatrechtliche Handeln der juristischen Personen des öffentlichen Rechts beziehen, Entscheidungen ohne Regelungsgehalt, die sich auf industrielle und gewerbliche services publics beziehen. Umgekehrt können unter bestimmten Voraussetzungen auch Entscheidungen von Privaten Verwaltungsakte sein, wenn diese mit der Erbringung eines service public betraut sind.[73] Soweit eine Verwaltungsbehörde tätig wird, haben solche Entscheidungen verwaltungsrechtlichen Charakter, die im Zusammenhang mit der ihr übertragenen Erbringung von services publics getroffen werden.[74] Es genügt aber nicht, dass ein service public erbracht wird: Auch wenn das Kriterium des „service public“ eine wichtige Rolle spielt, darf das Kriterium der „puissance publique“ nicht unberücksichtigt bleiben, obwohl die Gerichte es nicht ausdrücklich erwähnen. Es kann hinzutreten und sogar das Kriterium des „service public“ ersetzen, was kaum überrascht, wenn man bedenkt, dass die mit der puissance publique verbundenen Vorrechte genügen, um eine auf Private übertragene Tätigkeit von allgemeinem Interesse als Teil des service public anzuerkennen. Weil hier Private als Akteure und das Prinzip, nach dem industrielle und gewerbliche services publics auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, zusammentreffen, sind Verwaltungsakte aber selten: Alle einzelfallbezogenen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Leistungserbringung haben privatrechtlichen Charakter (insbesondere Entscheidungen, die Nutzer und Bedienstete betreffen). Nur Regelungen, die die Organisation der Dienstleistungen betreffen, haben administrativen Charakter.[75]

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Wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich als Verwaltungsverträge bezeichnet (wie das u.a. bei Verträgen über öffentliche Bauarbeiten, bei Verträgen über die öffentliche Inanspruchnahme, öffentlichen Aufträgen, der Übertragung von services publics und Partnerschaftsverträgen der Fall ist), folgt die Unterscheidung von privatrechtlichen Verträgen und Verwaltungsverträgen subtilen Regeln, die zum Teil schlicht eine öffentlich-rechtliche „ambiance“ für maßgeblich erklären.

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„Ein Vertrag, der zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgeschlossen wird, hat grundsätzlich Verwaltungscharakter, so dass über Streitigkeiten über die Verletzung daraus resultierender Verpflichtungen die Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheidet, sofern nicht in Anbetracht des Vertragsgegenstands zwischen den Vertragsparteien ausschließlich privatrechtliche Beziehungen entstanden sind.“[76] Auf dieser Grundlage wird bei einem „Zusammentreffen zweier öffentlich-rechtlicher Handlungen normalerweise“ der verwaltungsrechtliche Charakter des Vertrags vermutet. Dennoch ist auch der Vertragsinhalt nicht ohne Bedeutung. Wird ein Vertrag zwischen zwei Privaten abgeschlossen, ist die Vermutung seines privatrechtlichen Charakters widerlegt, wenn eine Vertragspartei „durch die Verwaltung“ zum Vertragsschluss bestimmt worden ist, mithin „auf Rechnung“ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gehandelt hat.[77] Folglich ist ein Vertrag zwischen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und einem Privaten ein Verwaltungsvertrag, wenn er einer Regelung unterliegt, die vom Privatrecht abweicht. Er unterliegt einer solchen Regelung, wenn sein Vertragsinhalt es rechtfertigt. Das ist in zwei Konstellationen der Fall: Zunächst ist ein Vertrag Verwaltungsvertrag, wenn er „die Erfüllung eines service public“ überträgt.[78] Ferner liegt ein Verwaltungsvertrag vor, wenn das Vertragsverhältnis aufgrund der Vertragsbestimmungen oder der Vertragsbedingungen vom Privatrecht abweicht.[79] Das ist der Fall, wenn der Vertrag übermäßig viele Klauseln aus dem Privatrecht enthält, aber auch bei bestimmten Modalitäten, nach denen das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien organisiert ist. Der Richter sucht also in den Verträgen nach Elementen, die erkennen lassen, dass sie dem öffentlichen Recht unterliegen, und begründet so ihre Autonomie.

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