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b. Marktverhaltenstest

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Wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen ist ein Kampfmittel im Prozess des Rivalisierens der Marktteilnehmer. In diesem Sinne ist unternehmerisches Verhalten stets ambivalent: Es ist einerseits Ausdruck des Wettbewerbs; aber es kann zugleich die Voraussetzungen dafür außer Kraft setzen, dass sich der Rivalitätsprozess auch für die Zukunft fortsetzt. Dem Marktverhaltenstest liegt die Annahme zugrunde, dass sich bestimmte Verhaltensweisen unabhängig von ihrer Drittwirkung als wettbewerbswidrig identifizieren lassen. Dabei geht es stets um Strategien, die das künftige Marktverhalten von Unternehmen determinieren, indem sie im Voraus den künftigen Einsatz bestimmter Wettbewerbsparameter dem Rivalitätsprozess entziehen.

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Zu den grundlegenden Voraussetzungen des Rivalisierens der Konkurrenten gehört – wie bereits ausgeführt – die Handlungsautonomie der Marktteilnehmer. Jeder Konkurrent muss selbstständig darüber entscheiden können, was er wie produzieren will und in welchen Mengen, zu welchen Preisen und mit welchen Methoden er seine Produkte zu vertreiben beabsichtigt, und überhaupt: welche Mittel er als Aktionsparameter im Wettbewerb einsetzen will. Dabei wird er sich zwar über das wahrscheinliche Verhalten der Abnehmer ebenso wie das Verhalten seiner Konkurrenten so gut wie möglich informieren. Aber es bestehen keine zwingenden wechselseitigen Abhängigkeiten, welche die eigenen Entscheidungen inhaltlich determinieren würden. Dies schon deshalb nicht, weil Unternehmen ihre wirtschaftlichen Entscheidungen stets unter Unsicherheit treffen. Diese Unsicherheit beruht darauf, dass vollständige Information über das Verhalten der übrigen Marktteilnehmer grundsätzlich nicht zu erlangen ist. Wettbewerb lebt geradezu von der Ungewissheit bezüglich des Marktverhaltens der Konkurrenten und der Abnehmer. Ein wesentliches Element des Rivalisierens, das den Wettbewerbsprozess kennzeichnet, ist daher die selbstständige Suche nach immer besseren Produktionsmöglichkeiten durch Qualitätsverbesserungen bzw. Kostensenkungen. Die Anreize dazu ergeben sich gerade aus der Enttäuschung von Erwartungen und dem dadurch ausgelösten Zwang zur Veränderung. Durch Beschränkungen dieses Prozesses würde das Effizienzziel verfehlt, dem das Wettbewerbssystem langfristig dienen soll.

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Dem Rivalisieren von Produzenten entspricht auf der Marktgegenseite die Auswahlfreiheit der potentiellen Abnehmer. Diese verfügen unter Wettbewerbsbedingungen über alternative und miteinander konkurrierende Bezugsquellen, die sie miteinander vergleichen und unter denen sie auswählen können. Auch diese Auswahlfreiheit hat die Autonomie der Abnehmer, dh ihre Selbstständigkeit zur Voraussetzung. Und sie hat ferner zur Voraussetzung, dass die Abnehmer sich hinreichend und zutreffend über die alternativen Angebote informieren können. Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Abnehmern verzerren die Vergleichsmöglichkeiten und verhindern, dass die Auswahl unter den konkurrierenden Angeboten bei gegebenem Preis ausschließlich nach qualitativen Gesichtspunkten getroffen wird. Im Falle von Informationsdefiziten auf Seiten der Abnehmer wird das Effizienzziel im Sinne der allokativen Effizienz (Präferenzgerechtigkeit) der Produktion verfehlt. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun bestimmte Verhaltensweisen umschreiben, welche die Handlungsautonomie der Marktteilnehmer und damit den Wettbewerb beeinträchtigen:

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Zunächst einmal ist es denkbar, dass sich die Marktteilnehmer (seien es Anbieter oder Abnehmer) freiwillig ihrer Autonomie begeben und ihr künftiges Marktverhalten mittels bestimmter Koordinationsstrategien aufeinander abstimmen. Das werden sie nur tun, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Solche Vorteile können sich dann ergeben, wenn sich Konkurrenten auf eine wechselseitige Koordination ihres Marktverhaltens einlassen, um sich gemeinsam der Kontrolle des Wettbewerbs zu entziehen. Sie eröffnen sich auf diese Weise kollektiv monopolistische Handlungsspielräume, die sie im Sinne der Produktionseinschränkung bzw. der Anhebung der Preise oberhalb der Wettbewerbspreise nutzen können. Je mehr sich allerdings die gegenseitige Verhaltensabstimmung auf wenige oder gar nur einen Wettbewerbsparameter – wie etwa den Marktpreis – beschränkt, desto größer ist der Anreiz für alle Beteiligten, den Wettbewerb hinsichtlich anderer Parameter – wie beispielsweise die Qualität der Produkte – zu intensivieren. Dann verlagert sich der Prozess des Rivalisierens lediglich, ohne dass er ganz unterbunden würde. Um auch die verbleibenden Möglichkeiten des Rivalisierens zu beseitigen, tendieren Kartelle dazu, die Zahl der ausgeschalteten Wettbewerbsparameter ständig auszudehnen und auch Außenseiterkonkurrenz auszuschalten bis sie womöglich eine vollständige (private) Zwangsordnung für den gesamten Markt erreicht haben. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen sind in jedem Fall negativ. Die Kartellmitglieder sind gezwungen, Ressourcen in die Aufrechterhaltung des Kartells, in die Abwehr potentieller Außenseiter-Konkurrenten und in den heimlichen Wettbewerb untereinander zu investieren. Auf diese Weise wird – ähnlich wie im Monopol – die Kartellrente in volkswirtschaftliche Kosten transformiert, die unter Wettbewerbsbedingungen vermieden würden.[53]

