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c. Marktergebnistest
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Daraus, dass der wirtschaftliche Wettbewerb dem Effizienzziel im Sinne von Präferenzgerechtigkeit und Kostenminimierung sowie dem Ziel des Wachstums durch Innovation dient, hat man vor dem Hintergrund der neoklassischen Wohlfahrtstheorie die Schlussfolgerung gezogen, dass die Wettbewerbskonformität bzw. Wettbewerbswidrigkeit des Marktverhaltens von Unternehmen danach beurteilt werden sollte, ob das Marktergebnis im Einzelfall die Effizienz bzw. Innovation steigert oder vermindert. Die Minderung der Effizienz im Sinne der allokativen Effizienz (Präferenzgerechtigkeit) wäre also danach zu beurteilen, ob ein bestimmtes Marktverhalten zu Einschränkungen der Produktion (und möglicherweise der Innovation) bzw. zu entsprechenden Preiserhöhungen führt. Die Minderung speziell der produktiven Effizienz (Kosteneffizienz) ließe sich etwa daran festmachen, dass das zu beurteilende Marktverhalten keinerlei Skalenerträge mit sich bringt. Maßstab für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung wäre also der Nachweis solcher Ineffizienzen bzw. – bei umgekehrter Beweislast – der mangelnde Nachweis von Effizienzgewinnen.
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Nun ist die Wohlfahrtsökonomik ursprünglich eine Theorie des Staatshandelns und nicht des einzelwirtschaftlichen Verhaltens von Unternehmen.[54] Vor diesem Hintergrund werden jedoch auch behördliche oder gerichtliche Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen als staatliche Eingriffe in das Verhalten von Unternehmen betrachtet und bewertet. Daraus erklärt sich die Übertragung der wohlfahrtsökonomischen Beurteilungsmaßstäbe (Effizienzkriterien), nach denen Maßnahmen des Staates als „ökonomisch“ wünschenswert oder nicht wünschenswert beurteilt werden, auf das Wettbewerbsrecht. Primär wird also nicht nach der Effizienz des unternehmerischen Handelns gefragt, sondern nach der Effizienz des Staatseingriffs. Beide Perspektiven hängen jedoch spiegelbildlich miteinander zusammen: Ein staatlicher Eingriff in das unternehmerische Marktverhalten ist nur dann effizient, wenn das sanktionierte Marktverhalten ineffizient ist (und umgekehrt).
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Es ist vor allem die wettbewerbspolitische „Chicago School“, die einen solchen strikt effizienzorientierten Marktergebnistest propagiert. Ausgangspunkt ist die Monopoltheorie: Das Monopol ist durch die Fähigkeit zu Produktionseinschränkungen und Preiserhöhungen gekennzeichnet. Dadurch verfehlt es die Präferenzgerechtigkeit und mindert somit die Effizienz in Höhe des Gesamtwohlfahrtsverlusts (dead weight loss). Allerdings besteht – wie Williamson[55] herausgearbeitet hat – die Möglichkeit, dass ein Monopol gleichzeitig die produktive Effizienz (Kosteneffizienz) erhöht, sofern es Skalenerträge erwirtschaftet. Dann sind die Durchschnittskosten unter Monopolbedingungen (DKm) niedriger als unter Wettbewerbsbedingungen (DKw). Unter Effizienzgesichtspunkten kommt es daher auf eine Abwägung der daraus resultierenden Effizienzgewinne und der Gesamtwohlfahrtsverluste (des dead weight loss) an (sog. Williamson trade-off). Das lässt sich graphisch folgendermaßen veranschaulichen:[56]
Schaubild 19:
Williamson-trade off
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Die Kurve der Durchschnittskosten unter Monopolbedingungen (DKm) liegt unterhalb der Kurve der Durchschnittskosten unter Wettbewerbsbedingungen (DKw). Das führt in wohlfahrtsökonomischer Perspektive dazu, dass zwar einerseits aufgrund der monopolistischen Reduktion der Produktionsmenge von Mw zu Mm (mit der eine Preiserhöhung von Pw zu Pm einhergeht) ein Teil der Konsumenten, die das Produkt bereit wären, zu kostendeckenden Wettbewerbspreisen zu erwerben, es nun zu Monopolpreisen nicht mehr erwerben. Damit entgeht den Konsumenten also ein Teil des unter Wettbewerbsbedingungen möglichen Nutzens (dh die Konsumentenrente). Demgegenüber erhöht sich die Produzentenrente des Monopolisten in Höhe seiner Monopolrente, ohne dass diese jedoch die Minderung der Konsumentenrente ganz ausgleichen könnte. Es entsteht also der bereits weiter oben (Schaubild 15) angesprochene Gesamtwohlfahrtsverlust (dead weight loss). Wenn nun aber der Monopolist aufgrund von Skalenerträgen niedrigere Durchschnittskosten hat als Produzenten unter Wettbewerbsbedingungen hätten, dann entsteht wegen des geringeren Ressourcenverbrauchs für die Herstellung der Produkte zugleich ein Wohlfahrtsgewinn (vgl. Schaubilder 15 und 19). Dieser Gesamtwohlfahrtsgewinn kann im Einzelfall größer sein als der Gesamtwohlfahrtsverlust aufgrund der reduzierten Produktionsmenge. Zwar könnte der Monopolist die Skalenerträge durch Produktionsausweitung bzw. Preissenkung an die Konsumenten weitergeben. Dazu wird er sich aber nur veranlasst sehen, wenn er anderenfalls den Eintritt potentieller Konkurrenten in den Markt befürchten müsste.
