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c. Wirksamer Wettbewerb (1) Grundkonzept
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Das Konzept des „wirksamen Wettbewerbs“ fasst die wesentlichen normativen Aspekte zusammen, die nach der Interpretation der Unionsorgane (Kommission, Gericht und Gerichtshof) das „Systems unverfälschten Wettbewerbs“ ausmachen. Die Kommission hat ihr Verständnis dieses Konzepts bereits in ihrem Ersten Wettbewerbsbericht von 1971 folgendermaßen zum Ausdruck gebracht:[79]
„Der Wettbewerb stimuliert in der Tat am besten die wirtschaftliche Aktivität und sichert für die Beteiligten den größtmöglichen Freiheitsspielraum. Eine aktive Wettbewerbspolitik, wie sie die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften vorschreiben, erleichtert die ständige Anpassung der Angebots- und Nachfragestrukturen und die technische Entwicklung; das freie Spiel dezentralisierter Entscheidungsmechanismen führt zu einer ständig verbesserten Leistungsfähigkeit der Unternehmen und bildet so die Grundlage für eine stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der Völker der Gemeinschaft.“
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Hieraus ergibt sich, dass die Kommission das im Unionsrecht in Bezug genommene System unverfälschten Wettbewerbs von Beginn an als ein dynamisches Interaktionssystem verstanden hat, dh als einen institutionellen Rahmen, innerhalb dessen ein zukunftsoffener Prozess des Rivalisierens voneinander unabhängiger Marktteilnehmer ermöglicht wird, der aufgrund von Leistungsanreizen und Anpassungsdruck langfristig effiziente gesamtwirtschaftliche Ergebnisse gewährleistet. Der zentrale Schutzgegenstand der Wettbewerbsregeln der Europäischen Union ist daher bis heute der wirtschaftliche Rivalitätsprozess als solcher. Das kommt deutlich in den Leitlinien der Kommission aus dem Jahre 2004 zur Anwendung von Art. 81(3) EG [jetzt: Art. 101(3) AEUV] zum Ausdruck, wo sie feststellt, dass
„die Rivalität zwischen Unternehmen eine wesentliche Antriebskraft für die wirtschaftliche Effizienz, einschließlich langfristiger dynamischer Effizienzsteigerungen in Form von Innovationen, ist. Mit anderen Worten, der Schutz des Wettbewerbsprozesses bleibt das eigentliche Ziel […] und zwar nicht nur auf kurze, sondern auch auf lange Sicht. Wenn der Wettbewerb ausgeschaltet wird, kommt der Wettbewerbsprozess zum Stillstand […]“[80]
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Der Schutz des Wettbewerbsprozesses bedingt den Schutz seiner Funktionsvoraussetzungen. Das sind zum einen die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer im Sinne ihrer Selbstständigkeit (Entscheidungsautonomie), zum anderen der Anpassungsdruck, der bei hinreichend offenen Marktstrukturen vom Wettbewerb ausgeht und der eine entsprechende Disziplinierung der Marktteilnehmer bewirkt. Offene Marktstrukturen implizieren entsprechende Handlungsspielräume für aktuelle und potentielle Marktteilnehmer auf beiden Seiten des Markts. Wettbewerbsfreiheit der Anbieter bzw. Auswahlfreiheit der Nachfrager und Marktstruktur stehen somit in einer Wechselwirkung zueinander und sind im Grunde nur zwei unterschiedliche Perspektiven, aus denen das wettbewerbliche Interaktionssystem (der Prozess des Rivalisierens) betrachtet wird. Die wesentlichen Kriterien, die von den Unionsorganen für die Feststellung von Wettbewerbsbeschränkungen verwendet werden, sind daher zum einen die direkte Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit von Marktteilnehmern (2), zum anderen die Verengung der Marktstruktur zu Lasten ihrer Handlungsspielräume (3). Die Anwendung dieser Kriterien erfordert eine umfassende Analyse des jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs, in den das zu beurteilende Marktverhalten einzuordnen ist (4). Für die abschließende rechtliche Beurteilung verlangt das Unionsrecht im Übrigen die Berücksichtigung etwaiger Effizienzvorteile zu Gunsten der Verbraucher, die zur Nichtanwendung des Verbots wettbewerbswidrigen Verhaltens führen können (5). Neuere Tendenzen, im Rahmen eines „more economic approach“ schon die Wettbewerbswidrigkeit selbst anhand der gesamtwirtschaftlichen Effizienz des zu beurteilenden Verhaltens zu bestimmen, sind durch die normativen Vorgaben des Unionsrechts nicht ohne weiteres gedeckt (6).