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Marktteilnehmer können ferner die Rivalität untereinander durch Integration (dh Zusammenschluss) ihrer Unternehmen gänzlich beseitigen. In diesem Fall wird das Risiko des Geheimwettbewerbs unter Kartellmitgliedern ausgeschaltet.

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Sowohl die Koordination des Marktverhaltens von Wettbewerbern als auch der Zusammenschluss von Konkurrenten zu einer neuen Unternehmenseinheit ließen sich mit der Begründung als Wettbeschränkung qualifizieren, dass sie die wettbewerbliche Handlungsautonomie der Beteiligten im Innenverhältnis aufheben. Allerdings würden damit sehr viele Fälle erfasst, in denen die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Interaktionssystem nicht wirklich gefährdet ist. Wenn zwei kleine Bäckereien ein Kartell bilden oder sich zu einer einzigen Bäckerei zusammenschließen, so lässt das den Wettbewerbsprozess insgesamt unberührt. Zur Vermeidung zu vieler Beurteilungsfehler müssen daher Schwellenwerte definiert werden, nach denen die relevanten von den irrelevanten Fällen getrennt werden können. Es liegt nun nahe, diese Schwellenwerte unter dem Gesichtspunkt der Drittwirkungen (im Außenverhältnis) festzulegen, dh im Sinne marktstruktureller Kriterien. Demgemäß richten sich die Relevanzschwellen für Kartelle oder Unternehmenszusammenschlüsse typischerweise nach der Marktstellung der Beteiligten. Bei Kartellen kann die Marktstellung durch vergleichsweise niedrige Mindest-Marktanteile der Unternehmen definiert werden, bei Unternehmenszusammenschlüssen ist das Kriterium der Marktbeherrschung sinnvoll. Denn die durch Zusammenschluss neu entstehende Unternehmenseinheit kann in der Regel nur unter der Voraussetzung der Marktbeherrschung eine zumindest abstrakte Gefahr für den Wettbewerb darstellen, weil sie die Möglichkeit hätte, künftig noch vorhandene Restwettbewerber aus dem Markt zu verdrängen oder sie vom Zugang zu bestimmten Ressourcen auszuschließen. Aber auch im Falle der Entstehung eines engen Oligopols unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle kann eine Gefährdung des Wettbewerbs durch die Koordination des Marktverhaltens der Oligopolisten nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden.

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Die konkrete Gefahr der Verdrängung von Wettbewerbern und einer daraus resultierenden Verengung der Marktstruktur mit entsprechend negativen Drittwirkungen kann schließlich auch durch einseitiges Verhalten eines einzelnen Unternehmens hervorgerufen werden. Plausibel ist dies jedoch nur, wenn das betreffende Unternehmen seinerseits bereits eine marktbeherrschende Stellung einnimmt und der Wettbewerbsdruck aufgrund einer bereits verengten Marktstruktur geschwächt ist. Auch insoweit ergibt sich also die Wettbewerbswidrigkeit des fraglichen Verhaltens aus seinen marktstrukturell bedingten Drittwirkungen.

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Es zeigt sich somit, dass ein reiner Marktverhaltenstest grundsätzlich nicht hinreicht, um wettbewerbswidriges von wettbewerbskonformem Verhalten zu unterscheiden, sondern ein Rückgriff auf den Aspekt der marktstrukturellen Drittwirkung erforderlich ist.

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Allerdings sind Fälle denkbar, in denen der Wettbewerbsschutz unabhängig von konkreten marktstrukturellen Erwägungen eingreifen muss, weil allein schon die Ausschaltung der Rivalität zwischen konkurrierenden Unternehmen eine hinreichend gravierende Störung des Wettbewerbssystems durch Einschränkung der Handlungsspielräume der beteiligten Unternehmen selbst darstellt. In diesem Sinne wird die koordinierte Festsetzung von Preisen, die Beschränkung der Produktion sowie die Aufteilung von Märkten als besonders gefährlich angesehen. Man spricht insoweit von Kernbeschränkungen („hard core cartels“). Letztlich wird aber auch in diesen Fällen die Wettbewerbswidrigkeit nicht allein mit der Selbstbeschränkung der Kartellanten begründet werden können. Vielmehr geht es auch hier um den Schutz der wettbewerblichen Handlungsspielräume Dritter, nämlich der Abnehmer. Im Falle von Kernbeschränkungen der genannten Art treten jedoch die negativen marktstrukturellen Auswirkungen für die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite derart offensichtlich zu Tage, dass es insoweit im Einzelfall keiner besonderen Wirkungsanalyse bedarf. Daher hat der Marktverhaltenstest, der das Urteil der Wettbewerbswidrigkeit lediglich an das beobachtete unternehmerische Verhalten selbst anknüpft, immerhin einen begrenzten Anwendungsbereich.

Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht

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