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Dieser Gedanke wird von der „Chicago School of Antitrust“ durchaus verallgemeinert und auf sämtliche Verhaltensweisen angewendet, deren Wettbewerbswidrigkeit bzw. Wettbewerbskonformität zu beurteilen ist:[57] Ein bestimmtes Marktverhalten wird hiernach zumindest dann nicht als wettbewerbsbeschränkend qualifiziert, wenn es zur Ausdehnung der Produktion bzw. zur Senkung der Preise führt. Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, wird der Aspekt der Kosteneffizienz betont: Eine Unternehmensstrategie, die Skalenerträge mit sich bringt, ist hiernach selbst dann nicht als wettbewerbsbeschränkend anzusehen, wenn sie im Einzelfall aufgrund von Produktionseinschränkungen oder Preiserhöhungen mit Effizienzeinbußen (in Höhe des dead weight loss) verbunden ist, sofern nur die Wohlfahrtsverluste durch Wohlfahrtsgewinne aufgrund von Kostenvorteilen der Unternehmen mehr als wettgemacht werden. Die Tatsache, dass die Kostenvorteile zwar für die Gesamtgesellschaft einen Effizienzgewinn bedeuten, dieser jedoch zunächst einmal allein dem Monopolisten bzw. den Unternehmen zugutekommt, die den Wettbewerb beschränken, ist im Analyserahmen der Wohlfahrtsökonomik irrelevant. Vom Aspekt der Verteilung auf Konsumenten und Produzenten wird bewusst abgesehen, weil Verteilungsfragen als normative Fragen außerhalb der positiven ökonomischen Analyse liegen und weil die Wohlfahrtstheorie einen Nutzenvergleich zwischen Personen bzw. Gruppen ohnehin für prinzipiell ausgeschlossen hält.
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Dennoch wird dieser Ansatz von der Chicago School als Konsumentenwohlfahrtsmodell (consumer welfare model) propagiert, obwohl es sich in Wahrheit um ein Gesamtwohlfahrtsmodell handelt.[58] Die Veränderung der Gesamtwohlfahrt als Maßstab für die Beurteilung von Marktverhalten basiert auf dem in der Wohlfahrtökonomik von Kaldor und Hicks entwickelten Kriterium, welches für die Feststellung einer Wohlfahrtssteigerung genügen lässt, dass diejenigen, deren Wohlfahrt durch eine Maßnahme erhöht wird, diejenigen, die eine Wohlfahrtsminderung erleiden würden, hypothetisch kompensieren könnten und dann immer noch einen Gewinn hätten.[59] Auf eine tatsächliche Kompensation kommt es nicht an. Abgestellt wird also auf die Gesamtwohlfahrt von Produzenten und Konsumenten insgesamt: Sofern die Vorteile der Unternehmen aufgrund der zu beurteilenden Geschäftspraxis (Produzentenrente) größer sind als die Nachteile für die Konsumenten (Konsumentenrente), könnten die Unternehmen die Konsumenten etwa durch eine Ausgleichszahlung kompensieren. Somit läge insgesamt eine Wohlfahrtssteigerung vor. Ob die Konsumenten tatsächlich kompensiert werden, ist allerdings irrelevant.
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Gegen die Verwendung des Effizienzkriteriums (im Sinne des Gesamtwohlfahrtsmodells) zur Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen im konkreten Einzelfall sind Einwände zu erheben. Sie beziehen sich zum einen auf die mangelnde Eindeutigkeit des Effizienzkriteriums selbst, zum anderen auf die bereits weiter oben erläuterten prinzipiellen Bedenken gegen einen solchen Marktergebnistest wegen der Unmöglichkeit, von der (produktiven) Effizienz des konkreten Marktverhaltens eines Unternehmens auf die (allokativen oder dynamischen) Effizienzwirkungen auf der Ebene des Wettbewerbssystems als Ganzen zu schließen (siehe dazu oben Rn. 311 ff.).
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Die gesamtwirtschaftlichen Effizienzwirkungen eines bestimmten Marktverhaltens sind zunächst einmal in der Regel nicht eindeutig, weil das Effizienzkriterium selbst nicht eindeutig ist: allokative, produktive und dynamische Effizienz sind Gesichtspunkte, die sich miteinander in Konflikt befinden können. Im Rahmen des erwähnten sog. Williamson trade-off widersprechen sich allokative und produktive Effizienz; sie sind daher gegeneinander abzuwägen. In anderen Fällen können sich allokative und dynamische Effizienz widersprechen und eine entsprechende Abwägung erfordern.[60] Solche Abwägungen implizieren immer eine normative Entscheidung. Des Weiteren geht es bei der Feststellung von Effizienzwirkungen im Rahmen der Kartellrechtsanwendung häufig um Prognosen. Bedenken gegen die Verwendung solcher Effizienzprognosen zur Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit oder -konformität eines bestimmten Marktverhaltens ergeben sich gewöhnlich aus der begrenzten Verfügbarkeit der relevanten Daten und der unzureichenden ökonometrischen Berechenbarkeit der Veränderungen von Produzenten- und Konsumentenrenten aufgrund des zu beurteilenden Verhaltens. Es fehlt häufig schon an einer zuverlässigen Informationsbasis, etwa bezüglich der im Einzelfall relevanten Grenzkosten.[61] In der Regel entzieht sich daher die Feststellung der Effizienzwirkungen eines bestimmten Marktverhaltens der direkten Messung.
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Ein prinzipieller Einwand gegen den Marktergebnistest (Effizienztest) folgt aus den bereits weiter oben (Rn. 311 ff.) erläuterten Grenzen des diesem Test zugrundeliegenden neoklassischen Ansatzes selbst. Das neoklassische Verhaltensmodell basiert auf dem homo oeconomicus-Modell als dem maßgeblichen heuristischen Bild von den Marktteilnehmern. Dieses Verhaltensmodell geht – wie bereits weiter oben ausgeführt (siehe oben Rn. 311 ff.) – von Annahmen aus, die zwar die Stringenz der Ableitungen aus dem Modell gewährleisten, die aber wesentliche Aspekte des tatsächlichen Wettbewerbsverhaltens von Markteilnehmern ausblenden, so dass ein ausschließlich neoklassischer Ansatz den in der Wettbewerbspolitik und im Wettbewerbsrecht zu lösenden Problemen nicht angemessen ist. So wenig wie sich in der Regel die gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtswirkungen eines konkreten unternehmerischen Verhaltens bestimmen lassen, so wenig präzise lassen sich auch die Wohlfahrtwirkungen von Eingriffen der staatlichen Wettbewerbspolitik bestimmen.
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Die bereits (oben Rn. 313 f.) erwähnte Verhaltensökonomik (behavioural economics), die den Realitätsgehalt der im Modell des homo oeconomicus enthaltenen Annahmen empirisch zu testen versucht, hat gezeigt, dass die Marktteilnehmer sich häufig nicht einmal über ihre Präferenzen im Klaren sind, die ihren Marktentscheidungen zugrunde liegen, und schon gar nicht über deren Verhältnis zueinander. Auch die im neoklassischen Verhaltensmodell enthaltene Annahme, dass die Wahlhandlungen von Marktteilnehmern (hier: Konsumenten) ihre wahren Präferenzen reflektieren, ist zumindest hinsichtlich ihrer generellen Geltung empirisch widerlegt.[62] Daraus folgt, dass sogar die Hypothese, freie Märkte maximierten stets die Effizienz im Sinne der Konsumentenwohlfahrt, der Relativierung bedarf. „Die Institution des Marktes maximiert zwar die Konsumentensouveränität – damit geht aber nicht notwendigerweise auch die Maximierung der Konsumentenwohlfahrt einher.“[63] Diese Erkenntnis zwingt dazu, der Handlungsautonomie der Marktteilnehmer, die für den Wettbewerb konstitutiv ist, im Rahmen des wettbewerbspolitischen Leitbildes einen Eigenwert zuzubilligen, der vom konkreten Ergebnis des Marktverhaltens unabhängig ist. Zu schützen ist daher der Wettbewerb als ein Interaktionssystem, das zwar als solches langfristig Effizienz garantiert, das aber in der Regel die Zurechnung von Effizienzwirkungen zu einzelnen unternehmerischen Wettbewerbshandlungen ausschließt.
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Die (neue) Institutionenökonomik hat im Übrigen zu Recht auf die Bedeutung von Transaktionskosten, unvollständiger Information und Erwartungsunsicherheit für das tatsächliche Verhalten von Marktteilnehmern hingewiesen (siehe dazu oben Rn. 315 f., 317 ff.). Für die wettbewerbliche Beurteilung des konkreten Marktverhaltens eines Unternehmens können diese Faktoren, insbesondere die in der Realität vorhandenen Rationalitätsbeschränkungen (bounded rationality), nicht außer Acht gelassen werden. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung der privatrechtlichen Rechtsgeschäfte (insbesondere Verträge), in deren Gestalt Wettbewerbsbeschränkungen gewöhnlich auftreten und deren wettbewerbliche Ambivalenz daraus resultiert, dass sie in der Regel gerade der Bewältigung von Transaktionskosten und Rationalitätsbeschränkungen dienen. Während daher im neoklassischen Modell der Schluss von der einzelwirtschaftlichen auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz möglich erscheint, ist dies aus der Sicht der (neuen) Institutionenökonomik nicht möglich. Es klafft unvermeidlich eine Lücke zwischen einzelwirtschaftlicher Rationalität und gesamtwirtschaftlicher Effizienz.[64]